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Die (bis heute nicht aufgeklärten) Anschläge der 3. RAF-Generation

16. August 2023

Etwas mehr als dreißig Jahre liegt die Wendezeit zurück und ist damit immerhin noch so „nah“, dass man bereits Bekannte mittleren Alters mit Fragen löchern kann: Wo warst Du als die Mauer fiel? Wie war dein erster Besuch in der „Zone“ (West wie Ost)? Da kommen durchaus spannende Annekdoten zusammen, vor allem, wenn man selbst in die Alterskohorte fällt, für die „erlebte Geschichte“ erst mit dem 11. September 2001 beginnt.

DDR, MfS, UdSSR… – das alles fand im Schulunterricht der 2000er Jahre so gut wie nicht statt. Der Kalte Krieg wurde kaum thematisiert, die Wendezeit praktisch gar nicht. Es ist ja nicht nur die DDR, über die man so gut wie nichts gelernt hat – auch die späte Bonner Republik liegt im waberndem Nebel. Ob Themenblöcke wie Kalter Krieg, Ost-West-Beziehungen, Mauerfall und Wiedervereinigung in heutigen Lehrplänen präsenter sind, darf bezweifelt werden.

Es gibt eine Reihe von – im doppelten Sinne des Wortes – merkwürdigen Ereignissen, die in den Zeitraum der 1980er und frühen 1990er fallen. Es geht um Mord, Korruption und Verrat, um Spionage und Intrigen. Es geht auch konkret um die Frage, ob die Verwerfungen der heutigen Bundesrepublik nicht genau hier, in der Wendezeit, ihren Anfang genommen haben. Das hier ist keine Geschichte, die von A bis Z erzählt werden kann, stattdessen haben wir es hier mit episodenhaften Ausschnitten zu tun.

Die Episode, der sich dieser Artikel widmet, dreht sich um eine Reihe von aufsehenerregenden Morden und Anschlägen:

Am 1. Februar 1985 dringen zwei maskierte Täter in das Haus von Ernst Zimmermann, dem Vorstandsvorsitzenden der Motoren- und Turbinen- Union (MTU) ein und richten diesen mit mehreren Schüssen in den Hinterkopf hin.

Am 7. August 1985 wird der US-amerikanische Soldat Edward Pimental von der später als RAF-Terroristin enttarnten Birgit Hogefeld in einen Hinterhalt gelockt und erschossen. Mit seinem Militärausweis verschafft sich tags darauf ein bis heute unbekannter Mann Zugang zur US-Luftwaffenbasis in Frankfurt und platziert dort eine Autobombe. Bei der Explosion sterben ein Soldat und eine Zivilangestellte. 23 Menschen werden verletzt.

Am 9. Juli 1986 detoniert in der Nähe von München ein Sprengsatz und tötet den Siemens-Manager Karl-Heinz Beckurts sowie dessen Fahrer.

Am 10. Oktober 1986 lauern zwei Unbekannte dem Ministerialdirektor des Auswärtigen Amtes, Gero von Braunmühl, vor dessen Bonner Wohnhaus auf und richten ihn mit gezielten Schüssen hin. Mit dessen Aktentasche fliehen sie vom Tatort.

Am 20. September 1988 scheitert ein Anschlag auf Hans Tietmeyer, Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, weil die Waffe des Täters eine Fehlfunktion hat.

Am 30. November 1989 detoniert in Bad Homburg unmittelbar neben der Dienstlimousine des Sprechers der Deutschen Bank, Alfred von Herrhausen, ein Sprengsatz. Herrhausen stirbt auf der Stelle, sein Fahrer wird verletzt.

Am 27. Juli 1990 überlebt Hansel Neusel, Staatssekretär im Bundesinnenministerium, leicht verletzt einen Bombenanschlag auf sein Auto.

Am 13. Februar werden aus drei Schusswaffen rund 250 Schuss auf die US-Botschaft in Bonn abgegeben. Der Sachschaden ist gering, es gibt keine Verletzten. Eine der verwendeten Waffen kann allerdings später als die Mordwaffe im Fall Rohwedder zugeordnet werden.

Am 1. April 1991 ermordert ein Scharfschütze den Treuhand-Chef Detlev Karsten Rohwedder in dessen Haus in Düsseldorf. Am Tatort, an dem der oder die Täter ein Handtuch und Zigarettenstummel zurücklassen, können später zwei unterschiedliche DNA-Spuren gesichert werden. Eine gehört zum RAF-Terroristen Wolfgang Grams, der bei einem Polizeieinsatz auf dem Bahnhof in Bad Kleinen am 27. Juni 1993 erschossen wird, nachdem er und Birgit Hogefeld versuchen sich der Verhaftung durch ein Einsatzkommando zu entziehen. Kurz vor seinem Tod, von dem zeitweise spekuliert wurde, dass es sich um eine gezielte Hinrichtung handelte, erschießt Grams den GSG-9-Beamten Michael Newrzella und verletzt einen weiteren Polizisten schwer.


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Den Polizeieinsatz in Bad Kleinen ausgeklammert – diese Episode ist einen eigenen Artikel wert – konnte keiner der oben aufgeführten Morde restlos aufgeklärt werden. Wikipedia und die Bundeszentrale für Politische Bildung verkünden ganz selbstverständlich die Gewissheit, dass – fehlende Aufklärung hin, Widersprüche her – für all diese Taten die 3. Generation der RAF verantwortlich wäre. Doch das war nicht immer so.

Bereits in den frühen 1990ern strahlte das Öffentlich-Rechtliche die Dokumentation „Die Zerstörung der RAF-Legende“ aus. Dort bezweifeln die Autoren Wolfgang Landgraeber, Ekkehard Sieker, Monika Wagener und Gerhard Wisnewski die Existenz einer 3. Generation der RAF.

30 Jahre danach laufen die Thesen der Autoren längst unter der Kategorie „Verschwörungstheorie“. Eine konstruktive Kritik an den einzelnen Thesen der Autoren sucht man allerdings vergeblich. Fakt ist, dass die oben erwähnten Morde und Mordversuche vor allem wegen der Bekennerschreiben der RAF zugeordnet wurden. Die Täter hinterließen an keinem der Tatorte wirklich verwertbare Spuren wie DNA oder Fingerabdrücke. Selbst die Spur von Wolfgang Grams am Tatort der Rohwedder-Ermordung – ein einziges Haar – wird von der Bundesanwaltschaft als nicht ausreichend eingestuft. Es konnte erst 2001 Grams zugeordnet werden und beweist wenn überhaupt nur, dass er das Handtuch benutzt hat. War er auch am Tatort? Hat er sogar die Mordwaffe benutzt? Das bleibt weiterhin ein Rätsel.

Grams kann sich dazu nicht mehr äußern, er starb in Bad Kleinen. Ein weiterer Verdächtiger, Horst Ludwig Meyer, kam 1999 bei einem Polizeieinsatz in Wien ums Leben. Birgit Hogefeld mauert, genau wie die 1999 in Wien festgenommene Andrea Klump. Die RAF-Terroristin Eva Haule versicherte 2007 in einem Leserbrief an die „Junge Welt“:

„Hier noch mal klipp und klar: die RAF war verantwortlich u. a. für die Aktionen gegen Alfred Herrhausen, Gerold von Braunmühl und Detlev Rohwedder.“

Der Haken: All diese Morde geschahen nach Haules Festnahme im August 1986. Weitere Mitglieder der 3. Generation sollen sich bis heute immer noch auf der Flucht befinden. Vor einigen Jahren machten sie mit einer Reihe von Überfällen auf Geldtransporter auf sich aufmerksam. Auch für sie ist die Rente nicht sicher.

Etwas Aufsehen erregte zuletzt die 2020 erschienene Dokumentation „Rohwedder – Einigkeit und Mord und Freiheit“ Aufsehen. Neben der RAF-These wird hier nämlich auch auf zwei weitere Thesen eingegangen: Die Ermordung des Treuhandchefs durch ein Kommando der Stasi bzw. Attentäter aus den Kreisen des bundesrepublikanischen Geheimdienstes.

Bezeichnend ist hier wieder die hektische „Einordnung“ der alternativen Thesen durch die Filmrezesenten – zusammengefasst im entsprechenden Wikipedia-Artikel. Wovor hat man eigentlich nach all den Jahren Angst? Wieso verflüchtigen sich die Fragen nach den Ungereimtheiten aufsehenerregender Verbrechen – man denke etwa an das Attentat auf John F. Kennedy oder den „Selbstmord“ von Jeffrey Eppstein – so schnell? Warum läuft alles plötzlich unter dem diffarmierenden Schlagwort „Verschwörungstheorie“? Gerade als Journalist sollte man doch dankbar sein für eine Doku wie jene über Rohwedder – was ließe sich daraus an Anregung gewinnen für Rückblicke, Gespräche mit Zeitzeugen und so weiter, und so fort…

Trotz allem: Es hat sich eine ganze Menge von Zeitungsberichten, Büchern, Dokumentationen und ein paar Spielfilmen über die letzten Jahrzehnte angesammelt – für Interessierte ist hier einiges dabei. Nach über dreißig Jahren sind die Anschläge und Morde die Vorlage für Unterhaltung, für Spekulation, für interessante und natürlich auch verrückte Thesen – so lange sie nicht restlos aufgeklärt werden, wird das auch so bleiben.

Friedrich Fechter

Fechter studiert im Herzen Deutschlands und muss sich an seiner linksversifften Universität den typischen Gängelungen aussetzen. Er interessiert sich für Kunst, Geschichte und ist Meister der Halbsätze. Als Fechter das erste Mal ein Cover der Krautzone sah, hielt er das pixelige Layout für eine durchtriebene Werbestrategie. "Bestimmt", dachte er sich beim Durchblättern, "hier sind verschlagene Profis am Werk."


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