Atheistisch, akulturell, apathisch – der Plastikmensch glaubt ganz genau zu wissen, wieso er heute, am hohen Freitag der Christen, den Rebellen mimen darf. Er mag kein großer Tänzer sein, und auch sonst rollt er genervt mit den Augen, wenn die Lebensabschnittsgefährtin an jedem anderen Freitag die „Let‘s Dance“-Lobotomie auf RTL einläutet. Aber heute ist das anders! Heute ist Karfreitag, heute wird wieder einmal ein Rest christlich-abendländischer Tradition zelebriert, da gibt es für den Plastikmenschen also etwas zu besudeln, zu „dekonstruieren“ – etwas konstruieren kann dieser Strichcode-Mensch allenfalls noch mit Legosteinen –, also wird munter losgelegt.
Jahr und Tag betet uns der Plastikmensch die Litanei über die böse katholische Kirche herunter. Er tut das, weil er das in den Medien gesehen hat, weil ihm das die Experten sagen, vor allem aber – und da sind wir wieder bei den Legosteinen – weil zerstören so viel leichter ist als aufzubauen oder gar zu erhalten. Er weiß Bescheid, der Plastikmensch, er lässt sich von einem Haufen Kleptomanen und Kinderschändern nichts vormachen, er ist aus der Kirche ausgetreten, verkündete er neulich stolz. Aus der Kirche ausgetreten? Wie mutig, Herr Plastikmensch, wie mutig! Keine Kirchensteuer mehr für die Kirche, soso. Wie hält er‘s mit der GEZ? Verweigert unser Herr Durchschnitt auch die Rundfunkgebühr? Auch das ist ja eine Glaubensfrage! Keine Antwort, welche Überraschung.
Mann, du Alles auf Erden…
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Ich frage deswegen, weil es ja auch der Staatsfunk ist, der mir als rheinisch-katholischem Fundamentalisten alljährlich erklären will, was Ramadan ist. Die Stimme aus dem Radio und dem Bewegtbildgerät tut das mit derselben Beflissenheit, mit der mich auch der Plastikmensch in seine Sekte der legobauenden, serienschauenden, dauerreisenden, expertenhörigen Extremisten einführen möchte. Ramadan, oho, da wölben sich die Augenbrauen nach oben, da werden die Ohren gespitzt. Hier ist Religion auf einmal Sinnsuche und Kultur, hier wird plötzlich die Stimme gesenkt und Respekt bekundet.
Würde sich irgendjemand trauen, den Islamverbänden andauernd und beinahe ausschließlich strukturellen Kindesmissbrauch oder andere Abscheulichkeiten vorzuwerfen? Würde ein deutsches Satiremagazin die Anhänger des Propheten in ähnlich widerwärtiger Weise beleidigen, wie man das mit gläubigen Christen tagein, tagaus exerziert? Die Frage ist natürlich rein rhetorisch. Der Plastikmensch ist zwar doof, aber immerhin nicht so dumm, um nicht zu wissen, welcher Baum die Schellen verteilt.
Dieser kulturelle Autokannibalismus ist nicht allein auf die christliche Überlieferung beschränkt. Wer bei dem einen anfängt, der hört auch bei dem anderen nicht auf. Die Uni Münster zum Beispiel hat ihren simulierten Entscheidungsprozess nun abgeschlossen und wird den Namen des letzten deutschen Kaisers abstreifen. Der Plastikmensch in seiner Rolle als „Studierender“ kann nun aufatmen. Seine Indoktrinierung gelingt genauso gut in einem Institut, das statt eines Namens eine Nummer trägt.
Ich weiß, auch unter unserer Leserschaft gibt es viele, die sich von der Kirche abgewandt haben. Das ist eine Sache, die jeder mit sich selbst ausmachen muss. Aber ich gehe davon aus, dass selbst unseren atheistischen oder agnostischen Freunden bewusst ist, dass es das Abendland nur christlich – oder gar nicht – geben wird.