Shlomo Finkelstein ist frei! Was der YouTuber und Online-Aktivist nun über seine Gefangennahme und die Haftbedingungen zu erzählen hat, zeigt, wie wenig vom Rechtsstaat übrig bleibt, wenn ein Exempel statuiert wird. Warum Shlomo gar nicht erst ins Gefängnis gehört hätte (1.), was Festnahme und Haft uns lehren (2.) und welche Rolle die Staatsanwaltschaft dabei gespielt hat (3.).
1. Urteil und Haft sind eine Farce
Die Freiheitsstrafe gegen Shlomo Finkelstein fußt auf einem Strafbefehl aus dem Jahr 2020. Der Vorwurf: Volksverhetzung und Beschimpfung religiöser Bekenntnisse – gestützt unter anderem auf ein satirisch verwendetes Hakenkreuz und eine Koranverbrennung als politisches Statement. Eine gerichtliche Hauptverhandlung gab es nicht. Das Mittel des Strafbefehls findet normalerweise Anwendung, „wenn die Aktenlage so eindeutig ist, dass eine Strafe verhängt werden kann“. Ob das bei Shlomo der Fall war, muss bezweifelt werden. Kaum ein Bereich ist so diffizil wie der der Meinungsdelikte. So aber wurde die einjährige Haftstrafe gegen Shlomo beschlossen, ohne je substantiiert verteidigt oder verhandelt worden zu sein.
Die verhängte Strafe war ursprünglich zur Bewährung ausgesetzt – wie es beim Strafbefehl verpflichtend ist. Weil Shlomo seine Bewährungsauflagen jedoch etwas zu spät erfüllte, wurde die Strafaussetzung widerrufen. Ein Widerruf kommt eigentlich erst in Betracht, wenn der Verurteilte „gröblich und beharrlich“ gegen Auflagen verstößt (Paragraf 56f Absatz 1 Nummer 3 Strafgesetzbuch). Eine bloß kurze Fristüberschreitung rechtfertigt diese Annahme nicht. Vielmehr gebietet der Resozialisierungsgedanke ein abgestuftes Vorgehen mit milderen Maßnahmen wie der Verlängerung der Bewährungszeit oder einer bloßen Verwarnung. Das tatsächliche Vollstrecken der Haftstrafe gilt als „Ultima Ratio“.
Wie bereits beim Strafbefehl reizte man auch hier die Grenzen des Legalen bis zum Anschlag aus oder überschritt sie sogar. Unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten hätte Shlomo nie eine Zelle von innen sehen dürfen, geschweige denn per Strafbefehl verurteilt werden.
2. Was Festnahme und Haft uns lehren
Auch bei der Verhaftung ließ die postdemokratische Bundesrepublik ihre Muskeln spielen. Anstatt Shlomo wie üblich per Ladung zum Haftantritt aufzufordern oder mit der örtlichen Polizei an seiner Tür zu klingeln, entführte ihn ein bewaffnetes Zugriffskommando des Bundeskriminalamtes vor den Augen seines einjährigen Sohnes. Eine Maßnahme, die sonst Schwerkriminellen oder Terroristen vorbehalten ist.
In der Haft wurde Shlomo in elf verschiedene Justizvollzugsanstalten verlegt. Der offene Vollzug wurde auf Hinwirken des Kölner Staatsanwaltes und des Generalbundesanwaltes verweigert. Das ist nicht nur ungewöhnlich, weil bei Shlomo keine erkennbaren Flucht- oder Missbrauchsgefahren bestanden und er somit in den offenen Vollzug gehört hätte (Paragraf 12 Absatz 1 Satz 2 Strafvollzugsgesetz NRW). Normalerweise handelt es sich dabei um eine rein vollzugsinterne Entscheidung der Haftanstalt und nicht um einen Belang der Staatsanwaltschaft.
Die Entlassung nach der Hälfte der abgesessenen Strafe wurde Shlomo ebenso verwehrt. Dabei wäre er hierzu als nicht gewalttätiger Ersttäter mit kurzer Strafe und günstiger Sozialprognose prädestiniert gewesen. Die Zwei-Drittel-Entlassung wurde dann über Wochen verschleppt. Ein Beschluss wurde erst nach massiver Verzögerung gefasst, nachdem eine Beschwerde gegen die Untätigkeit der Strafvollstreckungskammer eingereicht worden war. Die Richterin am Oberlandesgericht rügte diesen und weitere Umstände, darunter unter anderem die Begründung einer vorherigen Richterin, die Freilassung sei abzulehnen, da Shlomo immer noch rechts sei. Denn die politische Meinung des Inhaftierten darf eigentlich keine Rolle spielen.
Die Summe dieser Maßnahmen – Zugriff, Isolation, Blockade aller Vollzugslockerungen – ergibt jedoch ein Bild von Strafvollzug, der nicht auf Resozialisierung zielt, sondern auf Brechung eines als missliebig wahrgenommenen Oppositionellen.
3. Welche Rolle die Staatsanwaltschaft dabei gespielt hat
Der Fall Finkelstein zeigt exemplarisch, wie groß der Einfluss der Staatsanwaltschaft auf das Strafvollstreckungsverfahren ist. Sie ist nicht nur „objektive Sachwalterin des öffentlichen Interesses“, sondern im Vollstreckungsrecht das Herzstück: Sie initiiert den Bewährungswiderruf (Paragraf 453 StPO), organisiert den Strafantritt, überwacht Fristen, stellt Anträge auf oder gegen vorzeitige Entlassung und spricht Empfehlungen zu Vollzugslockerungen aus. Diese sind für die Haftanstalten zwar rechtlich nicht bindend – faktisch dürften die Anstalten jedoch fast immer den Einschätzungen der Staatsanwaltschaft folgen; wie auch in diesem Fall.
Nahezu alle Härten gingen von einem Kölner Staatsanwalt aus: Der Widerruf der Bewährung bei minimaler Versäumnis wurde aktiv betrieben. Noch vor der Inhaftierung untersagte die Staatsanwaltschaft per Fax „jegliche Lockerungen“. Sie ließ Shlomo aus dem Osten nach Nordrhein-Westfalen verlegen – weg von seiner Familie, hinein in eine gefährlichere Haftumgebung. Und selbst als die Haftanstalt eine günstige Sozialprognose erstellte, sprach sich die Staatsanwaltschaft weiterhin gegen eine Entlassung aus.
Dass dieses „Engagement“ den üblichen Rahmen überschreitet, sollte klar geworden sein. Noch problematischer wird das Ganze, weil die Staatsanwaltschaft nicht unabhängig handelt, sondern weisungsgebunden ist – bis hin zum Justizminister (Paragrafen 146, 147 Gerichtsverfassungsgesetz). Der Europäische Gerichtshof hat 2019 deshalb geurteilt, dass deutsche Staatsanwälte keine unabhängigen „justiziellen Behörden“ im Sinne des EU-Rechts sind.
Während Böhmermann also ungestraft Hakenkreuze zeigen, Mordaufrufe kundgeben und Systemkritiker doxen kann, wird der Meinungsraum von Kritikern der postdemokratischen Vorgänge von einer großen Drohgebärde überschattet – dass es nicht mehr bei einer Drohung bleibt, zeigt der Fall Shlomo Finkelstein. Mehr dazu werden wir bald in seinem Buch im Verlag Antaios lesen können; vorausgesetzt, der Rechtsstaat lässt das zu.
Die Weisungsgebundenheit der Staatsanwaltschaften ist ein Problem, denn das Regime kann sie mit linientreuen Fanatikern besetzen und die lassen durch Rechtsmissbrauch und Rechtsbeugung ihrem Hass auf Regimegegner freien Lauf, siehe Köln oder Bamberg. Wir sollten nicht darauf spekulieren, dass der demokratische Widerstand diese Strukturen dereinst vielleicht selbst nutzen könnte, wenn die Redemokratisierung und Aufarbeitung beginnt. Denn erstens sind wir Demokraten und keine Stalinisten wie sie, und zweitens: falsch ist falsch. Die Strukturen müssen also reformiert werden, die Staatsanwaltschaften zu politisch unabhängigen Behörden werden, die nur dem Recht verpflichtet sind.
naja, für die koran-nummer kann man verknackt werden. was ein skandal ist. dies wurde 3 jahre vorher wegen pussy riot aktionen in kirchen diskutiert. bild 31.07.2012:
Köln (dpa/lnw) – Eine schrille Protestaktion wie die von Pussy Riot in Russland hätte auch im Kölner Dom Konsequenzen. Dann würden sofort die Domschweizer eingreifen, sagte Dompropst Norbert Feldhoff der Nachrichtenagentur dpa am Dienstag. Die würden das Treiben unterbinden und die Leute der Polizei übergeben. «Die Würde des Doms zwingt uns, dagegen vorzugehen», sagte der Hausherr des Kölner Doms. Straftatbestand wäre Störung einer religiösen Stätte, erklärte Staatskirchenrechtler Professor Ansgar Hense. Möglich sei eine Haftstrafe bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe.
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die festnahme ist auch völlig überzogen. allerdings hätte man auch da mit sowas rechnen können. in leipzig wurden solche maßnahmen gegen die familie einer untergetauchten linkautonomen angewandt. dort stürmte man nachts die wohnung der eltern und traumatisierte die kleinen geschwister. da gab es in den letzten jahren einige vorfälle, die von linken organen auch angeprangert wurden. ganz interessanter komplex im kontext mit dem was shlomo passiert ist.
ich denke die beamten wollen gern auch mal ihre mittel einsetzten, ua.
ob solche maßnahmen gegen links oder rechts angewandt werden, es ist und bleibt ein skandal