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Wie steht ein Reaktionär zu ‚Reichtum‘?

12. November 2021
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Reichtum, Reiche, reich: Diese Begriffspatronen sind, stets in negativer Konnotation, aus dem Magazin sozialistischer Propaganda nicht wegzudenken. Der linke Hofdichter Brecht etwa goss den ewigen Vorwurf, dass der Reiche auf Kosten des Armen reich sei, in einen oft zitierten Reim: “Reicher Mann und armer Mann standen da und sah’n sich an./Und der arme sagte bleich, wär ich nicht arm, wärst du nicht reich.”

Reichtum, das ist also Ausbeutung, das ist aber auch moralische Verkommenheit. Der Reiche prasst und verschwendet und wenn der Hunger die Massen vor die Tore des Palastes treibt, dann verkündet die französische Königin in ihrer Arroganz: “Wenn sie kein Brot haben, sollen sie doch Kuchen essen.“ Es stört an dieser Stelle wenig, dass der Satz nicht aus dem Munde Marie Antoinettes kam, sondern als bösartige Zuschreibung aus der Feder von Jean-Jacques Rousseau. Aber er passt doch so gut, nicht wahr? Außerdem liegt der Zweck politischer Propaganda nicht in der Verbreitung der Wahrheit, sondern der Etablierung der Lüge.

Ich sag es immer: Der Protestantismus ist schuld…

Reichtum, das ist also etwas, dass sich der Reiche zuerst unrechtmäßig aneignet (Ausbeutung!) und anschließend schamlos zur Schau stellt (Dekadenz!). Das ist so eine Art von Bild, das durch die Jahrtausende transportiert wurde, sich wiederfindet in Mythen, Gleichnissen und Märchen. Aber erst mit dem Aufkommen des Protestantismus scheint es sich im Konkreten zu verwurzeln, denn seit dieser Zeit erscheint uns die katholische Kirche und das Papsttum als Inbegriff der fettgefressenen Prasser, die ihre Verdorbenheit auf dem Rücken der anonymen Massen ausleben.

Es ist nur logisch, dass nach der katholischen Kirche die katholischen Machthaber von Welt sich mit diesem Vorwurf konfrontiert sehen. Während die “Protestantische Ethik” (Max Weber) den Fleiß und die Enthaltsamkeit pflegt, während der holländische Kaufmann hinter der bescheidenen Hausfassade fleißig seinen Geschäften nachgeht, baut der katholische Fürst sein Jagdschloss und vergnügt sich darin mit seinen Gespielinnen, während das Land verdorrt.

Das Ganze ist also ein Theaterstück mit drei Rollen: Der Rechtschaffene, der Reiche und der Arme. Dieser Struktur folgt auch Tom Hollands populärhistorisches Werk über den Untergang der Römischen Republik. Farbenfroh wird hier die Dekadenz eines Crassus, Pompeius und Caesars beschrieben, während der Plebs sein hochprekäres Dasein in anonymen Mietskasernen fristet. Auf der einen Seite also Individuen mit Namen, Gesichtern und pikanten Details. Auf der anderen Seite die verschmutzte Masse, die Eintagsfliegen der Geschichte. Wer aber spielt die Rolle des Gerechten? Ich vermute, der Autor selbst.

Jedenfalls: In einer Anekdote, deren Wahrheitsgehalt ich nicht überprüfen kann, schildert Holland ein besonders geschmackloses Schauspiel: Caesar baut eine Villa, nur um diese nach der Fertigstellung gleich wieder abzureißen. Frei nach dem Motto: Man gönnt sich ja sonst alles. Moralisch ist das ungefähr auf derselben Stufe, wie das Pausenbrot im Mülleimer. Aber bei genauerer Betrachtung ist die Sache komplexer.

Die Bettler sind raffiniert, die nehmen die Kohle an!

Reichtum, um bei diesem emotional aufgeladenen Begriff zu bleiben, ist höchstens in sozialistischen Diktaturen wie Nord-Korea oder Kuba maximal ungleich verteilt, sprich: Die Wenigen haben alles, die Vielen haben nichts. Tatsächlich neigen Kollektive zu einer komplexen Hierarchisierung. Unzählige Stufen führen von ganz unten nach ganz oben und überhaupt wird die Distanz zwischen den “Guten“ und den “Schlechten“ nicht allein mit einem Maß gemessen.

Ein gutes Beispiel für die unterkomplexe, weil linke, Propaganda ist die Darstellung antiker oder mittelalterlicher Gesellschaftsordnungen als obligatorische Pyramide. Wir alle kennen diesen Schmarrn aus unseren Schulbüchern und ich wüsste gerne, wann man angefangen hat sich dieser Darstellungsform zu bedienen. Sei es drum, sie ist falsch. Das Mittelalter etwa kannte reiche Bauern und arme Ritter, es kannte hochverschuldete Kaufleute und hochangesehene Handwerker. Es gab jedenfalls nicht den einen Grat, der die Oberen von den Unteren trennte. Vielmehr war die gesellschaftliche Hierarchie derart komplex, die Grenzen derart verschwommen, dass eine bestimmte Art der Zuschaustellung des eigenen Vermögens, der politischen Macht, des handwerklichen oder künstlerischen Könnens nötig war, um dem menschlichsten aller Triebe folgen zu können: Dem der Abgrenzung.

Menschen sind nicht gleich und haben das tiefe Bedürfnis diese Tatsache in jeder ihrer Entscheidungen und Handlungen auszudrücken. Wir, die wir nun in der dritten Generation durch den Wolf der amerikanisierten Massenkultur gedreht werden, verstehen diesen Drang zur Abgrenzung am ehesten in der Erscheinung von Jugend- oder Subkulturen, im Bekenntnis zu dieser oder jenen politischen Strömung, in der Präferenz der einen Kleidungsmarke oder der anderen Musikrichtung.

Als Spross des noblen Geschlechts der Julier musste sich Caesar deutlich von jenen abgrenzen, die durch Aufstieg oder Fall seinen eigenen Stand zu verwässern drohten. Wenn wir die Geschichte mit der abgerissenen Villa also glauben, und das wollen wir an dieser Stelle gerne, denn es ist eine gute Geschichte, dann riss Caesar die Villa nicht ab, um dem Pöbel seinen unverschämten Reichtum zu demonstrieren – was hatte der Pöbel schon mit einer Villa zu tun? Nein, Caesar setzte damit ein Zeichen in Richtung seinesgleichen.

Mach es uns erstmal nach!

Die Zuschaustellung von Reichtum, also das, was der Linke für “Dekadenz“ hält, war über Jahrtausende hinweg kulturstiftend. Wenn wir heute von Kunst sprechen und damit natürlich das Wahre, Schöne und Gute meinen, dann sprechen wir immer und ausnahmslos von Werken, Bildern, Statuen, Kompositionen usw., die von “den Reichen“ in Auftrag gegeben wurden. Der Linke hält den goldenen Prunk des Schlosses von Versailles für Verschwendung, wir sehen dort einen Ort, der noch nach Jahrhunderten Millionen von Besucher anlockt und als ewige Baustelle zigtausenden von Handwerkern und Künstlern eine Existenz ermöglicht.

Ich will an dieser Stelle nicht falsch verstanden werden, denn die Begeisterung, die ich für Paläste aufbringen kann (einschließlich ihrer verzweifelten Verteidigung – der heldenhafte Widerstand im Tuilerienpalast soll uns ewig ein Beispiel sein), teile ich auch, wenn ich im Nachbardorf an Gehöften vorbeispaziere, die seit hunderten Jahren allen Widrigkeiten standhalten. Über dem Eingang ist das Entstehungsjahr (das Jahr des Herrn!) eingeritzt, gefolgt von dem Namen der Erbauer und den Jahreszahlen der Renovierungen. Wo im Palast die Säulen mit Blattgold überzogen sind, hat man hier das Fachwerk mit aufwendigen Schnitzereien versehen. Bei ersterem faselt der Linke von Verschwendung, von zweiterem hat er wahrscheinlich keine Ahnung. Dabei ist die Botschaft stets dieselbe: “Mach es uns erstmal nach!“

Die Gesellschaft ist keine Pyramide, sie ist, um ein mittelalterliches Selbstbild aufzugreifen, ein Rad. Mal wird man nach oben getragen, mal fällt man hinten runter. Fleiß und Durchhaltevermögen sind wichtig, aber das Schicksal, das Glück oder wie man es auch nennen mag, spielen eine gewichtige Rolle. Der Linke sieht hier nur Ungerechtigkeit – die Einen werden benachteiligt, die Anderen bevorzugt. Selbstverständlich folgt diese Kategorisierung seiner ganz eigenen Logik. Kinderarmut in Deutschland, das war mal Schufterei in Bergwerken und Fabriken. Glaubt man den heutigen Wohlfahrtsverbänden, dann ist das angebliche „sich nicht leisten“-Können von Nachhilfestunden ein ähnlich schweres Schicksal. Im Zeitalter von kostenlosen Büchereien, lückenloser Internetversorgung und subventioniertem Schulmaterial ist das der blanke Hohn. Für jemanden, der aufsteigen will, war es noch nie so einfach.

Ich bin eigentlich kein Verächter des Massenwohlstands, aber unzweifelhaft hat der breite und selbstverständliche Zugang zu allem, was vor 150 Jahren noch Luxus war, unsere Gesellschaft müde und selbstgefällig gemacht. Warmes Wasser, ärztliche Rundumversorgung, das sich-fett-Fressen, die Technik – das alles ist dank des Kapitalismus, dank der Arbeitsteilung, dank der Mobilität und Flexibilität des Kapitals für alle Menschen in diesem Land leicht zugänglich. Die Demokratisierung des Konsums hat der Sozialismus zwar versprochen, der Kapitalismus aber erst ermöglicht. Schaut man sich unseren Wohlfahrtsstaat und das Verhältnis von Produktiven zu Unproduktiven an, dann kann man nicht ernsthaft davon sprechen, der Reiche sei auf Kosten des Armen reich. Es ist genau umgekehrt.

Friedrich Fechter

Nachdem sich Fechter von den beiden Chefs die Leitung der Netzredaktion hat aufquatschen lassen, musste er mit Enttäuschung feststellen, dass die Zeiten von Olymp-Schreibmaschinen und reizenden Vorzimmerdamen vorbei sind. Eine Schreibmaschine hat er sich vom hart erarbeiteten Gehalt trotzdem gekauft. Und einen antiken Schreibtisch. Auf irgendwas muss man im Hausbüro schließlich einprügeln können, wenn die faulen Kolumnisten wieder ihre Abgabefristen versemmeln…

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