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Verteidigt Kiew auch unsere „westlichen Werte“?

1. Februar 2023
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Als Putins Truppen am 24. Februar letzten Jahres völkerrechtswidrig in ihr Nachbarland einfielen, lauteten im Westen die ersten Durchhalteparolen: „Die Ukraine darf nicht verlieren“, „Rußland darf nicht gewinnen“. Heute, fast ein Jahr später und nach Finanzhilfen sowie Waffenlieferungen in Milliardenhöhe, heißt es unzweideutig und unisono: „Die Ukraine muß gewinnen“, „Rußland muß verlieren“.

Warum? Weil die Ukraine, auch wenn sie weder der EU noch der NATO angehört, in ihrem Abwehrkrieg gegen den russischen Aggressor angeblich auch für „unsere, für die westlichen Werte“ kämpft – sich also für Frieden und Freiheit, für Demokratie, Liberalismus und Rechtsstaatlichkeit einsetzt. Wer den aus wohlfeilen Propagandafloskeln gewebten Vorhang lüftet, muß indes feststellen, daß die Realität wenig mit jenen Idealen zu tun hat.

Das ukrainische Volk, seit Jahrhunderten von mächtigen Nachbarn unterjocht und mannigfaltig fragmentiert, ringt bis heute um seine sprachliche, kulturelle und ethnische Einheit. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der voreiligen Proklamierung der Unabhängigkeit (1991) ist dieses Volk erstmals erfolgversprechend auf dem Weg, eine zusammengeschweißte Nation zu werden, die das Recht hat, in einem souveränen Staatsgehäuse zu leben.

Für den grün-linken Mainstream, der in vielen westlichen Ländern – nicht zuletzt in Deutschland – die vorherrschende Meinung bestimmt, sind Volk, Nation und Staat jedoch reaktionäre Entitäten, die es zu überwinden gilt. Ziel ist vielmehr die Realisierung jener schon von den Wegbereitern der Aufklärung und der französischen Revolution sowie von Philosophen wie Immanuel Kant ersehnten Utopie einer Weltrepublik, weil wir doch letztlich alle Menschen sind, die nicht durch nationalstaatliche Grenzen getrennt werden dürfen. Wer angesichts dieser Vision nicht „weltoffen“ und „tolerant“ ist, gilt als altväterlich-verstockt, kurz als „Rechter“, der sich hierzulande seit mindestens zwei Jahrzehnten einem medialen Trommelfeuer ausgesetzt sieht.

Die von den Eliten verachtete Trinität von Volk, Nation und Staat, die gegenwärtig die ukrainische Seele umtreibt, hat somit nichts mit „westlichen Werten“ gemein. Wahre Ursache der bis zur Begeisterung gesteigerten Teilnahme am Schicksal der Ukraine ist einzig deren imposanter Widerstand gegen Rußlands Überfall. Ausgehend von der geopolitischen Strategie der USA, bietet Kiews Abwehrkampf somit die willkommene Gelegenheit, Moskau entscheidend zu schwächen. Es sei nämlich, so die Mutmaßung der Transatlantiker, das Ziel Putins und seiner Entourage, unter dem Schirm ihrer Nuklearwaffen ein Land nach dem anderen zu erobern, um Rußland so groß zu machen, wie es einst die Sowjetunion war. Früher oder später würde Moskau daher selbst das Baltikum oder Polen angreifen, was zwangsläufig zur Konfrontation mit der NATO führen werde. Um das zu verhindern, müsse die Ukraine rechtzeitig so gestärkt werden, daß die Putin unterstellten Pläne zum Scheitern verurteilt sind.

In diesem Szenario, das sicher nicht aus der Luft gegriffen ist, wird auf beiden Seiten va banque gespielt, denn niemand weiß, wo der andere seine rote Linie zieht. Deshalb tasten sich die USA und ihre europäischen Verbündeten Schritt für Schritt voran: Zu Kriegsbeginn schreckte Washington noch davor zurück, der Ukraine schultergestützte Stinger-Raketen zu liefern, doch mittlerweile hat der Westen sogar Kampfpanzer zugesagt, und manche Regierungen signalisieren schon die Bereitschaft, auch von Kiew angeforderte Kampfflugzeuge zu liefern.



Leidtragender ist in jedem Fall das ukrainische Volk, dessen Heimat sich zu einer täglich größer werdenden Trümmerlandschaft aus Schutt und Asche entwickelt. Doch auch jenseits des verheerenden Krieges gehört es zur Tragik der Ukraine, daß sich ihr Volk zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt als tragfähige nationale Einheit gefunden hat, denn in EU-Europa ticken die Uhren seit langem anders: Traditionelle Werte wie Familie und Ehe zählen nichts mehr, angesagt sind sexuelle und geschlechtliche Vielfalt. Priorität hat der Umbau der Gesellschaft zu einem multikulturellen und multiethnischen Gemeinwesen; nationale Alleingänge sind aus der Zeit gefallen und werden als „ethnozentrische Ressentiments“ verurteilt.

Es fragt sich daher, wie lange noch der bis zum Rassismus gesteigerte ukrainische Russenhaß von den westlichen Eliten goutiert wird. Schließlich ist er längst übergeschwappt und zwingt hierzulande russische Künstler und anderweitig Prominente, entweder einen Anti-Putin-Kotau zu machen oder auf den öffentlichen Auftritt zu verzichten. In der Ukraine hat der Russenhaß kürzlich sogar die Grenze zum völkischen Chauvinismus überschritten, als das Datum des Weihnachtsfestes verschoben wurde, um die Geburt Christi nicht zeitgleich mit den Russisch-Orthodoxen feiern zu müssen.

Ein weiterer Punkt, der die tonangebenden Eliten des Westens beunruhigt, ist die erst Ende Januar wieder ins Rampenlicht geratene Korruption in zwei Kiewer Ministerien. Ein Vizeminister wurde wegen Annahme einer Schmiergeld-Zahlung von 400.000 Dollar verhaftet und seines Amtes enthoben. Ein anderer Vizeminister trat zurück, weil er Lebensmittel für Soldaten zu überhöhten Preisen gekauft haben soll. Im Ranking der Antikorruptions-Organisation Transparency International rangiert die Ukraine bis heute nur auf Platz 122, dicht gefolgt von Niger und Mexiko. Im Bericht des Europäischen Rechnungshof für 2021 wird Kiew systematischer „Machtmißbrauch auf hoher Ebene“ vorgeworfen. Gegenmaßnahmen seien bisher „unwirksam“ geblieben.

In diesem Zusammenhang ist interessant, daß die Süddeutsche Zeitung 2022 im Rahmen einer Recherche über die Luxusvillen und Yachten russischer und ukrainischer Oligarchen auch auf Wolodomir Selenskyj gestoßen war. Der heute auf allen TV-Kanälen präsente Staatschef soll 2018 für 4,5 Millionen Euro eine Villa in Forte dei Marmi an der toskanischen Küste gekauft haben. „Er war ja früher ein erfolgreicher Komiker“, hieß es damals (26. März) lapidar in der SZ, bis heute hat man nichts mehr darüber gehört. „Euer Kampf ist unser Kampf!“ rief EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bei ihrem Kiew-Besuch am 8. April 2022. Ob das so bleibt…?

Peter Kuntze

Kuntze wurde 1941 in Kiel geboren und hat nach Abitur und Wehrdienst eine verlagskaufmännische Lehre in Hamburg absolviert. Anschließend ein Redaktionsvolontariat in Ansbach. 1968 gelang ihm der Sprung nach München zur Süddeutschen Zeitung, wo er als außenpolitischer Nachrichtenredakteur sein Brot bis 1997 verdient hat. Nebenbei schrieb Kuntze etliche Kinderbücher, zwei Romane und acht politische Sachbücher über China. Seine konservative Wende geschah in den letzten Berufsjahren.

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