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Reden wir über Kapitalismus – „Lässt sich da noch was am Preis machen?“

8. Juli 2022
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Die drei Bedingungen des Kapitalismus lassen sich auf jeweils ein Vorurteil reduzieren. Privates Eigentum, das ist Egoismus. Private Produktion, das ist Ausbeutung. Preisbildung an freien Märkten, das kann folgerichtig nur mit Wucher und Betrug zu tun haben. Sehen Sie, lieber Leser: So schnell lässt sich die Grundlage unseres Wohlstands, unserer Kultur und unseres Zusammenlebens diskreditieren: vage Vorwürfe, die durch die Macht der Bilder emotional aufgeladen werden.

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber in mir erzeugt das Feilschen um den genannten Preis unschöne Gefühle in der Magengegend. Es gibt Orte, da kann und sollte man ein Gegenangebot äußern: auf dem Flohmarkt etwa oder bei eBay – aber nur, wenn der Verkäufer die Option „Preisvorschlag“ anbietet. Erlebe ich hingegen in Elektromärkten, wie Kunden beim Kauf einer Waschmaschine den Preis um ein paar lächerliche Prozentpunkte herunterdrücken wollen, empfinde ich Fremdscham. So etwas gehört sich einfach nicht – im Land der Ausrufezeichen und Warnhinweise sind Preisschilder so etwas wie die in Steintafeln gemeißelten Zehn Gebote. Um die hat man doch auch nicht verhandelt, oder?

„Konditionierung“ ist hier das Zauberwort: Die Vorstellung fester, unverhandelbarer Preise ist eine vergleichsweise junge Erscheinung. Bis ins vorletzte Jahrhundert war es durchaus üblich, mit dem Ladenbesitzer um den Preis des Kochtopfs zu feilschen. Die Einführung fester, unverhandelbarer Preise hat weniger mit unserer Kultur der Verlässlichkeit als solche zu tun als mit dem schnöden Umstand, dass Zeit nun mal Geld ist und demnach das Herumlavieren den Ladenbesitzer hindert, in derselben Zeit mehrere Kunden zu bedienen. Was ich also instinktiv mit fahrendem Volk und der Floskel „was letzte Preis ????“ in Verbindung setze, ist in Wirklichkeit sozialer Austausch. Und da kommen wir der Frage nach dem Wesen des Marktes schon sehr nahe.

Märkte sind so alt wie die Menschheit selbst, wenn wir uns mal von der bildhaften Vorstellung von Verkaufsbuden lösen. Der Markt ist der Ort, aber vielmehr noch der Rahmen, innerhalb dessen die Menschen Waren, aber auch Dienstleistungen oder gar Wissen austauschen. Im Laufe der Jahrtausende hat sich das Geld als Tauschmedium etabliert – es lässt sich dem Wert des eingetauschten Gutes entsprechend abmessen, abwiegen oder zählen, es konserviert den entsprechenden Nennwert, eignet sich also damit optimal für die Lagerung oder den Transport. Schließlich hat eine Münze immer zwei Seiten, sprich: Sie ist auch Bildmedium, neben der Rolle als Wertträger also auch Botschafter. Der römische Kaiser war sowohl für die römischen Bürger als auch für die Barbaren eine sehr konkrete Erscheinung, sobald sie einen Denar aus der Tasche zogen. Der ideelle Wert des Kaisers war damit selbstverständlich auch an den konkreten Wert der Münze gebunden – verlor diese rapide an Kaufkraft, war es um den Ruf des Imperators nicht gut bestellt. In unserer aktuellen Ausgabe lernen Sie eine Menge über Inflation und Geldsysteme! Im Heft befindet sich auch ein exklusiver Teil der Reihe „Reden wir über Kapitalismus“.

Die Verdrängung der direkten Tausch- beziehungsweise Naturalwirtschaft durch die Geldwirtschaft, die in Europa nach dem Fall des Römischen Reiches erst wieder zum Ende des 12. Jahrhunderts aufblühte, kann man einerseits als Grundlage weitreichender Entwicklungen betrachten, an deren vorläufigem Ende unser ungeheurer Wohlstand steht. Andererseits verdeckt der Zusammenhang von Geld und Ware, der für uns heute der Inbegriff von Markt ist, den Umstand, dass zahlreiche Interaktionen unseres täglichen Zusammenlebens ebenfalls einer Marktlogik unterworfen sind. Die soziale Wärme, nach der wir uns alle sehnen, findet ausgerechnet hier ihren Ausdruck, wenn etwa das Rasenmähen beim Nachbarn mit selbstgemachten Kuchen entlohnt wird. Daneben hat sich in ländlichen Regionen das Bier längst als Parallelwährung zum Euro etabliert.

Der Markt – mal als Wohnungsmarkt, mal als Energiemarkt, eigentlich immer als Aktienmarkt – ist in der allgemeinen Vorstellung der Linken und leider in der zu vieler Rechter etwas Satanisches. Man ist nicht in der Lage, den Markt als Rahmen des Austauschs und der sozialen Interaktion wertneutral zu begreifen, sondern sieht in ihm eine Art von boshaftem Spiel, an dessen Ende immer ein betrügerischer Gewinner und ein übers Ohr gehauener Verlierer stehen müssen. Wie einfach ist doch die Vorstellung eines festgesetzten, allgemeingültigen Preises, nicht wahr? Oder noch besser: Jeder sollte einfach eine gleich große Zuteilung von diesem Gut und jener Dienstleistung erhalten…

Sie sehen schon, lieber Leser: Wir werden in den nächsten Kolumnen viel Spaß haben.

Friedrich Fechter

Nachdem sich Fechter von den beiden Chefs die Leitung der Netzredaktion hat aufquatschen lassen, musste er mit Enttäuschung feststellen, dass die Zeiten von Olymp-Schreibmaschinen und reizenden Vorzimmerdamen vorbei sind. Eine Schreibmaschine hat er sich vom hart erarbeiteten Gehalt trotzdem gekauft. Und einen antiken Schreibtisch. Auf irgendwas muss man im Hausbüro schließlich einprügeln können, wenn die faulen Kolumnisten wieder ihre Abgabefristen versemmeln…

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