Ein alter weißer Mann, der in seinen Reden wiederholt den Unmut über seine nationale Identität ausdrückt, der sichtliche Probleme mit Deutschland, nicht aber mit Deutschstaat hat, fordert nun den „Pflichtdienst für junge Menschen“…
Jung, deutsch, männlich und – seit die Linke den Rassismus schätzen gelernt hat – natürlich weiß: Diese vier Atrribute in Kombination umreißen heute, im Jahre 2022, die am stärksten diskriminierte Gruppe in Deutschland. Als junger deutscher und damit natürlich auch weißer Mann steht man in gleich mehrfacher Hinsicht unter dem Verdacht, das personifizierte Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu sein. Als Deutscher sowieso – Mitmacher, Mitmarschierer, Mitschuldiger. Materialisten leugnen ja so etwas wie Genetik aber wenn es darum geht eine Erbschuld für das Tätervolk zu konstruieren, sind zwei deutsche Eltern und vier deutsche Großeltern dann doch ganz passabel. Das schließt natürlich auch das „Weißsein“ mit ein, denn – Achtung! Achtung! – Deutsche sind weiß, aber Weiß ist keine Farbe und das macht dann den deutschen Unmenschen in einem Zuge zum Antimenschen. Zum Untermenschen reicht schließlich der biologische Determinismus: Gott wirft die Münze und ab der 12. Schwangerschaftswoche steht die Entscheidung fest: Hänsel oder Gretel. Schuhabtreter oder Frauenbeauftragte. Potentieller Vergewaltiger oder Femen-Aktivistin. Bauarbeiter oder Grünen-Abgeordnete.
1956, elf Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, wurde in Westdeutschland die Wehrpflicht wiedereingeführt. Die DDR ließ sich damit bis 1962 Zeit. Für alle jungen deutschen Männer – nein, nicht Frauen, nur Männer! – bedeutete diese Wehrpflicht, dass sie für eine nicht unerhebliche Zeit ihr ziviles Leben gegen ein durch und durch militärisch-kontrolliertes Funktionieren eintauschen mussten. Wie schon ihre Großväter und Väter, reisten auch sie mit einem Koffer in der Hand zur Kaserne, die mitunter weit, weit weg von zu Hause war. Sie streiften dort ihre Tweetsakkos oder Lederjacken ab, um von nun an Uniform zu tragen. Man brüllte diese jungen Männer an, schickanierte sie, mitunter erhielten sie auch Prügel. Man brach sie, diese jungen deutschen Männer, in viele kleine Teile, um sie als deutsche Soldaten neu zusammensetzen zu können. Ihre Großväter und Väter mussten das, was sie auf dem Drillplatz lernten, in zwei Weltkriegen auch praktisch anwenden. Heute nennt man diese beiden Kriegsgenerationen Nazis. Ihre Opfer, ihre Verluste, ihre Schicksale interessieren den Bundespräsidenten einen feuchten Kehricht, wie ich bereits hier geschrieben habe.
Diejenigen also, die ab 1956 respektive 1962 in die west- und ostdeutschen Kasernen einrückten, waren die Enkel und Kinder zweier Kriegsgenerationen. Sie selbst sind unsere Väter, Onkel oder großen Brüder, ja vielleicht haben wir selbst noch die Pflicht gehabt zu „dienen“, denn erst 2011 beschloss der damalige Verteidigungsminister, Karl-Theodor zu Guttenberg, die Aussetzung der Wehrpflicht. Damit endete auch die Pflicht zum Zivildienst, der als „Ziviler Ersatzdienst“ in der Bundesrepublik ab 1961 als Alternative zum Dienst an der Waffe existierte.
Der Zivildienst war von Beginn an so etwas wie eine Zweite Wahl und das ließ man die Kranken- und Altenpfleger und Sozialarbeiter deutlich spüren. Natürlich gab es gute Gründe den Dienst an der Waffe zu verweigern und schon die Einführung der Allgemeinen Wehrpflicht, ein Jahrzehnt nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, erfolgte nicht ohne Kritik. Aber der Kalte Krieg hatte eine neue Realität geschaffen und gegen die Schlagkraft sowjetischer Raketen und Panzerarmeen ließ sich nur schwer argumentieren. Es brauchte also einige Folgen Schwarzwaldklinik, um den „Zivi“ im Öffentlichen Bewusstsein als das zu etablieren, was er war: Ein feiner Kerl, der eben lieber Oma Gerda das Essen reichte, anstatt sein G3 auseinanderzubauen.
All die Jahrzehnte über existierte in der Bundesrepublik also diese von Generation zu Generation weitergereichte Rückversicherung, auf die alle Deutschen, selbstverständlich auch die Frauen, zählen konnten, deren Verpflichtung allerdings nur die jungen, deutschen Männer betraf: „Du machst das jetzt anderthalb Jahre, und gut is‘!“ Und dann sitzen jung und alt während der Familienfeier zusammen und zwischen den jungen, mittelalten und alten Männern, egal aus welchem Teil Deutschlands sie kommen, egal welche Berufe sie ausüben, herrscht nach ein paar Bierchen diese Stille Eintracht in Vielfalt: „Wo hast Du gedient?“ „Man, war das ein Scheiß, damals…“ „Tolle Zeit!“ „Reinste Zeitverschwendung.“
Ich habe das oft erlebt und für besonders rührend hielt ich diese Szene auf dem Geburtstag eines Russlanddeutschen, unter dessen alten Fotos, die mit einem Diaprojektor an die Wand geworfen wurden, auch solche aus seiner Armeezeit dabei waren. Da saßen jetzt also ehemalige Feinde an einem Tisch, tranken Kaffee, Bier und Wodka und verstanden sich bestens. Pflicht, das ist ein Wort, dass man in jeder Sprache versteht.
Diese generationelle Vereinbarung jedenfalls war auch unter den Bedingungen des Kalten Krieges fragwürdig – weniger aus reaktionärer als aus libertärer Sicht. Aber: Es funktionierte, es machte die Bundesrepublik wehrhaft, es eröffnete jungen Männern einen Erfahrungshorizont, der sicherlich nicht immer schön, bisweilen sogar sehr erniedrigend war – auf den sie aber ihr Leben lang rekurrieren konnten. Diese Vereinbarung wurde schließlich von staatlicher Seite ohne großes Aufsehen aufgekündigt. Formal 2011, durch die Aussetzung der Wehrpflicht und damit auch der Zivildienstpflicht. Weniger formal, aber um so nachdrücklicher durch die Zersetzung dieses Landes, durch die Verleugnung der Existenz eines deutschen Volkes und durch die gezielte Abwertung des männlichen Geschlechts. Junge deutsche Männer haben in ihrem eigenen Land keine Lobby, keinen Minderheitenbeauftragen (für den es längst Zeit wäre), sie haben nichts, außer Pflichten: Schnauze halten, arbeiten und Steuern zahlen.
Warum sollte ein junger deutscher Mann im Jahre 2022 auch nur einen Handschlag für eine Bundesrepublik machen, die kein Land, schon gar keine Nation, sondern nur noch ein Staat sein will? Warum sollte ich mich mehrere Monate einer Armee verpflichten, in der sämtliche identitätsstiftende Tradition beseitigt wurde – in der also das Band zwischen mir in Uniform und meinen Vorfahren in Uniform gekappt wurde? Wieso sollte ich mich als junger deutscher Mann durch Regenbogenbanner, transsexuelle Offiziere oder die ungleiche Leistungsbewertung von weiblichen Kameraden erniedrigen lassen? Wieso sollte ich als junger deutscher Mann in einer Pflege- oder Betreuungseinrichtung für ein paar Euros die Stunde das Trümmerfeld der staatlichen Gesundheits-, Bildungs- und Sozialpolitik beseitigen? Und diese Frage stellt sich auch für junge deutsche Frauen – hier sogar noch einmal in einer ganz eigenen Qualität, denn wieso verpflichte ich mich in meinen besten Jahren nicht gleich meiner eigenen Familiengründung, anstatt einen staatlichen „Pflichtdienst“ abzuleisten.
Vielleicht hätte sich das alte, linke Staatspersonal, allen voran der alte, linke Bundespräsident vor ein paar Jahrzehnten fragen sollen, ob „mehr Staat“ wirklich das durch „weniger Nation“ verursachte Vakuum auffüllen kann. Er selbst diente einerseits zwei Jahre bei der Luftwaffe und kam damit, anders als viele seiner Genossen, „seiner Pflicht“ nach. Andererseits leistete er mit seiner Arbeit für einen von der DDR finanzierten Agitationsverlag seinen Beitrag für die nachdrückliche Zersetzung des alten Deutschlands. Das neue Deutschland, an dessen Spitze jetzt also der alte Bundespräsident steht, spricht lieber von „jungen Menschen“ statt „jungen Deutschen“ und man gibt sich größte Mühe, auf Werbeplakaten, die wir dann, wenn der „Pflichtdienst“ kommt, in jeder Bahnhofsunterführung sehen werden, die obligatorischen Kopftuchträgerinnen und Migrationsinhaber in die erste Reihe zu stellen. Um junge Deutsche handelt es sich dabei auch deswegen nicht, weil man ihnen das verwehrt, was man jungen Deutschen genommen hat: Eine nationale Identität, eine Erzählung, ein Band, dass sich durch die Generationen zieht. Ganz egal also, ob Steinmeiers „Pflichtdienst“ nun kommt oder nicht und ob es sich hierbei um zwei Wochen Truppenpraktikum oder vier Wochen Kindergarten handelt – auf die Frage nach dem dem „Wofür?“ steht am Ende ein saloppes „Für nichts.“