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Libertäre und das Rauchverbot

29. Juli 2022
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George Orwell las als Landstreicher Kippenstummel vom Boden auf. Jack London fertigte als Vertrauensmann im Gefängnis Lunten an und bestach andere Häftlinge mit dem Geschenk des Prometheus: „Wer so dumm war, dass er nichts dafür geben wollte, musste ohne Feuer und Tabak in die Falle gehen.“ Und Christian de la Mazière, ein französischer Journalist, der sich nach der Landung der Alliierten in der Normandie freiwillig zur Waffen-SS gemeldet hatte und nach Kriegsende in seinem Heimatland zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt wurde, schildert in dem Bestseller Ein Traum aus Blut und Dreck die folgende Szene, in der ihn ein anderer politischer Gefangener anspricht: „Es gibt hier wenig Politische, wir müssen zusammenhalten. […] Mit dem Rauchen kann man sich helfen. Wenn du willst, lasse ich dir morgen ein Stäbchen zukommen. Du musst zu den Klosetts kommen. Ich werde die Zigarette anzünden, zwei oder drei Züge machen und sie dir zurücklassen. Dann gehe ich hinaus; du gehst hinein und findest sie brennend vor. Du ziehst zwei- oder dreimal und legst sie hin; ein anderer kann sie dann zu Ende rauchen.“ Ich frage mich beim Lesen solcher Passagen immer, ob es nicht sinniger gewesen wäre, unter den gegebenen Umständen mit dem Rauchen aufzuhören, aber was weiß ich schon vom Suchtpotenzial König Tabaks? Mir ist der Zigarettenqualm bloß lästig.

Stand ich bis vor einigen Jahren noch auf dem Standpunkt, man habe die Nichtraucherschutzgesetzgebung als Freiheitlicher (selbst als militanter Nichtraucher!) strikt abzulehnen, weil sie eine unangebrachte Einmischung des Staates in die privaten Angelegenheiten von Wirten und Nikotinsüchtigen darstellt, bin ich zwischenzeitlich zu der Einsicht gelangt, dass der Fall nicht so einfach gelagert ist. Denken wir an das berühmte Freiheits- oder Schadensprinzip John Stuart Mills: Dieses besagt, „dass der einzige Grund, aus dem die Menschheit, einzeln oder vereint, sich in die Handlungsfreiheit eines ihrer Mitglieder einzumengen befugt ist, der ist: sich selbst zu schützen. Dass der einzige Zweck, um dessentwillen man Zwang gegen den Willen eines Mitglieds einer zivilisierten Gemeinschaft rechtmäßig ausüben darf, der ist: die Schädigung anderer zu verhüten.“ Nichts anderes wird aber mit den Nichtraucherschutzgesetzen bezweckt – und zweifellos auch erreicht, denn das Rauchen in Anwesenheit anderer Personen ist schlicht und ergreifend Körperverletzung! Allein in Österreich sterben pro Tag im Durchschnitt drei Menschen an den Folgen des Passivrauchens, viele weitere erkranken in der Alpenrepublik an Herzkreislauf-, Lungen- oder Krebsleiden. Das Risiko, einen Schlaganfall zu erleiden, erhöht sich für Passivraucher beispielsweise um 20 bis 30 Prozent. Der Passivrauch ist dabei keineswegs ungefährlicher als der Qualm, den die Raucher selbst inhalieren. Im Gegenteil. Bereits vor einigen Jahren ließ sich der Wiener Umwelthygieniker Manfred Neuberger gegenüber der Austria Presse Agentur wie folgt vernehmen: „Im Wesentlichen sind die Partikel im frischen Passivrauch noch kleiner als im Aktivrauch, dringen daher tiefer in die Lunge vor und transportieren auf ihrer großen Oberfläche noch mehr Pyrolyseprodukte.“ In einem wissenschaftlichen Überblicksartikel führt der Professor weiter aus: „Drei nacheinander im Aschenbecher verglimmende Zigaretten führten in einem 60 Kubikmeter großen Raum eine Stunde lang zu zehn Mal höheren Feinstaubkonzentrationen als ein im selben Raum über 30 Minuten laufender Pkw-Dieselmotor.“ Die massive Schädigung von Angestellten in der Gastronomie durch das unfreiwillige Inhalieren dieser unwillkommenen Partikel ist förmlich mit Händen zu greifen. Im Harn nichtrauchender Kellner nimmt das gefährlichste Lungenkarzinom des Tabakrauches um ganze sechs Prozent pro Arbeitsstunde zu. Und die Schadstoffbelastung ist selbst an arbeitsfreien Tagen noch nachzuweisen.

Dem Libertarismus liegt nun als philosophisches Fundament der Kontraktualismus zugrunde (ich habe das in meinem Buch Der Tribalolibertarismus. Ein Plädoyer für Freiheit und Vielfalt näher ausgeführt). Die „Lehre vom Gesellschaftsvertrag“ bzw. der Kontraktualismus dienen einerseits dazu, staatliche Institutionen und andererseits moralische Normen, d. h. letztlich die Ausübung von Zwang, zu legitimieren. Der amerikanische Philosoph und Abolitionist Henry David Thoreau schrieb 1849 in seinem berühmten Essay Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat, die rechtmäßige Regierungsgewalt müsse „Vollmacht und Zustimmung der Regierten haben. Sie kann kein umfassendes Recht über mich und mein Eigentum haben, sondern nur so weit, wie ich zustimme.“ Während die politische Theorie des Kontraktualismus also ganz im Sinne Thoreaus davon ausgeht, dass Herrschaft nur dann legitim ist, wenn sie sich auf die Zustimmung der Beherrschten zu stützen vermag, postulieren kontraktualistische Moralphilosophen analog dazu, moralische Normen bezögen ihre normative Kraft aus der Vorstellung eines Vertrages oder einer Übereinkunft derjenigen, die sich nach diesen Normen zu richten hätten. Schließlich nehmen einem moralische Normen, ebenso wie kodifizierte Rechtsnormen, Freiheiten: „Man kann nicht tun, was man vielleicht gerne tun würde. Und man muss tun, was man vielleicht gerne lassen würde.“ So bringt es der Kontraktualist Peter Stemmer auf den Punkt. Die kontraktualistische Interessenskonstellation lässt sich folgendermaßen beschreiben: Eine Person A tauscht (im Naturzustand) gewisse Einschränkungen ihrer Freiheit gegen die Freiheitseinschränkungen der anderen, weil ihr das, was sie dafür bekommt, wichtiger ist, als das, was sie bei diesem Tauschhandel verliert. Es ist dieser Person A beispielsweise wichtiger, nicht von Person B getötet oder ihres Besitzes beraubt zu werden, als selbst Person B töten oder bestehlen zu dürfen. Das Vorhandensein entsprechender Normen und Gesetze wird mithin von Person A gewünscht. Etwas, das aber von Person A gewünscht wird, kann per definitionem nicht als Unterdrückung klassifiziert werden. Die Einschränkung ihrer Freiheit und die durch das Kollektiv ausgeübte Herrschaft über Person A sind daher bis zu diesem Punkt legitim.

Da jeder geistig gesunden Person ein Interesse an körperlicher Unversehrtheit unterstellt werden kann, ist ein Rauchverbot im öffentlichen Raum und in Gaststätten zweifellos mit einer libertären Einstellung in Einklang zu bringen. In § 223 StGB, Absatz 1, heißt es: „Wer eine andere Person körperlich misshandelt oder an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ Wer säuft oder kokst, schadet sich selbst, wer in Anwesenheit anderer Menschen zur Zigarette greift, schädigt damit andere Personen „an ihrer Gesundheit“. Schlüge man einem Raucher in einem Lokal seine Kippe aus dem Mundwinkel, könnte man sich sogar auf Notwehr berufen, denn Notwehr ist nach § 32 StGB, Absatz 2, „die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.“

Jonathan Stumpf

Jonathan, dem der Libertarismus als geborenem Ami eigentlich in die Wiege gelegt wurde, benötigte dennoch einige Umwege und einen Auslandsaufenthalt an der Universiteit Leiden, um sich diese politische Philosophie nachhaltig zu eigen zu machen. Zuvor hatte er bereits im Bachelor auf Staatskosten zwei Semester in Rumänien zugebracht. Wie jeder Geistes- oder Kulturwissenschaftler mit Masterabschluss, der etwas auf sich hält, bewegt Jonathan etwas in unserem Land. In seinem Fall sind es Container. Er hat im Sommer 2021 als Decksmann auf einem Containerschiff angeheuert.

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