Vier Jahre meines Studiums sind nun bald vorbei. Es gäbe viele Situationen, über die man seitenlange Artikel verfassen könnte: Momente, in denen Dozenten für ihre wissenschaftlichen Bezüge zum IQ angegriffen wurden, in denen Geschlechterunterschiede geleugnet und kritische Nachfragen abgewiegelt wurden. Doch genauso gab es Dozenten, die sich den Mund nicht verbieten ließen, die meine nicht gegenderten Hausarbeiten akzeptierten und die kritische Nachfragen zuließen.
Sehr grob gesprochen setzt sich jeder Studieninhalt – von der Fachdidaktik bis hin zu den Bildungswissenschaften – aus 3 Komponenten zusammen: dem Sinnvollen, dem Unnützen und dem Haltungspart. Bezogen auf den Haltungspart ließen sich meine Kompetenzen nach 4 Jahren in etwa so zusammenfassen: Ich bin in der Lage, die Rollenstereotype und diskriminierende Wortwahl in Texten aus der „prä“-woken Epoche zu diskutieren, ohne dabei ein Änderungsbedürfnis zu empfinden geschweige denn, es zu kommunizieren. Feministische Märchenpornos kann ich literarisch analysieren und kenne deren gesellschaftliche Relevanz (denn die geht gegen 0), jedoch erkenne ich ihren tieferen Sinn nur unzureichend. Kinderbücher analysiere ich mehr oder weniger auf ihre Eignung unter besonderer Berücksichtigung von Vielfalt und Toleranz. Es wäre also das Buch über schwule Pinguine, die ein Ei klauen und es ausbrüten, pädagogisch als wertvoll zu klassifizieren.
Willkommen in der Anstalt
Texte mit Überschriften wie „Gnadensex“ gehören (unfreiwillig) zu meinem Literaturkanon und die Verbindung zwischen Gnadensex und Grundschullehramt ist absolut einleuchtend. Da mache ich gerne einen Ausflug in die Paartherapie. Mein Professionswissen deckt weiterhin den Umgang mit LGBTQIA- Communities aus Afrika und dem Nahen Osten ab. Nun bin ich multikulturell und kultursensibel gebildet und kann (auch nicht wirklich besser als vorher) mit homosexuellen Elternpaaren aus dem Senegal professionell interagieren.
Aber wie ich mit Verhaltensproblemen in der Klasse umgehe? – fragen Sie lieber nicht. Mit meiner Grundschulklasse kann ich dank meiner Seminare dafür später inhaltlich tiefgründig und reflektiert über Marx und die Klassentheorie, den Feminismus und den Kolonialismus diskutieren. Von der Haltung gegen „rechts“ ganz zu schweigen.
Doch zeitgleich mit dem Herumjammern über die Sinnlosigkeit und Absurdität dieser Inhalte möchte ich einen Vorschlag zur Verbesserung zur Diskussion stellen. Wenn ich mir eine tiefgreifende Veränderung in meinem Lehramtsstudium wünschen könnte, wäre es, neben den üblichen Rufen nach weniger ideologischer Ausrichtung, vor allem die philosophische Bildung aller Lehrer. Die Schule hat in dieser Richtung bei den meisten keine bildungsrelevanten Spuren hinterlassen und dies macht sich im Umgang mit dem intellektuellen Material bemerkbar.
Philosophie? Fehlanzeige!
An der Uni bekommen die angehenden Lehrer Lehrpläne vorgesetzt, die sie vermitteln sollen, ihnen werden Methoden vorgestellt, die sie umsetzen sollen. Und hinter allem stehen zumeist unscheinbar philosophische Standpunkte und Menschenbilder. Viele der derzeitigen Kontroversen lassen sich meiner Ansicht nach auf unterschiedliche philosophische Sichtweisen herunterbrechen. Um diese zu analysieren und zu durchblicken, braucht es nicht nur den grundsätzlichen Willen, sondern auch das nötige Hintergrundwissen. An beidem mangelt es!
Kaum ein angehender Lehrer in meinen Seminaren wäre im Abschlusssemester in der Lage, einen eigenen konsistenten philosophisch-pädagogischen Standpunkt zu formulieren. Anstelle Grundschullehrer mit Marxismus und Demokratiebildung, Mathematik auf Informatikstudienniveau und feministischen Märchen zu traktieren, plädiere ich für eine Grundbildung in Philosophie, die die Studenten dazu befähigt, Fragen zum Menschenbild und der Ethik bevorzugt hinsichtlich ihrer späteren Tätigkeit als Lehrer zu beantworten.
Fragen wie: Welche Unterschiede hat die konstruktivistische Herangehensweise im Vergleich zur verhaltensbezogenen? Wie wirkt sich das auf den Umgang mit den Kindern, meine Lehrerrolle und meine Methodik aus? Welche Position zur Kindheit nehme ich ein? Sind Kinder kleine Erwachsene oder nicht? Möchte ich die Kinder zu solidarischem und altruistischem Handeln und doch eher zu (positiv) egoistischem Handeln ermutigen? Was ist meine erste Herangehensweise an ADHS – Pillen oder doch eher Psychologie? Welche Rolle spielt Wissen in meinem Unterricht? Was ist ein gebildeter Mensch? Stehen dabei kognitive, soziale oder methodische Fragestellungen im Vordergrund? Setzte ich den Schwerpunkt im Sexualkundeunterricht nur auf die körperlichen Aspekte oder schließe ich die psychologischen Aspekte mit ein? Welches Bild von Sexualität vermittle ich den Kindern damit?
Ich weiß das, besser, ich hab das studiert
In unserem Studium wird mantraartig die Bedeutung eines universitären Grundschullehramtsstudiums rezipiert, um sich eine professionelle Haltung zu erarbeiten. Mit dieser soll eine Analyse und ein Hinterfragen der Inhalte und Methoden ermöglicht werden. Jedoch findet eine solche kaum und bezogen auf die grundlegenden Fragen gar nicht statt. Diskussionen über die professionelle Haltung versacken auf einer utopisch-charakterlichen Ebene der Lehrerpersönlichkeit, wobei einfach positive Charakterzüge aufgezählt werden, die jeder mit dem idealen Lehrer verbinden würde. Das gleiche gilt für pädagogische Überzeugungen, die oft psychologisch untermauert auf Aussagen wie „Ich will, dass sich jedes Kind wohl und angenommen fühlt.“ oder „Jedes Kind soll in seiner Individualität wertgeschätzt und gefördert werden.“ hinauslaufen.
Als wir in einer Inklusionsveranstaltung eine kritische Diskussion anstießen, wurde uns entgegnet, wir hätten den Inhalt der Vorlesung nicht richtig verstanden. Ich hätte am liebsten schallend losgelacht, denn wir hatten sehr gut verstanden, dass das Lernziel darin bestand, Inklusion, also die gemeinsame Beschulung von lernbehinderten und nichtlernbehinderten Kindern, kritiklos als gut und gegeben zu akzeptieren. Es war einer der Momente im Studium, wo bei mir die letzten Zweifel daran ausgeräumt wurden, dass es hier nicht um kritisches Hinterfragen geht, sondern um Konformität.
Der Diskussionsrahmen ist eng gesteckt. Übrig bleibt keine Evaluation, sondern die Übernahme der Einschätzung des Dozenten und damit auch die Akzeptanz und Verinnerlichung von dessen Weltbild. Somit endet das Studium bei nicht wenigen Lehramtsstudenten damit, dass die Studieninhalte gebetsmühlenartig als letzte Wahrheit aufgenommen und dann mit der „Ich-hab-das-studiert“- Keule verteidigt werden. Doch als Lehrer sollten wir unbedingt in der Lage sein, unsere Handlungen und Überzeugungen intellektuell-theoretisch selbstständig zu legitimieren. Und so viel Selbstkritik muss sein- dazu hat das 4- jährige Studium mich nicht befähigt.
Bildet Euch selbst!
Ich hätte mir ein Studium gewünscht, bei dem hitzig Ideen und Konzepte diskutiert werden und nicht ein Haltungskonzept an den Mann gebracht wird. Für mich steht deshalb die Frage im Raum, wie den Studenten ein Blick über den Tellerrand hinaus ermöglicht werden kann. Jeder Lehramtsstudent sollte sich fragen, ob dies, was wir unterrichten, so wirklich der Weisheit letzten Endes ist? Doch gerade darum geht es nicht. Vielmehr hat das Studium starke Tendenzen zur Ausbildung eines grundlegenden haltungsgenormten Einheitslehrers, der sich nur durch zu vernachlässigende, individuelle Marotten unterscheidet.
Ich ermutige hiermit alle Lehramtsstudenten, sich philosophische Grundlagen anzueignen. Das Problem besteht jedoch darin, dass diese philosophische Grundbildung schon zu Beginn oder im ersten Semester des Studiums stattfinden müsste, da sie als Gerüst benötigt wird, um daran die folgend
en Inhalte einordnen zu können. Fehlt dieses Überzeugungsgerüst, ist das alternativlose Kopieren von Dozentenmeinungen vorhersehbar.
Mir ist bewusst, dass die Uni hier keine Veränderungen anstreben wird. Doch die unkritische Übernahme des konstruktivistischen Weltbildes und ihre Implikationen für das Lernen und die Rolle des Lehrers halte ich für eine der fatalsten Entwicklungen im derzeitigen Studium.