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G7-Gipfel, Neuausrichtung der NATO und die Spaltung der Welt

1. Juli 2022
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Für Deutschlands Transatlantiker war das 190-Millionen-Euro-Spektakel von Elmau ein weiterer Meilenstein auf dem Weg zur Zweiteilung der Welt. Bereits im März, wenige Tage nach Rußlands Einmarsch in die Ukraine, hatte Präsident Joe Biden vor dem Warschauer Schloß die Parole der USA ausgegeben: „Es geht jetzt um die große Schlacht zwischen Demokratie und Autokratie, zwischen Freiheit und Unterdrückung.“ Zum Abschluß des G7-Gipfels zeigte sich Stefan Kornelius, Politikchef der Süddeutschen Zeitung, entsprechend hoffnungsfroh: „Wenn die G7-Gäste von Argentinien über Indien bis Senegal verstehen, daß ihr (ökonomischer und politischer) Nutzen an der Seite des Freihandels und der Demokratien größer ist, dann wäre ein Erfolg im Zeitalter der neuen Blockbildung verbucht“ (SZ, 27. Juni).

Doch die Ausrufung einer derartigen Ära könnte verfrüht sein. Einige Tage vor Beginn des Treffens in den bayerischen Alpen hatte Olaf Scholz gewarnt, nach Beendigung des Kalten Krieges zwischen Ost und West dürfe die Welt nicht erneut zweigeteilt werden – auf der einen Seite in den Westen, wie ihn G7, EU und NATO repräsentieren, und auf der anderen Seite in die autoritären Mächte Rußland und China. Von Elmau, erklärte Scholz im Bundestag, wünsche er sich ein Signal, daß die Demokratien der Welt zusammenstehen im Kampf gegen Putins Imperialismus, aber eben genauso im Kampf gegen Hunger und Armut, gegen Gesundheitskrisen und den Klimawandel.“ Dieser Kampf, so ließe sich der Kanzler ergänzen, kann nur erfolgreich sein, wenn sich alle Staaten gleichberechtigt daran beteiligen.

Drei Tage vor dem Elmau-Gipfel richtete Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping einen nicht minder aufrüttelnden Appell an die Welt, der indes in den deutschen Medien kaum Widerhall fand. Zur Eröffnung des Industrie- und Handelsforums der BRICS-Staaten (Brasilien, Rußland, Indien, China, Südafrika) konstatierte Xi, die Geschichte habe gezeigt, daß Hegemonie, Blockpolitik und Konfrontation zwischen den Lagern keinen Frieden und keine Sicherheit brächten. Die internationale Gemeinschaft müsse sich statt dessen im ursprünglichen Geist der UN-Charta dem Hegemonismus und der Machtpolitik widersetzen und in der multipolaren Welt Beziehungen aufbauen, die von gegenseitigem Respekt, Fairness und Gerechtigkeit geprägt seien.

Den Entwicklungsländern, so Xi, müsse in den Bereichen Ernährung und Energie geholfen werden, um in der digitalen Wirtschaft und der „grünen Transformation“ voranzukommen. Ziel sei der Aufbau einer offenen Weltwirtschaft. Politisierung und Instrumentalisierung der globalen Ökonomie sowie die Ausnutzung und Beherrschung des internationalen Finanz- und Währungssystems zur Verhängung von Sanktionen schadeten nicht nur anderen, sondern letztlich allen, nicht zuletzt ihren Initiatoren. Daß an dem Dialog-Forum in Peking zusätzlich die Staats- und Regierungschefs Indonesiens (G20-Vorsitz), Thailands (APEC-Vorsitz), Kambodschas (ASEAN-Vorsitz) sowie Ägyptens und des Iran teilnahmen, zeigt, wie bedeutsam auch jenes Gipfeltreffen war.

Nahezu zeitgleich mit den Appellen von Scholz und Xi wandte sich Henry Kissinger, jetzt 99 Jahre alt, an die Öffentlichkeit. In einem Interview mit dem Stern (28. Juni) warnte Amerikas ehemaliger Außenminister eindringlich vor einer Eskalation zwischen den USA und China. Nicht Rußland und der Ukrainekrieg, der eines Tages enden und letztlich zu einem Friedensvertrag mit Putin führen werde, bereite ihm Kopfschmerzen. Seine „viel größere Sorge“ sei China. Als Supermächte seien Peking und Washington in der Lage, „die Menschheit zu zerstören, und sie steigern diese Kapazitäten immer weiter, Jahr für Jahr“. Es gebe bereits „die Rhetorik eines Kalten Krieges“.

Kissinger zufolge haben beide Staaten zwei Aufgaben: „Erstens, strategisch stark zu sein und nicht unter die Dominanz eines anderen Staates zu fallen. Und zweitens, die Beziehungen so zu gestalten, daß wir nicht in eine Krise geraten wie die Europäer vor dem Ersten Weltkrieg, als sie in den Krieg schlafwandelten und nicht mehr wußten, wie sie da wieder herauskommen. Sollte dies passieren, müßten wir aufpassen, „nicht unsere Zivilisation zu zerstören“.

Es bleibt zu hoffen, daß Deutschland unter Olaf Scholz die Lehren aus dem Afghanistan-Debakel zieht und nicht noch einmal einwilligt, einen Krieg nach Vorgaben der Amerikaner mitzumachen – diesmal im Südchinesischen Meer, um dort, wie es das Ziel Washingtons und der hiesigen Transatlantiker ist, die imperiale Stellung der USA fernab der Heimat aufrechtzuerhalten. Vor dieser Verstrickung warnt auch Jürgen Trittin, außenpolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion. Der NATO-Gipfel in Madrid müsse aufpassen, daß sich das Bündnis nicht verzettele. „Die Drohung aus Rußland zeigt ja daß die NATO im Kern ein System der Bündnisverteidigung im nordatlantischen Raum ist.“ Es gelte daher, das Verhältnis der NATO zu China realistisch zu gestalten – als Wettbewerber, systemischer Rivale wie als Partner.

Dieser Meinung ist auch Harald Kujat, ehemals Generalinspekteur der Bundeswehr und Vorsitzender des NATO-Militärausschusses. Gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland stellte Kujat fest: „Es ist eine neue Weltordnung der rivalisierenden großen Mächte entstanden aus den USA, China, Rußland und mit einigem Abstand der Europäischen Union. Die Vereinigten Staaten versuchen , sich die NATO im Konflikt mit China an die Seite zu stellen. Ich sehe das kritisch. Wir müssen uns als Europäer selbst behaupten“ (Märkische Allgemeine Zeitung vom 29. Juni).

Peter Kuntze

Kuntze wurde 1941 in Kiel geboren und hat nach Abitur und Wehrdienst eine verlagskaufmännische Lehre in Hamburg absolviert. Anschließend ein Redaktionsvolontariat in Ansbach. 1968 gelang ihm der Sprung nach München zur Süddeutschen Zeitung, wo er als außenpolitischer Nachrichtenredakteur sein Brot bis 1997 verdient hat. Nebenbei schrieb Kuntze etliche Kinderbücher, zwei Romane und acht politische Sachbücher über China. Seine konservative Wende geschah in den letzten Berufsjahren.

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