Dunkel
Hell
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Montagabend: Sozialanthropologie

10. Februar 2022
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Zunächst ist da nur Polizei. Blau-weiße Mannschaftswagen, schwarze Uniformen. Ich bin etwas irritiert, denn hier auf dem Platz soll die Demo doch losgehen. Ein kleines Grüppchen junger Leute beginnt sich zu sammeln. Die meisten von ihnen tragen auffällig unauffällig schwarze Klamotten, also schwarze Hosen, schwarze Jacken, schwarze Mützen. Es ist schnell klar, um wen es sich hierbei handelt. Ein paar streifen sich weiße Kittel über.

Das ist wichtig, denn was immer auch diesen Abend passieren wird: Die Staatsmedien werden ein Theaterstück zeigen, in dem sich „Medizinstudenten“ gegen „Coronaleugner“ zu wehren beginnen. Die leise Minderheit gegen die lautstarke Mehrheit. Die Ratio gegen die Emotio. Die Wissenschaft gegen den Mob. Theater, wie gesagt.

Aber wo sind sie denn jetzt, die echten Demonstranten? Soll der Umzug nicht gleich losgehen? Und was mache ich eigentlich hier? Ich laufe eine große Runde um den Block, und als ich zum Platz zurückkomme, da hat sich die Polizei in Gang gesetzt. Im Schritttempo bewegen sich blaue Blinklichter durch die Dunkelheit, ihnen folgen etwa 100 bis 200 Menschen. Auf den ersten Blick sieht man keine Schilder oder Banner, und da keine Parolen skandiert werden und es auf eine gespenstische Art und Weise ruhig ist, weiß ich zunächst nicht, ob das hier die regierungskritische oder die regierungsfreundliche Demo ist.

Ich folge den Leuten, aus irgendeinem Lautsprecher erschallt plötzlich ein sehr schnulziger Popsong, und als ich die ersten Strickpullover sehe, die ersten weißen Haarschöpfe, da weiß ich, dass ich richtig bin. Oder auch nicht. Denn es handelt sich bei diesen sehr braven, sehr bedächtigen Leuten, die da langsam die Straße entlangziehen, um Altlinke. Aber was erwarte ich in einer altlinken Stadt?

Die Straße knickt leicht ein, ich trenne mich von dem Menschenwurm und eile durch eine Gasse voraus, weil ich mir das Ganze von vorne ansehen will. Da höre ich plötzlich anschwellendes Gebrüll. Also richtiges, ohrenbetäubendes, hassverzerrtes Gebrüll. Und da sind sie also, die schwarzgekleideten und weißummantelten Regierungsunterstützer und Impfbefürworter. Etwa 50 von ihnen versperren die Straße und schreien im Chor. Ich schnappe „Nazi!“-Fetzen auf, ohne die gesamte Parole zu verstehen. Auf einem Pappschild lese ich „Impfe statt Hetze“ und störe mich instinktiv daran, dass dort nicht „ImpfeN statt HetzeN“ steht. Währenddessen zweigt die eigentliche Demonstration vor der Blockade ab, die Polizei beschirmt die Brüller.

Hier ist er zu sehen, dieser Realitätsriss, der sich durch die späte Berliner Republik gefressen hat: Ein paar Hundert friedliche Menschen, die meisten davon betagt, einige etwas sehr theatralisch mit ihrer Kerze in der Hand, ziehen schweigend an einem widerwärtigen, irgendwas mit „Nazi!“ brüllenden Mob vorbei. Man sieht hier natürlich keine Fernsehkamera, diese Szene könnte den unbedarften Tagesschauer nur irritieren. Und das will man ja auf keinen Fall. In diesem Land ist alles aus den Fugen geraten, alles steht Kopf, aber genau deshalb soll das offizielle Narrativ klare Verhältnisse vermitteln. Hier die Guten, da die Bösen.

Einige Tage später werden der Chef, Finkelstein und meine Wenigkeit einen Podcast aufnehmen. Wir werden über dies und das sprechen, jedenfalls kommen wir auch zu der obligatorischen Frage, was das denn konkret für Menschen sind, die man zur linken Seite des Weges findet. Konkret: Was treibt einen jungen Menschen dazu an, schweigenden alten Leuten das „Nazi!“ förmlich ins Gesicht zu ritzen? Macht das Spaß, von einer Straßenkreuzung zur nächsten zu hasten, um ein paar Hundert Leuten den Weg zu versperren? Klopft man sich dann anschließend auf die Schulter und sagt: „Wir waren zwar nicht bei Omaha Beach dabei, aber heute Abend haben wir unseren Beitrag geleistet“?

Ganz im Ernst, ich kann es mir nicht anders erklären, als dass es sich hierbei um Geisteskranke handelt. Und das Schlimme ist, dass solche Leute nicht nur am Montagabend mit und ohne Arztkittel brüllend auf Straßenkreuzungen stehen, sondern dass sie in Parteien, Institutionen und Ministerien sitzen. 

Friedrich Fechter

Nachdem sich Fechter von den beiden Chefs die Leitung der Netzredaktion hat aufquatschen lassen, musste er mit Enttäuschung feststellen, dass die Zeiten von Olymp-Schreibmaschinen und reizenden Vorzimmerdamen vorbei sind. Eine Schreibmaschine hat er sich vom hart erarbeiteten Gehalt trotzdem gekauft. Und einen antiken Schreibtisch. Auf irgendwas muss man im Hausbüro schließlich einprügeln können, wenn die faulen Kolumnisten wieder ihre Abgabefristen versemmeln…

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