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Der wahre CHAD: Richard Burton

28. Oktober 2020
in 6 min lesen

Von U. B. Kant

Der kleine Bäckersohn aus Wales hat sich für heute Großes vorgenommen. Er solle endlich raus gehen und sich Freunde suchen, hatte der Vater, der Klavierspielen und Lesen als reichlich eigenbrötlerische Hobbys seines Sohnes ansah, ihm mit auf den Weg gegeben. Doch Freunde finden, als Junge, der sich für Bücher mehr interessiert als für Fußball, im verschlafenen Bergarbeiterland der frühen 1950er Jahre?

Großbritannien hat den Weltkrieg gewonnen und sein Weltreich verloren. Ein Hoch auf das Kino, welches Ablenkung von Inflation und Lebensmittelmarken bietet. Der einsame Bäckersohn kann kaum genug von den verschärften Streifen bekommen, in denen Amerikaner im vergangenen Jahrhundert ausschließlich auf Pferden durch die Prärie jagen und in diesem Jahrhundert nur in geräumigen Penthouse-Wohnungen mit Blick auf den Park und gut gefüllten Hausbars samt Tresen und Barhockern leben. Väter kommen in diesen Erzählungen stets unversehrt aus dem Krieg zurück. Dabei sind es längst nicht nur amerikanische Darsteller, die eleganten Damen mit schmissigen Sprüchen am Casino-Tisch aushelfen, wenn sich deren Börse leert. Die neue Weltmacht schätzt den Charme der alten. Jede Dialogzeile klingt so viel kultivierter, wenn ein Brite sie mit tiefer Stimme im gepflegten Oxford-Englisch ausspricht.

Und auf genau diesem Ticket soll ein junger Mann aus dem Kohlerevier des morschen Empires bereits den Sprung über den großen Teich geschafft haben, als hochbegabter Shakespeare-Darsteller von den kleinen walisischen Bühnen kommend über die Londoner Theaterszene bis an den New Yorker Broadway und vielleicht schon bald nach Hollywood. Seinen derben walisischen Akzent musste sich der Sohn eines früh verstorbenen Alkoholikers und Bruder von zwölf Geschwistern auf dieser Ochsentour zwingend abgewöhnen.

Aber noch soll der nunmehr berühmteste Sohn der Stadt hier ein Haus besitzen. Und der Bäckersohn kennt die Adresse. All seinen Mut zusammenraffend klingelt er an der Haustür des aufstrebenden Stars. Die Tür öffnet sich und vor ihm steht ein überdurchschnittlich großer Mann Mitte zwanzig, in Schlafanzughose und Unterhemd, das seine muskulösen Arme unbedeckt und seine Bauchmuskeln im Relief erkennen lässt. Ein kerniges Gesicht voller Rasierschaum lächelt dem Bäckersohn entgegen, als der sein Idol schüchtern um ein Autogramm bittet. Wie er denn heiße, fragt der junge Mann mit der markanten Stimme seinen noch jüngeren Fan und schreibt: „Von Richard Burton. Für Anthony Hopkins.“

Die Tür schließt sich und die Wege des Bäckersohns und des aufstrebenden Schauspielers trennen sich wieder, dessen Karriere von den frühen fünfziger Jahren an keine andere Richtung als steil bergauf mehr kennt. In den USA der 1950er-Jahre gehört Richard Burton an der Ostküste zu den gefragten Broadway-Darstellern, an der Westküste ergattert er zwei Nominierungen für den Oscar. Er ist bekannt, sogar berühmt, aber noch kein Mega-Star, als er auf solch einen trifft.

„I had a lot of grilfriends before, but none of them was so f****** famous“, wird er später über jene Frau sagen, die seinen und deren Mythos er mitbegründen wird: Elisabeth, genannt Liz Taylor. Die damals schönste Frau der Welt und bestbezahlte Schauspielerin Hollywoods war von Kindesbeinen an ein Publikumsliebling und hat für „Telefon Butterfield 8“ bereits einen Oscar gewonnen, als Richard Burton sie zum ersten Mal auf einer Pool-Party trifft, freilich ohne großen Eindruck auf sie zu machen. Im Jahr 1963 führt die Arbeit an dem Monumentalepos „Cleopatra“ die beiden erneut zusammen. Liz Taylor spielt die Titelrolle, Richard Burton gibt den ihr verfallenen Marcus Antonius. Der Film wird ein Publikumsmagnet, aber treibt das Studio fast in die Pleite. Nur die Heerscharen an zahlenden Zuschauern können den vor teuer eingekleideten Statisten und üppigen Kulissen nur so wimmelnden Historienschinken gerade so aus der Verlustzone hieven.

Die Chemie stimmt, nicht nur auf der Leinwand. Burton und Taylor werden kurz darauf ein Ehepaar, das in der westlichen Klatschpresse sogar dem britischen Königshaus den Rang abläuft. Wer Taylor und Burton nicht kennt, lebt hinterm Mond, um den Amerikaner und Russen sich gerade einen erbitterten Wettlauf liefern. Die überwältigende Beliebtheit des Paares steht im auffälligen Gegensatz zum kommerziellen Erfolg ihrer weiteren gemeinsamen Filme. Seine größten Leinwanderfolge feiert Richard Burton in diesen Jahren mit Filmen ohne Liz Taylor. Für das Drama „Becket“ erhält er seine dritte Oscar-Normierung, für den Spionage-Thriller und Kassenschlager „Der Spion, der aus der Kälte kam“ seine vierte. Burtons und Taylors gemeinsamer Kostümfilme „Der widerspenstigen Zähmung“ nach William Shakespeare spiegelt dagegen eher die innere Erstarrung Hollywoods Mitte der 1960er-Jahre wieder. Es sind die Jahre, da die Ära des „Golden Hollywood“ zu Ende geht und erst der Wagemut junger Männer wie Martin Scorsese oder Francis Ford Coppola im „New Hollywood“ frischen Wind bringt, bevor wiederum der Einfallsreichtum junger Männer wie Steven Spielberg oder George Lucas das Tor zum Zeitalter der Blockbuster aufstößt.

Hinter der Kamera spielt sich das eigentliche Drama ab. Burton und Taylor streiten sich, ertränken Frust und Leistungsdruck im Alkohol. Der fließt in immer raueren Mengen, gern auch mal beim Kampftrinken mit dem jugoslawischen Diktator Tito auf dessen idyllischen Inseln. Beide sind Kettenraucher und für Burton bedeutet Ketterauchen: Achtzig bis einhundert Zigaretten am Tag. Er hält sich für den besseren Charakterdarsteller, sie weiß um ihren überlegenen Ruhm. Nennt Taylor ihn ein „Pickelgesicht“, giftet Burton zurück, sie habe zwar phantastische Augen, aber eben auch ein Doppelkinn und zu kurze Beine.

Von den Streitigkeit des Ehepaares lebt ihr wohl bekanntester Film nach „Cleopatra“: Die Verfilmung des Theaterstücks „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“ wird 1966 zum Kritikerhit und Kassengift. Mit der suizidalen Schriftstellerin aus Richmond hat der Film wenig zu tun, vielmehr handelt die Geschichte von einem in die Jahre gekommenen Akademikerpaar, das spät nachts sternhagelvoll nach Hause kommt und ein jüngeres Paar verführt, sie beim Weitersaufen in der Wohnung zu begleiten. Was für eine gute Gelegenheit für die verkrachten Eheleute, sich bis zum Sonnenaufgang mal alles an den Kopf zu werfen, was den einen an dem anderen schon immer gestört hat. Heute lebt das nur noch mäßig provozierende Theaterstück ganz und gar vom Mythos der Verfilmung, in der die beiden Hauptdarsteller mehr ihr Privatleben als das Drehbuch nachspielten.

Und für ihr Privatleben birgt der Film weiteren Zündstoff. Bei der Oscarverleihung am 10. April 1967 ist Burton für die beste männliche, Taylor für die beste weibliche Hauptrolle nominiert. Beide gelten in ihren jeweiligen Kategorien als haushohe Favoriten. Taylor gewinnt. Bereits zum zweiten Mal. Burton geht leer aus. Bereits zum fünften Mal. Eine Demütigung.

Als die Ehe 1974 geschieden wird, steht die Boulevardpresse Kopf. Erst Recht, als Burton und Taylor sich ein Jahr später in Botswana erneut das „Ja“-Wort geben. Doch diese zweite Ehe geht bald wieder in die Brüche.

Auch beruflich sind die 1970er-Jahre für Richard Burton ein durchwachsenes Jahrzehnt. Noch zwei Mal wird er für den Oscar als bester Hauptdarsteller normiert. Ein sechstes und ein siebtes Mal muss er einem Rivalen den Vortritt lassen. Zum Schluss hält er sich mit Auftritten in Filmen wie „Der Exorzist Teil II – Der Ketzer“ oder „Steiner– Das eiserne Kreuz Teil II“ über Wasser.

Doch auch Liz Taylor hat ihre besten Tage hinter sich. Eine Generation jüngerer Schauspielerinnen kämpft sich in die erste Reihe vor, das „New Hollywood“ bietet Charakterdarstellerinnen wie Diane Keaton, Ellen Burstyn oder Meryl Streep eine Chance. Liz Taylor gehört jetzt zur alten Garnitur. Ihre beste Filmrolle nach der zweiten Scheidung von Burton ist die der versoffenen Filmdiva auf der Suche nach dem großen Comeback und der Rache für alte Wunden in dem nostalgischen Miss-Marple-Schmöker „Mord im Spiegel.“ Sie heiratet einen Maurer, den sie in einer Entzugsklinik kennen lernt.

Für Burton winken Anfang der 1980er-Jahre wieder attraktivere Rollenangebote. Anlässlich des einhundertsten Todesjahres Richard Wagners spielt Burton 1983 das deutsche Jahrhundertgenie in einem aufwändigen Fernsehmehrteiler der BBC. Im darauffolgenden Jahr, das allein mit seiner Zahl beklemmende Schatten vorauswirft, spielt Burton die Rolle des vorgeblich systemkritischen Kerkermeisters O’Brien in der romangetreuen Verfilmung von Georg Orwells „1984“. Die Dreharbeiten finden von Januar bis Juni 1984 genau zu genau den Zeiten und an eben jenen Orten statt, die Orwell in seinem Jahrhundertroman beschrieb. Vielleicht ein Grund, warum der Film genau ins Zentrum eines Alptraums trifft, in dem Burton noch ein letztes Mal glänzen kann.

Die Kinopremiere im Herbst 1984 wird Burton nicht mehr miterleben. Jahrzehntelanger Alkoholmissbrauch und exzessives Kettenrauchen fordern ihren Tribut. Am Ende seiner Kräfte verbringt Burton den Sommer in der Schweiz. Ahnt er sein baldiges Ende? „My home is where you are. And I want to come home“, schreibt Richard Burton am 02. August 1984 an seine zweimalige Ex-Frau. Der Brief erreicht Liz Taylor einen Tag nach Richard Burtons Beerdigung. Liz Taylor wird diesen Brief bis an ihr Lebensende aufbewahren. Und mit in ihr Grab nehmen.

Am Abend des 30. März 1992 wird der schüchterne Bäckersohn von einst auf die Bühne des Dorothy-Chandler-Pavillons gerufen. Eigentlich hatte er keine Lust, heute Abend überhaupt in das besagte Theater zu gehen. Die Show könne er sich doch genauso gut im Fernsehen ansehen. Kathy Bates, die Vorjahressiegerin der Damen, öffnet den magischen Briefumschlag, verliest den darin geschriebenen Namen, der wider Erwarten nicht auf den Favoriten Nick Nolte sondern auf Anthony Hopkins lautet. Der schüchterne Bäckerjunge von einst hat den Oscar in der Kategorie bester männlicher Hauptdarsteller für die Rolle des Dr. Hannibal Lector in „Das Schweigen der Lämmer“ gewonnen.

Sichtlich überrascht blickt Anthony Hopkins ins Publikum und in die Fernsehkameras, die das Gesicht eines Mannes in seinen Fünfzigern einfangen, der zwischenzeitlich ebenfalls Karriererückschläge und Alkoholabstürze verschmerzen musste. In seiner Dankesrede erwähnt Anthony Hopkins seiner Mutter daheim in Wales, die ihrem frischgebackenen Oscarpreisträger von einem Sohn vor dem Fernseher zuschaut. Er erinnert an seinen Vater, der mehr als ein Jahrzehnt zuvor verstarb. Und er erwähnt sein Vorbild aus frühsten Jugendtagen, dem er einst nacheiferte und das er jetzt zumindest formal übertroffen hat.

U. B. Kant

Der U. B. Kant wurde 2009 erst zwei Tage nach der Bundestagwahl volljährig, sonst hätte er noch mit beiden Stimmen die Steinmeier-SPD gewählt. Heute lebt der U. B. Kant im besten Deutschland, das es jemals gab, und möchte sein Gesicht bei freien Meinungsäußerungen lieber verbergen. Seinen Ahnen entsprechend setzt es sich zusammen aus Lüneburger Heidjen, Ostwestfalen und Ostpreußen. Schädelvermesser könnten angesichts einer solch feinsinnigen Vereinigung der Schöngeister ablesen, dass der U. B. Kant die gesammelten Werke von Shakespeare, Schiller und Sophokles nicht nur dekorativ im Bücherregal stehen, sondern deren Lektüre auch nach zehn Seiten abgebrochen hat.

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