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Filmkritik – „Taxi Driver“ und der Weg aus der Gosse

1. Juli 2022
in 3 min lesen

Jemand sollte schnell diese Stadt hier ausmisten, weil es hier ein Haufen… – ein Haufen Scheiße ist. Diese Stadt ist voller Dreck und Abschaum, sie ist ein Albtraum geworden. Egal wer hier Präsident wird, er müsste hier gründlich aufräumen. Stellen Sie sich vor, ich kriege Kopfschmerzen, wenn ich spazieren gehe und diesen Dreck riechen muss, unglaublich.“

Der Dreck und Abschaum einer aus den Fugen geratenen Stadt – das ist die ungeschönte Realität, die den von Schlaflosigkeit geplagten Travis Bickle in den Wahnsinn treibt, während er des Nachts mit seinem Taxi durch die Gosse New Yorks kreuzt. Martin Scorseses „Taxi Driver“ von 1976 ist längst zum Kultfilm avanciert. Wer von uns stand nicht schon vor dem Spiegel, die Finger zur ikonischen .44er Magnum geformt und dem Mann auf der anderen Seite des Glases entgegnend: „Du laberst mich an?“

Nun, genau das ist eigentlich Kinderkacke und billiger Klamauk. „Taxi Driver“ jenseits von Robert De Niros schauspielerischer Leistung ist nur der Ausschnitt eines Panoptikums, der durch zahlreiche weitere Filme und popkulturelle Ikonen der 1970er ergänzt werden sollte. Denn was wird hier erzählt?

Es geht um die Supermacht USA, die nach dem verlorenen Vietnamkrieg und dem Watergate-Skandal in eine tiefe Sinnkrise stürzt. Die 1970er-Jahre waren für den Westen im Allgemeinen und die USA im Besonderen kein gutes Jahrzehnt. Die alten Gewissheiten und Wertvorstellungen waren im Zuge der großen marxistischen Agitation der 1960er nachhaltig erodiert. Der Wirtschaftsboom der Nachkriegszeit war eindeutig vorbei. Arbeitslosigkeit und Kriminalität griffen um sich, das schillernde New York verwandelte sich innerhalb weniger Jahre in eine Gosse. Drogenmissbrauch und ordinärer Sex hatten die gesellschaftlich stabilisierende Scham abgestreift, und so fährt Travis Bickle durch nächtliche Straßen, in denen die Reklameschilder der Pornokinos die verdreckten Gehwege erleuchten und die Nutten und Junkies in ihren bunten Schein hüllen.

Wenn es dunkel wird, taucht das Gesindel auf: Huren, Betrüger, Amateurnutten, Sodomiten, Trinen, Schwuchteln, Drogensüchtige, Fixer, kaputte Syphkranke. Ich hoffe, eines Tages wird ein großer Regen diesen ganzen Abschaum von der Straße spülen.“

Für uns ist das heute ein gewohnter Anblick: In welchem westeuropäischen Land kann man aus einem größeren Bahnhof treten, ohne nicht gleich im Rinnsal der Gosse zu landen? Berlin, Frankfurt, Marseille, Genua – das sind längst keine Städte mehr, in denen so etwas wie Ordnung oder Normalität herrscht. Für uns ist das heute nichts Neues, der Bruch von den 60ern zu den 70ern war allerdings für die Zeitgenossen eklatant.

Der Unterschied zwischen uns und ihnen liegt im Banalen: Die Gosse als solche wird benannt und der Feind markiert. Offensichtliche Missstände werden nicht durch linke Bullshit-Floskeln wie „Gruppen junger Männer“, „Diskriminierung“ oder „gesellschaftliche Verantwortung“ zugekleistert. Was falsch läuft und wer das Problem ist, wird in den 70ern selbstverständlich identifiziert. Hier ist der Einzelne auf sich gestellt, wenn er beim Einkauf im Supermarkt plötzlich durch den Überfall eines schwarzen Kriminellen überrascht wird. Das ist überhaupt so ein Merkmal der Filme dieser Zeit: Die rohe Kriminalität ist schwarz, die subtile hingegen weiß. Ethnische Konflikte werden nicht verschwiegen, sondern abgebildet. Auf den Staat und seine Ordnung ist kein Verlass. Es liegt schließlich an Travis Bickle (oder Dirty Harry, Spider-Man, dem Punisher), etwas dagegen zu tun.

Man merkt: Die 70er haben trotz allen Kulturverfalls den Glauben an den Helden, den einsamen Wolf, den Rächer nicht aufgegeben. Bickle, der „einsamste Mensch auf Gottes Erden“, kann etwas gegen den Abschaum tun, oder glaubt es zumindest: Die Tat, auf die in den heroischen Geschichten der 70er noch selbstverständlich alles hinausläuft, ist im Falle von „Taxi Driver“ eine explizit und – man muss es so sagen – meisterhaft inszenierte Gewaltorgie.

Eines Tages wird ein schwerer Regen kommen und den ganzen Dreck von den Straßen spülen. Die Spinner, die Freaks, die Gangster, die einem einfachen ehrlichen Mann das Leben zur Hölle machen. Aber mich kriegt ihr nicht klein. Mich nicht.“

„Taxi Driver“ hat seinen Wert, aber eben nicht, weil der Film den unausweichlichen Ausbruch der Gewalt heroisiert. Ist der tablettensüchtige und vereinsamte Bickle, der sein Date in ein Pornokino schleppt und mit dem Gedanken spielt, den Senator zu ermorden – um einfach irgendwas dagegen zu tun –, ein Held? So etwas wie ein „Chad“, also eine Vorlage für das Denken und Handeln all derjenigen, die am Dreck und Abschaum der heutigen Zeit leiden? Wohl kaum.

Nein, „Taxi Driver“ ist ein so herausragender Film, weil der Protagonist selbst Opfer der Moderne ist, als tablettenschluckender Pornokinobesucher also zu eben dem Abschaum zählt, den er von einem „schweren Regen“ weggespült sehen möchte. Muss das schlussendlich auf einen Amoklauf hinauslaufen, bei dem der eigene Tod billigend in Kauf genommen wird?

Eine Schlüsselszene des Films, sozusagen die Vorbereitung des blutigen Schlussakts, ist Bickles „totale Mobilmachung“:

Ich muss wieder in Form kommen, vom vielen Sitzen sind meine Muskeln schlaff geworden. Ich habe zu lange mit mir Schindluder getrieben. Ab heute heißt es jeden Morgen 50 Klimmzüge, 50 Liegestütze und Schluss mit den ewigen Pillen, Schluss mit der falschen Ernährung, Schluss mit der Zerstörung meines Körpers. Ab heute beginnt die totale Mobilmachung. Jeder Muskel muss wieder hart werden.“

Was, wenn Bickle diese physische Mobilmachung um eine geistige Mobilmachung ergänzt hätte? Was also, wenn Bickle beschlossen hätte, selbst kein Abschaum mehr zu sein, um den Abschaum zu besiegen? Das ist das Dilemma der Moderne. Die Sackgasse, in der die grell beleuchtete Gosse schließlich endet: Es beginnt beim Einzelnen, und bei ihm hört es auch auf.

Friedrich Fechter

Nachdem sich Fechter von den beiden Chefs die Leitung der Netzredaktion hat aufquatschen lassen, musste er mit Enttäuschung feststellen, dass die Zeiten von Olymp-Schreibmaschinen und reizenden Vorzimmerdamen vorbei sind. Eine Schreibmaschine hat er sich vom hart erarbeiteten Gehalt trotzdem gekauft. Und einen antiken Schreibtisch. Auf irgendwas muss man im Hausbüro schließlich einprügeln können, wenn die faulen Kolumnisten wieder ihre Abgabefristen versemmeln…

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