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RAF-Terroristin Daniela Klette gefasst – Der Geist hinter der Maske

1. März 2024

Fast 30 Jahre ist es her, dass die dritte Generation der linken Terrororganisation RAF in den 1990ern ihren „politischen Kampf“ einstellte und untertauchte. Der Geist, der rund zwei Jahrzehnte durch die Bonner Republik spukte und eine Spur aus Morden, Bombenanschlägen und Geiselnahmen hinter sich herzog, hatte sich in Luft aufgelöst. Zurück blieb allenfalls die Erinnerung an die allgegenwärtigen Fahndungsplakate oder die mehr oder weniger prätentiösen Bekennerschreiben, auf denen das prominente Logo der Linksterroristen prangte: ein roter Stern, armiert mit einer Maschinenpistole.

Die RAF einfach nur als Terrorgruppe zu verstehen, greift viel zu kurz. Sie war – obwohl sie das sicherlich bestritten hätte – eine geschickt in Szene gesetzte Marke. Ihr Markenzeichen war so einprägsam wie ihr Name: „RAF“ – wer, außer den Nachrichtensprechern, sagte schon „Rote Armee Fraktion“? „RAF“, das klingt wie eine anspringende Kreissäge, da verbindet sich rasante Geschwindigkeit mit enormer Brutalität. Man denke etwa an den „Deutschen Herbst“, den großen Kulminationspunkt der Bewegung: Den Auftakt zu diesem Thriller stellte die Entführung von Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer dar – mehr noch als eine Entführung eines Polit-Funktionärs der verhassten Bonner Republik war diese Aktion, die vielleicht zwei oder drei Minuten dauerte, eine kaltblütige Hinrichtung seiner vier Personenschützer.

Sehr eindrücklich in Szene gesetzt wurde dieses Massaker im 2008 erschienenen Film „Der Baader Meinhof Komplex“, der auf dem gleichnamigen Standardwerk zur RAF schlechthin basiert, dem Buch des Journalisten und Zeitzeugen Stefan Aust.

Die RAF war in der linksextremen Szene der BRD gut vernetzt und konnte sich auch auf die Unterstützung der DDR verlassen – die einen erlagen ihrem Bonnie-und-Clyde-Charme, dem Gefasel über „Großstadtguerilla“ und der offensichtlichen Tatsache, dass da ein paar Leute nicht einfach nur in verräucherten WG-Zimmern stundenlang laberten, sondern wirklich zur Waffe griffen. Für die anderen war die Terrororganisation ein nützlicher Idiot, der „drüben“ ein bisschen für Unruhe sorgte. Dass das Verhältnis zwischen dem Bonner Staat und der RAF vielleicht etwas ambivalenter war als das zwischen Gendarm und Räuber, das deutet zumindest Aust in seinem Buch an. Auch ein kettenrauchender Altkanzler hatte zwar wenig, aber Interessantes zu diesem (möglichen) Konnex zu sagen.

Die Einwebung des RAF-Mythos in die bundesrepublikanische Erzählung war jedenfalls wegweisend für die Asymmetrie, mit der seit jeher linke und rechte Ränder bedacht werden. Ungeachtet der 34 Menschen – unter ihnen charismatische und angesehene Persönlichkeiten der BRD –, die von den Linksterroristen ermordet wurden, umgibt die RAF bis heute der Mythos der verwegenen Rächer. Was sie eigentlich wollten, und zwar konkret, nicht verschwurbelt durch die Pamphlete von Ulrike Meinhof, ist eigentlich nicht klar. Anarchie? Räterepublik? Destabilisierung Westdeutschlands bis zu dem Punkt, an dem die DDR den Laden übernehmen kann? Oder ging es letztendlich gar nicht um solche Fragen? War es dann doch einfach die reine Mordlust, die die jungen Männer und Frauen antrieb? War das Herumfuchteln mit einer geladenen Waffe vielleicht auch einfach nur ein aufgeilendes Gefühl der Macht? Verselbstständigte sich das Ganze womöglich durch den Applaus der Unterstützer, das Beziehungsgeflecht der RAF-Leute untereinander und den banalen Umstand, dass ein Leben jenseits des Untergrunds nach dem entscheidenden Schritt sowieso nicht mehr möglich war?

Vielleicht bekommen wir jetzt die ein oder andere Antwort auf diese Fragen, denn am Montag konnte stolz vermeldet werden: Daniela Klette wurde gefasst! Nach über 30 Jahren Untergrund gelang es ausgerechnet einem Journalisten unter Zuhilfenahme einer Gesichtserkennungssoftware, die Terroristin zu identifizieren. Die hatte sich in einem anonymen Berliner Plattenbau eingerichtet, betrieb sogar ein Facebook-Profil unter falschem Namen (okay, wer tut das nicht) und war der linken Szene zumindest noch rudimentär wohlgesonnen. Gemeinsam mit ihren Genossen Ernst-Volker Staub und Burkhard Garweg überfiel sie dann und wann recht spektakulär Geldtransporter – die dabei verwendeten Waffen (unter anderem eine Panzerfaust!) konnten in Klettes Wohnung sichergestellt werden.

Dem Fahndungserfolg war eine neue Ermittlungsoffensive vorausgegangen – so wurden die Überfälle auf Geldtransporter, die Jahre zurückliegen, in der letzten Folge von „Aktenzeichen XY“ noch mal ausführlich behandelt. Man kann also davon ausgehen, dass die Polizei seit ein paar Monaten auf der richtigen Fährte war. Jedenfalls ist der Erfolg, den die Gesichtserkennungssoftware gebracht hat, so etwas wie die Abrundung einer kriminaltechnischen Entwicklung, die durch das Auftauchen der RAF ab 1970 erst so richtig an Fahrt gewann. Damals schaffte das BKA Großrechner an und plante aufwendige Rasterfahndungen, um dieser neuen, bisher ungekannten Gefahr des politischen Terrorismus zu begegnen. Man denke an dieser Stelle auch an die allgegenwärtigen Fahndungsplakate – für die RAF waren die Porträtzusammenstellungen mit dem roten Rand und den markigen Überschriften so etwas wie Werbung. Aber schon damals half genau diese breitflächige „Demaskierung“ bei der Ergreifung zahlreicher Mitglieder. Dass so etwas mittlerweile von einer Künstlichen Intelligenz bewerkstelligt wird, mutet dystopisch an und wäre, um sich mal des RAF-Jargons zu bedienen, „ein Ausweis für den faschistischen Bullenstaat“. Man kann das aber auch nüchtern sehen und darüber nachdenken, wie sehr ausgerechnet der politische Terrorismus zur Entwicklung der Forensik, zur Datenauswertung und allgegenwärtigen Überwachung beigetragen hat. Man ist da schnell wieder in Gefilden, die Altkanzler Schmidt mit seinem lapidaren „Belassen wir es dabei“ umschiffte.

Friedrich Fechter

Fechter studiert im Herzen Deutschlands und muss sich an seiner linksversifften Universität den typischen Gängelungen aussetzen. Er interessiert sich für Kunst, Geschichte und ist Meister der Halbsätze. Als Fechter das erste Mal ein Cover der Krautzone sah, hielt er das pixelige Layout für eine durchtriebene Werbestrategie. "Bestimmt", dachte er sich beim Durchblättern, "hier sind verschlagene Profis am Werk."


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