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Miriam Socha – LARP kann auch basiert sein

3. April 2024

Heute ist das Thema keine aktuelle, tagespolitische Posse, sondern eine Diskussion, die sich letzte Woche auf Twitter ereignete. Es war ein recht harmloses Bild, das die ganze Sache lostrat und die rechte Blase auf der Kurznachrichtenplattform spaltete: Miriam Socha, AfD-Lokalpolitikerin und Kandidatin für den Stadtrat in Görlitz, einer besuchenswerten Stadt im äußersten Osten der Bundesrepublik, postete ein Bild von sich beim Wahlkampf für die anstehenden Kommunalwahlen in Sachsen. An sich keine aufsehenerregende Sache, wenn es nicht ihre Kleidung wäre, die die Aufmerksamkeit des Internets auf sie zog: Socha trug nämlich ein sorbisches Trachtenkleid samt typischer Kopfbedeckung.

https://twitter.com/miriamsocha97/status/1772605194188038287

Nun, der Tweet ging viral. Zum einen gab es Zustimmung aus dem eigenen Lager, klar, aber auch diejenigen wenigen Stimmen meldeten sich, die jene vier Buchstaben in die Tastatur hauten, um die es heute gehen soll und die einen gewissen Vorwurf implizieren: „LARP“. „LARP“ steht für „Live Action Role Playing“ und bezeichnet Rollenspiele, bei denen die Spieler die Figur, die sie spielen, selbst darstellen – im Gegensatz zu beispielsweise Online-Rollenspielen, bei denen dies der Computer übernimmt. LARP ahmt zwar das Vorbild so detailgetreu nach, wie es geht, aber es bleibt eben beim Spiel; natürlich geht kein LARPer mit geschärften Schwertern auf den anderen los. Übertragen auf die Politik bedeutet der Vorwurf des LARPs nichts anderes, als eine bestimmte Sache nicht mit ganzem Herzen oder voller Überzeugung, sondern nur des Schauspiels, des Sich-Profilierens wegen zu praktizieren – wird einem Katholiken, der im traditionellen Anzug die Alte Messe besucht, LARP vorgeworfen, wird dies getan, um zu zeigen, dass er das nicht um des Glaubens, sondern der Pluspunkte willen bei den anderen „TradCaths“ (also traditionellen Katholiken) macht; besonders dann, wenn der Angeklagte bei laufender Zeremonie filmt und anschließend (oder gleich während der Messe…) das Material für alle Welt auf Instagram hochlädt. Aber nicht nur Selbstdarstellung spielt beim Vorwurf „LARP!“ eine Rolle, auch die fehlende Authentizität und das Unangepasstsein an die heutige Zeit werfen einem die Kritiker vor – man gehe als LARPer eben nicht mit der Zeit mit.

Der LARP-Vorwurf ist eines meiner Herzensthemen, um ehrlich zu sein. Zusammen mit dem Kollegen und Heftautor Lambda habe ich vor ein paar Monaten ein Video zu dem Thema auf unserem YouTube-Kanal „Konsequent Frei“ veröffentlicht…

… in dem wir die gleiche Position vertreten, die ich auch hier noch mal kurz nahelegen möchte: LARP ist richtig und wichtig, und Miriam Socha hat natürlich nichts falsch gemacht. Gewiss, es mag genug Rechte da draußen geben, die eine Sache nur wegen der Selbstdarstellung und nicht wegen der Sache selbst tun. Und ich kenne Socha nicht gut genug, um mit hundertprozentiger Sicherheit sagen zu können, ob ihre Tracht mehr als nur LARP ist oder eben nicht – es spricht allerdings nichts gegen sie. Und selbst wenn sich bei aller Unwahrscheinlichkeit herausstellte, dass sie nur geLARPt hat: Na und? Wir leben in einer völlig entwurzelten Kultur, verschlungen von der seelenlosen Moderne, ihrer Traditionen zum Großteil beraubt – wenn Letztere noch existieren dürfen, dann als entkernte Hülle, deren Leere man mit nichtssagenden Predigten oder Scheinritualen zu füllen versucht.

Was bleibt denn da anderes übrig als LARP? Für uns und unsere Zeitgenossen mag es noch LARP sein, vielleicht ist es das aber für unsere Kinder und Kindeskinder nicht mehr, wenn sie es eben nicht anders von ihren Eltern und Großeltern kennen. Und wenn wir schon nichts politisch großartig bewegen können, weil „nothing ever happens“, so kann man doch wenigstens gut gekleidet – das heißt geschmackvoll, ohne T-Hemd oder Besatzerhose – vor die Tür gehen, oder?

Ein weiterer Aspekt, der den Fall Socha so interessant macht, ist nicht die Gegenreaktion des rechten, sondern des linken Lagers. Oh, was war da nur los? In der Nussschale hat der Nutzer „Schizo“ die Sache der linken Haider schon gut zusammengefasst.

Warum sie „Mary-Poppins-Kleider“ trage und ob das Kopftuch in der AfD nicht verpönt sei, hat er spitzbübisch gefragt. Tja, erwischt, liebe AfD: Bei Muslimen findet ihr Kopftücher doof, ha! Doppelmoral schreien können eben nicht nur rechte Boomer. Und das „Mary-Poppins-Kleid“ ist quasi das Äquivalent zur „Disneyland“-Diffamierung in Hinsicht auf die Restauration historischer Gebäude. Die Linken schreien dabei im Grunde ebenfalls „LARP!“ und werfen einem vor, ein im Grunde längst vergangenes, seelenloses Disney-Schlösschen aufzubauen, um jegliche Bemühung von Restauration (sowohl architektonisch wie auch modisch) zu unterminieren und uns gleichzeitig ihre viel giftigere und seelenlosere Moderne überzustülpen. Bezeichnend und spannend zu sehen ist es, wie gehässig linke Twitter-Nutzer auf Sochas Post reagierten. Man könnte fast meinen, sie fühlten sich von traditioneller Kleidung bedroht, was noch absurder ist, wenn man bedenkt, dass es zum Großteil dieselben Leute sind, die den Rechten in Anbetracht des pinken Trikots der Fußballnationalmannschaft Fragilität vorwarfen…

Also, kurz noch mal zusammengefasst: Habt ruhig Mut zum LARP! Es muss eben nur gut durchdacht sein und sich in eine gewisse Tradition einfügen, ansonsten wirkt es wirklich lächerlich und ungeschickt. Nebenbei treibt man auch ein paar Linke zur Weißglut – wie schön! Also los: Es ist momentan das einfachste und beste Mittel, das wir haben.

Fridericus Vesargo

Aufgewachsen in der heilen Welt der ostdeutschen Provinz, studiert Vesargo jetzt irgendwas mit Musik in einer der schönsten und kulturträchtigsten Städte des zu Asche verfallenen Reiches. Da er als Bewahrer einer traditionsreichen, aber in der Moderne brotlos gewordenen Kunst am finanziellen Hungertuch nagen muss, sieht er sich gezwungen, jede Woche Texte für die Ausbeuter von der Krautzone zu schreiben. Immerhin bleiben ihm noch die Liebesgrüße linker Mitstudenten erspart…


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