Dunkel
Hell
Dunkel
Hell

Winnetou – Wir oder die

26. August 2022
in 5 min lesen

Wenn sich das Glück einer deutschen Kindheit irgendwie konzentrieren lässt, dann in den Geschichten rund um den Apachenhäuptling Winnetou. Eine solche Erzählung – ob am Kinderbett vorgelesen, am Sonntagnachmittag im Fernsehen angesehen oder auf dem Schulhof nachgespielt – bindet ein Volk aneinander. Die Abenteuer des tapferen Indianers und seiner treuen Weggefährten sind eine kollektive Erfahrung, sie entfalten ihre Wirkung in die Horizontale und Vertikale, also innerhalb einer Generation und als empfangener und weitergegebener Mythos von einer Generation zur anderen. Wer von unseren Vorfahren oder gar unseren Kindern die Winnetou-Geschichten las, hörte, sah oder nachspielte, der war bei etwas Großem dabei: Auch wir schworen Blutsbrüderschaft, auch wir kämpften gegen Santer, auch wir trauerten um unseren großen Häuptling.

Der Ravensburger-Verlag hat jetzt eine zum entsprechenden Kinofilm erscheinende Kinderbuchinterpretation vom Markt genommen. Der angebliche Auslöser – ein Shitstorm. Was ist ein Shitstorm? Kein laues Lüftchen, nein! Ein Sturm aus Scheiße. Für so etwas braucht es schon sehr große Ärsche – man verzeihe mir die Unflätigkeit –, und anscheinend können die Gesinnungsterroristen von Woko Haram so eine Sauerei veranstalten. So könnte man zumindest meinen, wenn man jetzt der Fährte der Empörungsbewirtschafter folgt.

Screenshot: „Bild“

Dort hält man fest am Glauben an die „radikale Minderheit“. Das suggeriert wiederum die Existenz einer gemäßigten Mehrheit. Und da frage ich mich doch gleich, wie eine zugegeben radikale, aber von mir doch angezweifelte Minderheit eine solche Macht entfalten kann und seit nunmehr fünf (?), 10 (?), 15 (?) Jahren einen #aufschrei nach dem anderen initiiert – aus dem digitalen Nirwana, wohlgemerkt – und damit jedes verdammte Mal durchkommt. Jedes einzelne Mal knickt ein Wissenschaftler, ein Politiker, ein Journo, ein Verlag, ein Produzent, ein Unternehmen und weiß der Geier wer noch ein, wenn mal wieder von Scheißestürmen die Rede ist. Ganz ehrlich, wieso? Wie kann das sein? Wie kann eine angebliche Minderheit eine solche Macht aufbauen? Wieso stoppt ein privater Verlag, also ein marktwirtschaftlicher, am Gewinn interessierter Akteur, die Auslieferung gleich zweier Versionen eines Kinderbuchs, das mit dem begleitenden Kinofilm ein Kassenschlager geworden wäre? Das ist einfach nur dumm. Völlig bescheuert. Kafkaesk. Mit normalen Maßstäben überhaupt nicht mehr einzuordnen. Also für unsere bescheuerte Zeit dann wieder doch ganz normal. Man lese etwa die offizielle Erklärung des Verlages, die, wie könnte es heutzutage anders sein, auf der Bildplattform Instagram veröffentlicht wurde.

„Wir haben die vielen negativen Rückmeldungen zu unserem Buch ‚Der junge Häuptling Winnetou‘ verfolgt und wir haben heute entschieden, die Auslieferung der Titel zu stoppen und sie aus dem Programm zu nehmen.

Wir danken Euch für Eure Kritik. Euer Feedback hat uns deutlich gezeigt, dass wir mit den Winnetou-Titeln die Gefühle anderer verletzt haben. Das war nie unsere Absicht und das ist auch nicht mit unseren Ravensburger Werten zu vereinbaren. Wir entschuldigen uns dafür ausdrücklich.

Unsere Redakteur*innen beschäftigen sich intensiv mit Themen wie Diversität oder kultureller Aneignung. Die Kolleg*innen diskutieren die Folgen für das künftige Programm und überarbeiten Titel für Titel unser bestehendes Sortiment. Dabei ziehen sie auch externe Fachberater zu Rate oder setzen ‚Sensitivity Reader‘ ein, die unsere Titel kritisch auf den richtigen Umgang mit sensiblen Themen prüfen. Leider ist uns all das bei den Winnetou-Titeln nicht gelungen. Die Entscheidung, die Titel zu veröffentlichen, würden wir heute nicht mehr so treffen. Wir haben zum damaligen Zeitpunkt einen Fehler gemacht und wir können euch versichern: Wir lernen daraus!“

Hier äußert sich kein Verlag, dem zuvor die Scheiben eingeworfen und die Autos abgefackelt wurden. Nein, hier äußert sich ein Verlag, dem die Selbstzensur, der theatralisch exerzierte Kniefall vor der kulturmarxistischen Ideologie und ihrer postmodernen Kirche regelrecht zu gefallen scheint. Was wir da lesen, ist keine Erklärung, es ist ein orwellesk formuliertes Glaubensbekenntnis. Form und Inhalt entsprechen genau dem Ritus der Regenbogenreligion. Hier, Hohepriester, der Genderstern! Hier, Hohepriester, unser Bekenntnis, dass wir in Zukunft auch gedenken, Kinderhirne auszuwringen!

Es ist ein Kult. So etwas betet schon lange keine Minderheit mehr an, dieser Häresie hat sich die Mehrheit in den wichtigsten westlichen Ländern längst unterworfen. Deswegen funktioniert es auch. In den meisten Repliken zu diesem neuen Ritualmord an unserer Kultur klingt doch immer dieser hündische Unterton mit. Dieses selbstgefällige Ausbreiten des Vernunft-Bestecks: „Höhö, liebe Genderidiot*innen, ihr habt anscheinend ‚Winnetou‘ nicht gelesen, denn sonst wüsstet ihr, dass… blablabla.“ Als ob ein Kulturmarxist unter einer temporären geistigen Umnachtung litte, nur um dann vom „Welt“-Medizinmann Broder geheilt zu werden. „Danke, Sie hatten recht! Mir muss jemand auf der Uni ins Gehirn gehustet haben, aber jetzt bin ich wieder normal und habe richtig Hunger auf ein Zigeunerschnitzel.“ Und war es nicht ausgerechnet die „Welt“, die noch vor Kurzem… ach, egal.

Man kommt Woko Haram nicht bei, indem man zum zwanzigsten Mal sattelfest nachweist, das der Autor von Buch X oder der Regisseur von Film Y nicht in rassistischer, sondern in bester Absicht gehandelt hat. Das hier ist keine Debatte und schon gar kein „Diskurs“, der auf einer sachlichen Grundlage geführt wird. Das hier ist Kulturkrieg. Deswegen darf man gerade hier, bei einem so populären Kulturgut wie Winnetou, nicht die Emotionen der Normies in Selbstgefälligkeit erschlaffen lassen. Hier muss aufgepeitscht werden, hier muss metaphorisch das passieren, was in allen Winnetou-Filmen passiert, wenn die bösen Jungs mal wieder in die Stadt kommen: Gewehre werden ausgeteilt, Posten besetzt, Augen zusammengekniffen. Einmal muss es reichen.

Denn was Woko Haram hier betreibt, ist ein seit Jahrzehnten perfekt betriebener Kreislauf: Mal aus der Anonymität heraus, mal offen, blähen ein paar Ärsche. Daraufhin kippt das Opfer um. Die angebliche Mehrheit empört sich laut, aber kurz. Und kann dann doch nicht verhindern, dass unser Reden, Handeln und Denken immer eingeengter, immer öder, immer kontrollierter wird. Die Mehrheit macht am Ende eben doch das, was Woko Haram will. Es läuft scheibchenweise – wahrscheinlich hat damals, im unbekannten Jahr des Herrn, irgendein einsamer Kellner „Zigeunerschnitzel 7,99 €“ vom Werbeschild gewischt und dabei gestöhnt: „Irgendwann schnappen sich die Bastarde auch Winnetou!“

Kulturmarxismus ist ein Virus. Ein Virus, das sollten wir jetzt langsam alle wissen, mutiert. Es entwickelt sich fort, es passt sich an. Der Kulturmarxismus unserer Tage wurde vor allem in den sozialwissenschaftlichen Fakultäten in Frankreich, Deutschland und den Vereinigten Staaten ausgebrütet und schließlich auf die Menschheit losgelassen. Im Westen, wo zwei Weltkriege die Immunsysteme der Völker zerrüttet haben, wütet das Virus und tötet jeden Tag. Es tötet den Glauben, die Kulturen und die Familien. Es vergiftet unser Zusammenleben, es versaut uns unsere großen Erzählungen, es zersetzt unsere Kunst, unsere Musik, unsere Malerei, unsere Bühnen. Es beherrscht unsere Sprachen, es vernebelt unser Denken, es isoliert uns, macht uns einsam, depressiv, verwundbar, kurzum: beherrschbar.

Durch meine Kindheit und Jugend zogen sich vier große, fantastische Erzählungen: Das waren „Winnetou“, „Harry Potter“, „Star Wars“ und „Der Herr der Ringe“. Jeder Junge und die meisten Mädchen meines Alters sind ebenfalls mit mindestens zwei oder drei dieser Erzählungen groß geworden. Jede dieser Erzählungen ist mittlerweile dem Kulturmarxismus auf irgendeine Weise zum Opfer gefallen, wurde also umgedeutet, umgeschrieben, neuverfilmt, nach links gebogen.

Erzählungen wie diese sind unsere Kultur. Und ja, natürlich sind sie Teil unserer Identität. Sie begleiten uns, von Kindertagen an, durch‘s restliche Leben. Wir haben sie empfangen, und wir geben sie weiter, und genau das, das macht diese Geschichten für uns heilig. Es sind Mythen. Wer an diesen, an unseren Mythen die Axt ansetzt, der setzt sie direkt an uns an. Wer auf Winnetou schießt, der schießt auch auf uns.

Friedrich Fechter

Nachdem sich Fechter von den beiden Chefs die Leitung der Netzredaktion hat aufquatschen lassen, musste er mit Enttäuschung feststellen, dass die Zeiten von Olymp-Schreibmaschinen und reizenden Vorzimmerdamen vorbei sind. Eine Schreibmaschine hat er sich vom hart erarbeiteten Gehalt trotzdem gekauft. Und einen antiken Schreibtisch. Auf irgendwas muss man im Hausbüro schließlich einprügeln können, wenn die faulen Kolumnisten wieder ihre Abgabefristen versemmeln…

Mehr vom Autor

Krautzone als Print – jetzt abonnieren!

Kampf gegen Staatsmedien und linken Einheitsbrei