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Max Reinhardt über seinen Einsatz (2): „Du stumpfst unglaublich ab.“

26. August 2021
in 8 min lesen

Unser Autor Max Reinhardt ist Afghanistan-Veteran. Als Kabul fiel, schickte ihm Friedrich Fechter einen ganzen Fragenkatalog. Reinhardt nahm sich also etwas Zeit. Sämtliche Bilder stammen aus seiner Einsatzzeit. Zum Teil 1 geht es hier entlang.

Was war dein erster Eindruck von Afghanistan?

Wir waren noch gar nicht auf afghanischem Boden, wir waren noch im afghanischen Luftraum, da sind wir beschossen worden (lacht). Wir saßen in einer Transall – das hast Du bestimmt schon mal in einem Film gesehen: Wenn Flugzeuge beschossen werden, dann schmeißen die sogenannte „Flares“ ab, das sind Ablenkungskörper, die die anfliegenden Raketen ablenken – das war sozusagen die „Begrüßung“. Wir kommen also in den afghanischen Luftraum und dann ging es los, unsere Transall hat diese Flares geschmissen und wir haben gemerkt: Da läuft was. Da hast Du natürlich erstmal ein mulmiges Gefühl, aber merkst dann schnell, dass das funktioniert mit den Flares oder die Afghanen mit ihren Raketen irgendwelche Noobs sind.

Und dann sind wir gelandet und da war die Anspannung dann sehr groß, weil alles sehr hektisch war. Du warst unbewaffnet, du musstest dich schnell „verladen“ und schnell ins Camp verlegen. Da war ich schon sehr angespannt, ich vermute meine Kameraden größtenteils auch. Dann waren wir im PRT (Provincial Reconstruction Team), im Feldlager Kundus, und da gewöhnst Du dich schnell an alles, weil da auch ein sehr ziviles Alltagsleben abgelaufen ist – wenn da nicht mal eben eine Rakete oder eine Mörsergranate angeflogen kam.

Im Camp-Alltag hattest Du überhaupt keine Angst oder Anspannung. Der erste Eindruck war also das unangenehme Ankommen, und als wir dann in das Camp rein sind, war das erste, was man gesehen hat – und das ist wirklich beschreibend für den ganzen deutschen Afghanistan-Einsatz – ein riesengroßes Schild: „Hier gilt die Straßenverkehrsordnung“. Du wusstest also gleich, wo die Prioritäten sind und das hat sich durch den ganzen Einsatz gezogen.

Hattest Du Angst?

Ja, während der Situation am Anfang auf jeden Fall, alles musste schnell gehen und war super hektisch. Und dann natürlich die Angst, das wir auf eine Mine fahren oder beschossen werden. Das hat sich dann aber ganz schnell gelegt und dann war es so, als wir unseren Einsatzbetrieb aufgenommen haben, nach ein paar Tagen, als wir dann begonnen haben rauszufahren und wirklich im Land unterwegs waren, da gab es dann die Phase, die ersten Wochen oder den ersten Monat, wo man definitiv Angst hatte.

Es gibt ja Arten von Angst, ich würde das als sehr krasse, funktionale Form der Angst beschreiben, nicht eine Angst, die paralysiert. Das ging mir Gott sei Dank nie so. Das ist für einen Soldaten auch wichtig und ich habe das bei meinen Kameraden auch ähnlich empfunden, soweit ich das bei denen mitbekommen habe, denn Du bist ja da in deinem eigenen Film, in deiner Parallelwelt, und Du weißt ja nicht, was bei den anderen im Kopf abgeht.

Also eine funktionale Angst in Form von Anspannung, aber was ich nie hatte, waren Albträume oder Schlaflosigkeit, das habe ich Gott sei Dank nie gehabt. Und dann ist es so, dass Du diese funktionale Angst, die Anspannung, irgendwann verlierst. Du stumpfst unglaublich ab. Es gab auch Situationen, die objektiv betrachtet total gefährlich waren, aber weil wir nach mehreren Wochen oder Monaten so abgestumpft waren, hat das gar keiner mehr so richtig gerafft. Und das ist gefährlich, dass Du deine Angst verlierst.

Das Team in dem ich war, das OMLT, hat total Schwein gehabt. Wir haben weder Verwundete noch Gefallene gehabt, aber ein anderes OMLT und andere Einheiten hatten das Glück halt nicht. In dem halben Jahr, in dem ich da war, sind sieben deutsche Soldaten gefallen und ich weiß gar nicht, wie viele in der Zeit verletzt worden sind. In meiner Situation jetzt, mit elf Jahren Abstand, denke ich, dass man da ruhig ein bisschen mehr Angst hätte haben können und vorsichtiger sein sollen. Aber wie gesagt: Glück gehabt.

Die Angst, die wir da am Anfang hatten, war, wenn wir mit unseren Dingos da in Kolonne unterwegs sind, dass wir entweder auf Minen drauffahren, also einfach nur angesprengt werden oder – und das war die größte Angst und auch die größte Gefahr, die die meisten Opfer gekostet hat – war halt die Kombination aus Sprengfalle und Hinterhalt.

Die Taliban, oder „Insurgents“ als Sammelbegriff für Taliban und anderes Gesocks, haben Sprengfallen gelegt an Engstellen und wenn dann ein NATO-Konvoi auf die Sprengfalle gefahren ist, dann haben die die anderen Soldaten, die ausgestiegen sind, um Rettungsarbeit zu leisten, um die Verwundeten zu versorgen, unter Feuer genommen.

Also klassische Hinterhalte, das war eigentlich die große Sorge: Du wirst erst angesprengt und wenn Du dich um die Verletzten und Verwundeten kümmerst, wirst Du selber beschossen. Da kann man sich nicht vor schützen – das passiert oder eben nicht. Weil Du das nicht kontrollieren kannst und keine Chance hast das irgendwie zu beeinflussen, stumpfst Du nach kurzer Zeit komplett ab.

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Du hast viele Stunden hinter dem Lenkrad des Dingos, eines gepanzerten Fahrzeugs, verbracht . Baut man mit der Zeit eine gewisse Verbindung zu so einem Fahrzeug auf, besonders wenn man weiß, dass das eigene Leben vom Funktionieren dieses Fahrzeugs abhängt?

Ich kann die Frage gut nachvollziehen, aber ich bin ein wenig materialistischer Mensch. Zu so Sachen wie Autos oder einem Dingo baue ich keine Verbindung auf (lacht). Es gibt ja Leute, die gehen darin auf an ihrem Auto zu schrauben, aber so etwas interessiert mich nicht so sehr. Autos oder andere Maschinen sind für mich immer Gebrauchsgegenstände. Ich habe zu dem Dingo eine ganz pragmatische Beziehung gehabt, keine zärtliche oder fürsorgliche. Es war für mich einfach nur ein Pflichtprogramm, das Ding halbwegs sauber zu halten und zu tanken.

Mir fällt da noch eine schöne Anekdote ein: Du hast in Afghanistan mit diesem feinen Staub zu tun und der hat auch immer die Scheiben von Fahrzeugen… -fast schon verschmiert. Das ging halt schnell, du hast die Fenster sauber gemacht und nach kurzer Zeit waren die wieder stark verstaubt. Scheibenwischer sind nur begrenzt dagegen angekommen, das heißt, du musstest häufig die Dinger richtig per Hand putzen.

Bei dieser Mission, wo wir den kaputten Transportpanzerwagen abholen mussten, das war am Arsch der Welt an einem Außenposten, da waren auch Kampftruppen, die auf besagtem Außenposten herumgeeiert haben. Wir kommen also da an, stehen rum, machen Pause, bereiten uns so langsam wieder auf den Rückmarsch vor, und einer von den Soldaten dort war verletzt und wollte zurück mit ins PRT Kundus. Er kam also mit zwei seiner Kameraden zu uns und die fragen, ob wir noch einen Platz frei haben für den Verwundeten. Ja, wir hatten noch einen Platz frei und wollten das denen gerade sagen, als der Kommandant von meinem Dingo, ein Hauptmann, vorbeikommt und mich auf die Scheiben anspricht: „Stabsunteroffizier Reinhardt, machen Sie mal die Scheiben sauber.“ Für die Soldaten des Außenpostens war das so symbolisch – die einen haben was an der Pfanne um auf so eine Scheiße zu achten, während die anderen da draußen sind um zu kämpfen. Die mussten halt lachen, wir auch und die meinten dann, dass sie sich eine andere Mitfahrgelegenheit suchen…

 

Wie haben deine Kameraden den Einsatz empfunden?

Das kann ich nur mutmaßen. Du kannst dir bestimmt vorstellen, dass man in so einer Männerrunde nicht so viel über seine Gefühle redet. Das war natürlich alles funktional, wir haben über Einsätze und unsere Erlebnisse gesprochen, aber eben nicht auf einer so tiefen Ebene.

Ich würde also sagen, dass ich mir da kein wirkliches Urteil anmaßen kann. Ich kann nur vermuten, dass das eine bunte Mischung war: Der eine hat halt mehr oder weniger darunter gelitten und es dem anderen hat es vielleicht sogar Spaß gemacht. Ich kann also nicht viel dazu sagen, außer, dass ich es nie erlebt habe, dass jemand einen Nervenzusammenbruch hatte oder eine Angstattacke – so etwas habe ich nie erlebt.

Ich habe auch nie erlebt, dass einer großkotzig war. Ich habe meine Kameraden insgesamt als relativ ausgeglichen empfunden. Aber Du kannst den Leuten nicht in den Kopf gucken.

Wo sich alle einig waren, nach dem Einsatz und über die Einheit hinweg, war die große Unzufriedenheit mit der Bundeswehrführung und der politischen Führung insbesondere, der Ausrüstung, der Ausstattung, die Versorgung mit allen möglichen Sachen – also das ganze Drumherum – das hat überhaupt nicht gepasst.

 

Gab es gefährliche Situationen?

Ja, gefährliche Situationen gab es definitiv, wie gesagt, in dem halben Jahr sind sieben deutsche Soldaten gefallen und ich weiß nicht wie viele verwundet worden. Wir selbst haben ja immer Glück gehabt, aber wir hatten auch zahlreiche Gelegenheiten, wo etwas hätte passieren können.

Ich weiß noch, einmal, da waren wir auf einer Mission ganz weit weg vom Camp und ich stand in einer Ecke von einem abgeschirmten Bereich, in dem wir Stellung bezogen haben. Dieser Bereich ist erst vor wenigen Stunden freigekämpft worden und da waren in der Nähe noch Kampfhandlungen. Ich stehe da also in so einer Ecke und war gerade pissen, und auf einmal kommt da eine Mörsergranate angerauscht. Das kennst Du vielleicht aus Filmen oder Spielen, die Mörsergranaten haben so ein charakteristisches Pfeifen.

Du hörst also dieses Pfeifen und denkst: „Das hast Du doch schon einmal irgendwo gehört…“ – und dann fliegt plötzlich eine Mörsergranate durch die Gegend. Was machst Du also jetzt mit deinem Schwanz in der Hand beim Pissen? Nichts. Du bleibst natürlich stehen und hoffst einfach, das nichts passiert.

Es ist dann auch nichts passiert, die ist mit deutlicher Entfernung irgendwo eingeschlagen, ich war also nicht davon bedroht. Aber das weißt Du vorher nicht. Und das ist halt wieder so eine Sache: Du kannst das alles nicht kontrollieren. Das ist alles Glück und Zufall.

Es gab auch andere Sachen: Wenn beim Schießtraining afghanische Kinder auf die Schießbahn gerannt sind, um die Hülsen zu sammeln, die sie dann beim Schrotthändler verkaufen. Oder, dass uns irgendwelche Leute in ihren Fahrzeugen begleitet bis verfolgt haben und man nicht wusste, was die wollten.

Oder, vielleicht hast Du davon schonmal gehört, das ging vor allem im zweiten Halbjahr 2010 los, das war bei uns noch nicht so krass, aber es gab eine Phase, da war das schlimm: Diese sogenannten „green on blue Attacken”. Das bezeichnet eben solche Vorfälle, dass afghanische Nationalsoldaten oder Angehörige der Sicherheitskräfte halt „Taliban-Schläfer“ sind. Die tragen die Uniform der afghanischen Streitkräfte, werden von denen ausgebildet und bezahlt, sind aber im Herzen Taliban. Und die eröffnen dann aus dem Nichts heraus im richtigen Moment das Feuer auf NATO-Truppen.

Da hast Du dann so Situationen gehabt, wo ein Einziger von den Wichsern zehn Amis oder so umgelegt hat, um das mal bildlich zu machen. Das hätte also immer passieren können, weil wir mit den Afghanen ständig zusammengearbeitet haben. Ist uns aber zum Glück nie passiert.  

Oder Raketen- und Mörserbeschuss im PRT, im Feldlager, das kam auch regelmäßig vor. Und da hast Du gesehen, dass die Bundeswehr völlig…- die ist ein Querschnitt durch die deutsche Gesellschaft und auch geisteskrank, das muss man ganz klar so sagen. Die „Bunker“ waren für uns, wenn wir uns bei Raketenalarm sammeln mussten, aus ISO-Containern und Sandsäcken gebaut – da haben wir alle gar nicht reingepasst.

Das heißt, es haben also immer Leute vor diesen Bunkern gesessen oder gestanden. Das ist halt bescheuert, wenn Mörsergranaten oder Raketen angeflogen kommen und da einschlagen, dann sind ganz viele auf einmal tot. Das ist also total dumm, man müsste sich eigentlich verteilen, wenn man nicht alle in den Bunker reinbekommt. Weil das aber zu unübersichtlich ist und der Schwerpunkt wahrscheinlich auf der Übersichtlichkeit für die Offiziere lag, war das so.

Und weil der deutsche Michel und insbesondere der Soldat bei so einer Scheiße dann auch mitmachen, war das
so. Man hat dann eben auf dem Präsentierteller gesessen.

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Hast Du an den Sinn des Einsatzes geglaubt?

Ja, an den Sinn des Einsatzes habe ich damals tatsächlich geglaubt, insbesondere daran, was wir gemacht haben. Wir wollten oder sollten ja die Afghanen dazu befähigen, ihr Land selber mal zu beschützen und da habe ich tatsächlich dran geglaubt. Ich habe deswegen im Einsatz nie eine Sinnkrise gehabt oder so. Ich habe immer nur über die Bundeswehr und den Schwachsinn und den Dummfick geschimpft oder die politische Führung und die Medien, aber den Einsatz für sich habe ich damals für vernünftig gehalten – oder zumindest berechtigt.

 

Lesen Sie im nächsten Teil, was Max Reinhardt rückblickend von seinem Einsatz und der derzeitigen Lage hält!

Max Reinhardt

Max Reinhardt arbeitet in Hyperborea an einem geheimen Forschungsprojekt zur Entwicklung einer Zeitmaschine, um die Geburt von Karl Marx, Karl Lauterbach und weiterer Sozialisten zu verhindern. Nebenbei schreibt und trainiert er und ruft entgegen behördlichen Anordnungen zu gemeinschaftlichen Wanderungen auf.

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