Dunkel
Hell
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Wo standen wir letztes Jahr?

16. Dezember 2022
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Meiner Erinnerung nach war das ausgehende letzte Jahr von nur einem Thema beherrscht: der drohenden Corona-Impfpflicht. Es war wie eine schwarze Wolke, die sich, seit dem Sommer anschwellend, gelegentlich in heftigen Gewittern entlud, aber nicht verziehen wollte. Die Arbeitstage unterlagen dem Rhythmus der Testung: Termin buchen, frühmorgens Schlange stehen, Müttern dabei zusehen, wie sie ihre heulenden Kinder zum Containerfenster hochhievten, das obligatorische „Tut auch gar nicht weh“ irgendeiner in Plastik eingewickelten Medizinstudentin, schließlich stand man selbst vor dem Fenster, streckte den Kopf in den Nacken, ließ sich ein Stäbchen in die Nasenhöhle rammen – es tat weh, sehr sogar –, und dann lief man zur Arbeit und schaute alle paar Minuten auf die App: Wann bin ich endlich negativ?

Es war die gezielte Erniedrigung des Einzelnen durch das System, die sich auch nach der ritualisierten Testung fortsetzte: An den Pforten hatte man artig seinen Hygieneausweis zu zücken, noch nie ging es der Security-Branche so gut wie im letzten Jahr. Das Hygieneregime nahm hier eine altbekannte Erscheinungsform an: Uniformität, Blockwartmentalität und schnarrender Ton auf der einen Seite, Vereinzelung, Angst und hastig-devotes Befolgen auf der anderen Seite.

Nachrichten, private Gespräche, Erlebnisse, Werbespots – von überall hagelte es ein: „Lass dich impfen. Die Experten sagen, die Impfung schützt. Willst du sterben? Willst du, dass andere sterben? Lass dich impfen.“ Es war eine verdammte Dystopie, ein Albtraum, aus dem man nicht mehr aufwachen konnte. Ärger, Streit, Angst – Millionen Deutsche haben das vor ziemlich genau einem Jahr erlebt. Kurz vor Weihnachten war es am schlimmsten.

Diese Erfahrung hat einen berechnend und unversöhnlich gemacht. Man hat gelernt, wozu ein Staat und seine angeschlossenen Institutionen in der Lage sind – und wozu nicht. Mit blanker Verachtung blickt man auf den zusammenschmelzenden Rest jener Fanatiker herab, die einen letztes Jahr zur selben Zeit wahlweise zwangsimpfen, einsperren oder das Sorgerecht entziehen wollten. Obwohl ihre Regierung mittlerweile andere Prioritäten hat, müssen sie die alte Leier weiter bespielen: Sie haben sich letztes Jahr zu tief in etwas hineingesteuert, und da kommen sie nun nicht mehr raus.

Jedenfalls: Zum Jahreswechsel klarte der Himmel langsam auf. Im Bundestag verhandelte man zwar über die allgemeine Impfpflicht, aber Anfang Januar war irgendwie klar – das kriegen die nicht mehr durch. Auch in den Medien drehte sich langsam der Wind. Ganz sachte, aber spürbar für jeden, der die Monate zuvor in die Mangel genommen worden war. Und dann, am 24. Februar, war das Thema endgültig vorbei. In der Ukraine fielen die Bomben…



Wir hatten in einigen Artikeln Ende letzten Jahres die drohende Kriegsgefahr thematisiert. Auch das war ein Gewitter, das sich Monate im Voraus ankündigte. Dass der Krieg dann aber Corona derart in den Schatten stellen würde, damit hatte von uns niemand gerechnet. Nach zehn Monaten schwerer Kämpfe und einer sich zuspitzenden Energiekrise – das Thermometer zeigt bei mir gerade minus acht Grad Celsius – sieht es erst mal so aus, als ob Krieg und Krise auch im neuen Jahr die beherrschenden Themen bleiben. Ob sich die Lage noch weiter zuspitzt oder gar entspannt, kann keiner sagen. Alles ist offen, zumindest offener als Ende letzten Jahres.

Ein merkwürdiges Jahr neigt sich dem Ende zu. Die Kolumnistenmannschaft tritt den wohlverdienten Weihnachtsurlaub an und wird Sie, lieber Leser, in zwei Wochen, pünktlich zum Beginn des neuen Jahres, wieder mit werktäglichen Artikeln versorgen. Ich möchte mich an dieser Stelle bei Ihnen allen für die Treue bedanken. Ich hoffe, dass die Netzseite der KRAUTZONE sich die Lorbeeren auch im Jahr 2023 verdient.

Wenn wir also in den nächsten Wochen bei Teelichtschein unsere kalten Ravioli löffeln sollten, vergessen wir nicht: Letztes Jahr um die Zeit war auch nicht alles besser.

Friedrich Fechter

Nachdem sich Fechter von den beiden Chefs die Leitung der Netzredaktion hat aufquatschen lassen, musste er mit Enttäuschung feststellen, dass die Zeiten von Olymp-Schreibmaschinen und reizenden Vorzimmerdamen vorbei sind. Eine Schreibmaschine hat er sich vom hart erarbeiteten Gehalt trotzdem gekauft. Und einen antiken Schreibtisch. Auf irgendwas muss man im Hausbüro schließlich einprügeln können, wenn die faulen Kolumnisten wieder ihre Abgabefristen versemmeln…

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