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Corrie Barklimore, CC BY 2.0, Wikicommons; https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Stack_of_old_Enid_Blyton_books.jpg

Die Enid-Blyton-Methode

19. November 2020
in 6 min lesen

Die Londoner Dead Poets Society hat zum traditionellen Nachmittagstee geladen. Am Tisch der herausragenden britischen Kinderbuchdichter erwarten Charles Dickens und Enid Blyton ein neues Clubmitglied. Heute Morgen verkündete der vom Butler frisch aufgebügelte „Daily Telegraph“, Joanne Rowling, Schöpferin des „Harry-Potter“-Universums, sei gestern Nacht an den Folgen eines Attentates erlegen. Die Mitglieder des „Exekutionskommandos Alexandria Ocasio-Cortez“ hätten sich bereits zu dem Anschlag bekannt. In der Begründung hieß es, Joanne Rowlings Weigerung, Frauen als „Menschen, die menstruieren“ zu bezeichnen sei unverzeihlich gewesen, ihre Geburt musste rückgängig gemacht werden.

Verschämt gesteht der „Daily Telegraph“ ein, Joanne Rowling habe Millionen Kindern auf dem gesamten Erdball das Lesen gedruckter Bücher wieder schmackhaft gemacht und nach einem Jahrzehnt der Videospiele und Gameboys eine ganze Generation vor dem Analphabetismus gerettet. Dieses Argument kann der „Guardian“ selbstverständlich nicht gelten lassen. Kaum bis gar keine Kinder in muslimischen Ländern wie Saudi-Arabien, der Türkei oder Birmingham hätten sich für die hochkomplexe und facettenreiche magische Welt aus der Feder Joanne Rowlings begeistern können, was eindeutig die Schuld der westlichen Schöpferin gewesen sei.

Mit spitzen Worten bemängelt auch der „Daily Mirror“, Joanne Rowlings späte Beteuerungen, zumal vom Wortlaut der Bücher nicht gedeckt, Dumbledore sei immer schon schwul und Hermine stets dunkelhäutig gewesen, könnten nicht über Hass und Hetze hinwegtäuschen, die Joanne Rowling in ihren Büchern gegenüber Minderheiten gesät habe.

In den abtrünnigen Provinzen, so stellen die Mitglieder der Dead Poets Society fest, gratuliert die „New York Times“ den Buttersäure-ins-Gesicht-Kipper*innen und der „San Francisco Chronicle“ bewundert die Bücherverbrennungen, die vor dem Nancy-Pelosi-Institut für plastische Chirurgie stattfinden. Was „Spiegel“, „Zeit“ und „Süddeutsche Zeitung“ auf Verlangen des „Gesicht zeigen! Für ein weltoffenes Deutschland e.V.“ über Joanne Rowlings Ableben schreiben, interessiert in der Dead Poets Society niemanden.

Treffen sich zwei Kinderbuchautoren…

Pünktlich um fünf Uhr erscheint, was von Joanne Rowling übrig geblieben ist. Charles Dickens erhebt sich und bietet der neu gewonnen Dame einen Stuhl an. Die fühlt sich sehr geehrt, wie der geistige Vater des „Oliver Twist“ und des „David Copperfield“, den Helden ihrer Kindheitstage, sie umgarnt. Dank ihrer spätviktorianischen Erziehung weiß auch Enid Blyton sich zu benehmen und begrüßt Joanne Rowling von Frau zu Frau, die sich zu Lebzeiten mit dem Mythos der englischen Internatswelt kein schlechtes Zubrot verdient haben.

Angewidert schlägt Joanne Rowling die ausgestreckte Hand aus. Was Enid Blyton eigentlich in diesem erlauchten Kreise zu suchen hätte, sie habe nur für ganz, ganz kleine Kinder schreiben können und sei überhaupt eine große Lügnerin gewesen. Kein Kind erlebe in Wahrheit das von Blyton beschworene englische Landleben. Mit der gleichen Fassung, mit der Enid Blyton schon den Sommer 1940 durchgestanden hat, hört sie Joanne Rowling weiter zu, als die ihr vorwirft, sie habe immer nur den plumpen Gegensatz beschrieben zwischen gut erzogenen Mittelklassekindern und hinterhältigen Gaunern, die nie aus dem englischen Bürgertum aber immer aus dem Ausland stammten. Bei Blyton stünde Mutti den ganzen Tag in der Küche und backe Apfelkuchen während der selbstverständlich kriegsunversehrte Papi draußen den Garten pflege und das Auto repariere.

Keine dieser von Blyton erfunden Familien kenne Geldsorgen, obwohl Kinder schon früh die Bedeutung von Geld im Alltag kennen lernten und trotz Schuluniformen genau wüssten, welche Schulkameraden arm und welche reich seien. Und vor allem hegten ihre adrett gekleideten Mittelklassehelden nie einen schmutzigen Gedanken, wünschten sich nie Alkohol zu trinken oder Zigaretten zu rauchen und seien überdies völlig hormonbefreit, nie am jeweils anderen der beiden Geschlechter interessiert. Worte wie die letzten verschafften Frau Rowling ihren vorzeitigen Zutritt in die Dead Poets Society.

Kritik von Leuten über zwölf…

Enid Blyton verzieht keine Miene, nickt höflich und hört sich den langen Sündenkatalog an, anhand dessen Frau Rowling indirekt erklärt, was ihr in den tatsächlich wesentlich vielschichtigeren „Harry Potter“-Romanen besser gelungen ist. Dann erwidert Enid Blyton höflich: „Kritik von Leuten über zwölf interessiert mich überhaupt nicht.“

Denn diesen Satz hielt Enid Blyton schon zu Lebzeiten bereit, als ihr genau dieselbe Kritik entgegenschlug: Selbst für englische Verhältnisse sei ihr Satzbau zu schlicht und ihr Wortschatz zu schmal. Die klischeehaften Charaktere seien zu einseitig gezeichnet und betrieben gern mal Klassenkampf von oben. Viel zu weiße Kinderbanden suchten sich immer den ältesten Jungen als Rädelsführer. Der bespräche dann Strategie und Taktik mit den sich ihm unterordnenden Jungen, während die Mädchen sich ohne Widerworte in die Küche zurückzögen und den Abwasch erledigten.

Und schlimmer noch: Die Kinder liebten diese Geschichten. Britische Bibliotheken mussten in den 1940er und 1950er Jahren sogar Quoten für Nicht-Enid-Blyton-Bücher einführen. Verlage gingen dazu über, selbst solche Bücher als Werke Enid Blyton auszugeben, die Enid Blyton gar nicht geschrieben hatte. Selbstredend schwappte die Enid-Blyton-Welle rasch auf Westeuropa und Nordamerika über und erreichte sogar die Küsten Japans. Auf die schon zu ihren Lebzeiten schärfer werdende Kritik an Stil und Aussage ihrer Bücher antwortete Enid Blyton stets: „Kritik von Leuten über zwölf interessiert mich überhaupt nicht.“

Ihr Erfolg sprach für sie

Als die gute Frau 1968 den Zugang in die Dead Poets Society fand, hatte sie weit über 100 Millionen Bücher verkauft, weshalb Geldsorgen im Hause Blyton wahrscheinlich wirklich kein Thema mehr waren. Doch kaum hatte Blyton ihren ersten Fünf-Uhr-Tee mit Charles Dickens genossen, machten sich ihre kommerziell weniger bis gar nicht erfolgreichen Kritiker daran, Blytons Bücher aus öffentlichen Bibliotheken und Schulen zu verbannen.

Insbesondere Frauen, deren eigene Kinder aus akademischen Kopfgeburten bestanden, übten vor allem in den 1970er Jahren Druck aus, die Progressionsbremse Kind nicht mehr in Kontakt mit den scheinbar reaktionären, in Wahrheit völlig unpolitischen und gerade deshalb so beliebten Büchern Enid Blytons kommen zu lassen. Diese Akademikerinnen legten Wert auf Bücher, die Mädchen ermutigten, in Männerrollen zu schlüpfen und sich in deren Domänen durchzusetzen. Margaret Thatcher stürzte diese linken Blyton-Verächterinnen in eine schwere Identitätskrise.

Kindheitserinnerungen

Noch in den 1990er-Jahren verfilmte die schon damals linkslastige BBC eine leicht modernisierte Fassung der „Fünf Freude“-Reihe, die ich mir als Kind schon aufgrund der eleganten englischen Oldtimer sehr gern angesehen habe und die am Zeitgeist des Jahres 2020 gemessen wie ein Propaganda-Film aus dem White-Supremacy-Faschismus anmutet. Da hilft auch die kleine Georgina nichts, die bereits in den Enid-Blyton-Büchern mit ihrem angeborenen Geschlecht hadert und größten Wert auf den Namen George legt, was ihre Umgebung nach allerlei Augenrollen und trotz gelegentlicher Neckereien auch anerkennt.

Inzwischen treibt die Abkehr von der Enid-Blyton-Methode ganze Konzerne zum Insolvenz – oder Subventionsantrag. Enid Blyton ist nicht eine der meistübersetzten Schriftstellerinnen aller Zeiten, hat inzwischen nicht sechshundert Millionen Bücher verkauft, weil sie ihre Leserschaft gegen eine andere, vermeintlich moralisch überlegene austauschen wollte. Immer behielt Enid Blyton ihre Zielgruppe im Auge, deren Wünsche sie intuitiv erfassen und erfüllen konnte.

Globohomos wollen es nicht verstehen

Enid Blyton betrieb weder Marktforschung noch bestellte sie externe Berater ein, die ihr empfahlen, das Portfolio radikal zu ändern, ihren Kundenstamm zu diversifizieren, durch kritisches Weißsein neue Märkte in Randgruppen mit noch viel diverseren Untergruppen zu erschließen und auch politisch eine Haltung einzunehme, um ein Zeichen für dieses und gegen jenes zu setzen. Da Asta-Vertreter, Irgendwas-mit-Medien-Dozenten und Soziologieprofessoren zumindest körperlich älter als zwölf Jahre sind, entging Enid Blyton auch dem Unheil der Universitäten.

Ein Mann, der in seiner Jugend ebenfalls ein Internat besuchte, dort aber garantiert nicht „Hanni und Nanni“ gelesen hat, wandte die Enid-Blyton-Methode trotzdem konsequent an, als er im Jahr 2016 gezielt Wahlkampf in Florida und ansonsten fast ausschließlich im ehemals industriellen Rostgürtel von Pennsylvania über Ohio bis rauf nach Michigan betrieb. Seine Rivalin predigte dagegen über die LGBTQ-Community in den ohnehin blau wählenden Staaten New York und Kalifornien. Sie provozierte bei ihr wohl gesinnten Zuhörern höhnisches Gelächter, als sie über den „basket of deplorables“ lästerte, derweil sie sich in Wisconsin nicht einmal blicken ließ. Umso länger waren die Gesichter bei Clinton News Network (CNN), als in der Wahlnacht 2016 der Staat Wisconsin für einen gewissen Donald Trump stimmte und ihn damit über die magische Grenze von 270 Wahlmännern hievte.

Es ist eben die alte Schule…

Die Produzenten der „James Bond“-Filme haben mit der Besetzung von Lashana Lynch als künftige 007 klar gestellt, in Zukunft massiv gegen die Enid-Blyton-Methode zu verstoßen. Das Desaster an der Kinokasse ist mit dieser „Jane“ Bond vorprogrammiert. Auf der nach unten hin offenen Kathleen-Kennedy-Skala markieren die feministische Neuverfilmungen von den „Ghostbusters“ und den „Drei Engeln für Charlie“, die ebenso heftig gefloppten „Birds of Prey – The Emancipation of Harley Quinn“ oder die achte Staffel von „Games of Thrones“ nur die vorläufigen Tiefpunkte.

Und wer weiß, vielleicht wären auch die Staatskirchen heute nicht so leer, die SPD nicht tot, die CDU noch Volkspartei, womöglich wäre die FDP nie an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert, vielleicht steckten die Auflagen von „Spiegel“, „Stern“ und „Süddeutsche Zeitung“ nicht im Keller und hinter der FAZ noch immer ein kluger Kopf, wahrscheinlich brächte Disney sehenswerte „Star-Wars“-Filme ins Kino und Gillette noch Herrenrasierer an den Mann, wenn sie alle sich an die Enid-Blyton-Methode gehalten hätten.

U. B. Kant

Der U. B. Kant wurde 2009 erst zwei Tage nach der Bundestagwahl volljährig, sonst hätte er noch mit beiden Stimmen die Steinmeier-SPD gewählt. Heute lebt der U. B. Kant im besten Deutschland, das es jemals gab, und möchte sein Gesicht bei freien Meinungsäußerungen lieber verbergen. Seinen Ahnen entsprechend setzt es sich zusammen aus Lüneburger Heidjen, Ostwestfalen und Ostpreußen. Schädelvermesser könnten angesichts einer solch feinsinnigen Vereinigung der Schöngeister ablesen, dass der U. B. Kant die gesammelten Werke von Shakespeare, Schiller und Sophokles nicht nur dekorativ im Bücherregal stehen, sondern deren Lektüre auch nach zehn Seiten abgebrochen hat.

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