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Faßbender, Julia, CC BY-SA 3.0 DE, Wikicommons; https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Bundesarchiv_B_145_Bild-F088851-0032,_Bonn,_BMF,_Empfang_Ernennung_Bundesbankpr%C3%A4sident.jpg

Schwarzer Mittwoch

24. November 2020
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Am Donnerstag, dem 17. September 1992 trauten meine Eltern sich nicht, in der Londoner Underground Deutsch zu sprechen. Die Gesichter der morgendlichen Berufspendler waren hinter ihren Zeitungen verborgen, aber von der „Sun“ über die „Times“ bis hin zum „Guardian“ und dem „Daily Mirror“ kannten

Zur selben kehrte der britische Schatzkanzler Norman Lamont aus der nächtlichen Krisensitzung in Brüssel heim und verkündete, die gestrige Erhöhung des britischen Leitzinssatzes von 10 auf 15 Prozent zurückzunehmen. Auch die angezogene Zinsschraube hatte dem freien Fall des britischen Pfundes am vorherigen Tag keinen Einhalt geboten. Einige Stunden später nahm die sozialdemokratische Opposition in einer Sondersitzung des Unterhauses den konservativen Premierminister John Major nach allen Regeln britischer Debattierkunst in die Mangel.

Staatskrise auf englisch

Gewohnt schmallippig musste John Major erklären, warum er und seine Regierung im Amt blieben, nachdem das Pfund an einem einzigen Tag gegenüber dem Dollar und der D-Mark bis zu einem Viertel seines Wertes verloren hatte. Nicht einmal im europäischen Währungssystem konnte Großbritannien Mitglied bleiben. Dabei hatte John Major das europäische Währungssystem stets als Wundermittel im gegen Inflation und nationalistische Engstirnigkeit gepriesen. In der Bilanz der Bank of England klaffte eine Vermögenslücke von mehreren Milliarden Pfund. Der Prestigeverlust und das allgemeine Gefühl einer nationaler Erniedrigung waren in Geld in nicht zu beziffern.

Den Schuldigen an diesem Desaster schienen britische Journalisten in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag noch vor Redaktionsschluss gefunden zu haben: Die deutsche Bundesbank, ihr damaliger Präsident Helmut Schlesinger vorneweg. Mit ihrer Weigerung, die deutschen Leitzinsen noch weitgehender zu senken, habe die Bundesbank das Pfund im europäischen Währungssystem gezielt unter Druck gesetzt und dessen Absturz herbeigeführt.

Gott strafe England

Nicht einmal Hermann Görings Reichsluftfahrtministerium habe so viel Schaden über Großbritannien ergossen wie Helmut Schlesingers Bundesbank. Auf diese Erzählung konnte sich das verzweifelte Königreich in seiner Wut schnell einigen und Sachbücher mit derartig kruden Thesen rasch die Bestsellerlisten erklimmen. Auch die Bezeichnung „Black Wednesday“ hatte am besagten Mittwoch noch vor Redaktionsschluss die Runde gemacht.

Der „Black Wednesday“ spielt im deutschen Gedächtnis keine Rolle, außer vielleicht bei einem gewissen Horst Köhler, der als Staatssekretär an der nächtlichen Krisensitzung in Brüssel teilnahm. Als Vertreter Deutschlands wiesen ihm seine europäischen Freunde den gewohnten Platz auf dem Sünderbänkchen mit der Aufschrift „For Germans Only“ zu.

Auch Bundebankpräsident Helmut Schlesinger konnte sich in diesen Tagen nicht über einen Mangel an als Interviewfragen verkappten Anklageschriften der europäischen Presse beschweren. Schon gar nicht aus Großbritannien und Italien, dessen Lira am „Black Wednesday“ ebenfalls abgestürzt war und Italien auch aus dem europäischen Währungssystem gekegelt hatte.

Er strafe es

Aber Helmut Schlesinger ließ sich moralisch nicht erpressen. Schon Wochen vor und noch am „Black Wednesday“ selbst hatten italienische Beamte, um Schlawinertum und Gaunerwitz nicht verlegen, immer wieder bei Helmut Schlesinger angerufen und ihn aufgefordert, Italien doch bitte, bitte aus dessen Krise zu helfen. Schlesinger könne auf deutschen Preisschildern doch bestimmt noch die einen oder anderen Nullen dazusetzen. Vor die Kommata verstehe sich. 10 Downing Street, das Wesen einer unabhängigen Notenbank noch nicht verstehend, hatte stets beim von Gesetzes wegen unzuständigen Bundeskanzler Kohl angerufen und dort nach niedrigeren Leitzinsen verlangt.

Während Helmut Kohl irgendwann einfach nicht mehr ans Telefon ging, stand Helmut Schlesinger selbstbewusst vor, während und nach dem „Black Wednesday“ zu seiner Entscheidung, den deutschen Leitzinssatz nicht in dem von Großbritannien und Italien gewünschten Ausmaß zu senken. Die leichte deutsche Zinssenkung vor dem „Black Wednesday“ sei im Hinblick auf die Inflationsgefahr in Deutschland schon äußerst grenzwertig gewesen. Noch niedrigere deutsche Leitzinsen gefährdeten die Preisstabilität.

Die als Journalisten getarnten Ankläger deutscher Stabilitätskultur und Ordnungspolitik ließen nicht locker. Aber wenn doch die Rezession in ganz Europa wütete und im Spätsommer 1992 mehr und mehr auch Deutschland erreichte, müssten die deutschen Leitzinsen doch drastisch sinken.

It´s the Bundesbank, stupid!

Darüber konnte Helmut Schlesinger nur müde lächeln: Wirtschaftspolitik sei nicht die Aufgabe der Bundesbank, sondern der Bundesregierung. Wie die Wirtschaft auf der Grundlage stabiler Preise wachsen könne, sei Angelegenheit die Regierung und falls ihr dieser Kraftakt missglücke, müsse die Regierung ihr Scheitern eben den Wählern erklären. Die Bundesbank hüte nur die Preisstabilität, zu mehr habe der Bundestag die Bundesbank nicht ermächtigt.

Da die Bundesbank im Gegensatz zu anderen europäischen Notenbanken unabhängig und an Weisungen der Regierung nicht gebunden war, sei eine Bundesbank, die eigenständige Wirtschafts-und Finanzpolitik betreibe, sogar eine Gefahr für die Demokratie. Im Gegensatz zur Regierung unterliege die Bundesbank keiner parlamentarischen Kontrolle und ihr Vorstand müsse sich keiner Wahl durch das Volk stellen. Wenn Großbritannien und Italien ihre Arbeitslosigkeit und Inflation nicht in den Griff bekämen, lägen die Ursachen hierfür zunächst in Großbritannien und Italien. Alles andere liefe gerade auf eine deutsche Einmischung in innere Angelegenheiten der europäischen Nachbarn hinaus.

Jaja, öhm natürlich, das öhm das sei öhm schon irgendwie öhm richtig, aaaaaaaaaaaaber, setzten die an diesem Punkt geistig überforderten Bundesbank-Kritiker floskelhaft an, um Zeit zum Nachdenken zu gewinnen. Aaaaaaaaaaaaber, führten sie schließlich fort, Deutschland habe eben eine besondere Verantwortung für ganz Europa und müsse sich endlich mal solidarisch mit seinen Nachbarn zeigen. Auch eine längere Einleitungsfloskel hätte zu keinem klügeren Argument geführt.

Das waren noch Bankiers

Wer zum „Black Wednesday“, seiner Vorgeschichte und seinen Nachwirkungen recherchiert, stößt voller Erstaunen und Wehmut auf deutsche Bundesbanker, ach was, deutsche Bundesbankiers, die weltweit ihres gleichen suchten. Die Präsidenten der Bundesbank verstanden sich noch als Schutzpatrone des deutschen Sparers und hießen nicht Jean-Claude Trichet, Mario Draghi oder Christine Lagarde, sondern Helmut Schlesinger, Karl Otto Pöhl oder Otmar Emminger.

Diese alten weißen Männer pochten noch auf den Wortlaut, den Sinn und Zweck von Gesetzen und verkündeten nicht einfach ohne Parlamentsbeschluss ein „Moratorium“ geltenden Rechts, wenn der Regierung geltendes Recht gerade nicht ins ideologische Tagesgeschäft passte. Hätte es 1992 schon das Internet gegeben, ein Helmut Schlesinger wäre nie auf die Idee gekommen, über Facebook und am Bundestag vorbei zu erklären, das Bundesbankgesetz für Italiener und Briten nicht mehr anzuwenden und schon gar nicht zu prüfen, ob es sich überhaupt um Briten und Italiener handele.

Hätten verwöhnte Gören aus Hamburger Villenviertelen gefordert, die Bundesbank solle anstatt deutscher Bausparverträge und Lebensversiche
rungen lieber „das Klima“ schützen, indem sie gezielt Vereine und Verbände eben jener Gören mit Frischgeld aus der Notenpresse versorge, wäre ein Wilhelm Vocke wohl aus allen Wolken gefallen und hätte sich an Ludwig Erhards Weisheit erinnert, wonach Frechheit und Dummheit immer gepaart aufträten.

Unter einem Bundesbankpräsidenten Karl Blessing oder Karl Klasen musste das Bundesverfassungsgericht nicht herumdrucksen, die Notenbank handele zwar jenseits ihrer Kompetenz, die Kompetenzüberschreitung sei auch erheblich, öhm aaaaaaaaaaaaber öhm eben öhm … nicht offensichtlich willkürlich, alles gut.

Aus Helmut Schlesingers Interviews nach dem „Black Wednesday“, noch keine dreißig Jahre her und doch wie in einem anderen Zeitalter verschüttet, sprach der Hüter einer Währung, deren Scheine nicht wie Spielgeld aus dem Monopoly-Kasten aussahen. Ein Hüter, der die Grenzen seiner gesetzlichen Ermächtigung kannte, um keine weitere Ermächtigungen bat und sie sich nicht einfach anmaßte.

In der Welt der Inflationsbekämpfer, Sparbuchbeschützer und Kaufkraftverteidiger setzten die Helmut Schlesingers international den Goldstandard. Nicht ohne Grund sagte ein Franzose, nicht alle Deutsche glaubten an den lieben Gott, aber alle an die Bundesbank.

Calm down

Die Geschichte des in Deutschland vergessenen „Black Wednesday“ war am darauffolgenden Donnerstag natürlich noch längst nicht vorbei. Als die vielen Kampfschlagzeilen vergilbt und die Sachbücher mit den Bundesbank-und-Görings-Reichsluftfahrtministerium-Vergleichen aus den Buchhandlungen wieder verschwunden waren, reagierten Großbritannien mit dem kühl kalkulierenden Nationalcharakter großer Seefahrer und Kaufleute.

Das Pfund sei beim Eintritt in das europäische Währungssystem 1990 ohnehin überbewertet, eine Währungsabwertung in der Rezession schon immer hilfreicher gewesen als eine sich stetig erhärtende Währung, wovon die deutsche Exportindustrie in den folgenden 1990er-Jahren noch ein Lied singen sollte.

Der europäische Währungssystem war ein Vorläufer des europäischen Währungsunion, das Bundeskanzler Helmut Schmidt und der französischen Staatspräsidenten Valéry Giscard d‘ Estaing in den 1970er-Jahren ersannen. Durch eine enge Bindung an die Deutsche Mark mit lediglich begrenzten Schwankungsspielräumen wollten Schmidt und Giscard d‘Estaing deren sensationelle Stabilitätsgeschichte auf andere, inflationsgeplagte Währungen übertragen. Britische Konservative bezeichneten das europäische Währungssystem als eine nie erlahmende Rezessionsmaschine, die schwächelnde Volkswirtschaften wider Sinn und Verstand zur Währungsaufwertung zwinge.

Die Rosskur zeigt ihre Wirkung

Nicht lange nach dem „Black Wednesday“ und dem Ausscheiden Großbritanniens aus dem europäischen Währungssystem setzte auf der Insel ein kräftiger Wirtschaftsaufschwung ein, der über Jahre hinweg und zum ersten Mal in der britischen Nachkriegsgeschichte sinkende Arbeitslosigkeit mit niedriger Inflation verband und die gesamten 1990er-Jahre hindurch anhielt. „Cool Britannia“ war wieder im Geschäft, derweil die deutsche Exportindustrie unter einer harten D-Mark litt.

Auf das politische Konto der Regierung Major zahlte dieser Aufschwung nicht mehr ein. Seit dem 16. September 1992 war Premierminister Major in allen Karikaturen und Parodien ein Mann, der seine Hose auf links anzog und sich seine Schnürsenkel nicht zubinden konnte, der beim Abendessen auf dem Teller seiner Ehefrau die Erbsen nachzählte und den Teppich absuchte, falls sie auch nur eine Erbse mehr abbekommen hatte. Zu John Majors Glück hatte nur ein halbes Jahr vor dem „Black Wednesday“ eine Unterhauswahl sattgefunden, so konnte er die nächste bis ins Jahr 1997 hinauszögern, die er krachend gegen Tony Blair verlor.

Die Lügenpresse gibt es auch auf der Insel

Norman Lamont trat 1993 als Schatzkanzler zurück. Zweifelhafte Boulevardblätter hatten fälschlicherweise berichtet, Lamont sei kurz nach dem „Black Wednesday“ mit einer staatlichen Kreditkarte auf Kosten des britischen Steuerzahlers in den Puff gegangen. Als Lamont in einer Pressekonferenz auf die Frage, welche Lieder er unter Dusche singe, mit Édith Piafs „Non, je ne regrette rien“ („Nein, ich bereue nichts“) antwortete, rissen viele Journalisten diese selbstironische Antwort aus dem Zusammenhang und stellten sie als Lamonts patzigen Kommentar zum „Black Wednesday“ dar.

Dabei setzte sich in Großbritannien langsam aber sicher die Auffassung durch, der „Black Wednesday“ sei in Wahrheit ein „White Wednesday“ oder, politisch korrekt, „Golden Wednesday“ gewesen. Unabhängig von der Farbe des besagten Mittwochs vertraten mehr und mehr Briten die Ansicht, dieser Tag habe ihr Land aus seiner Mitgliedschaft im europäischen Währungssystem nicht verbannt, sondern befreit. Egal ob schwarz, weiß oder golden, dieser historische Mittwoch schärfte das allgemeine Bewusstsein der Briten, sich nie wieder auf Brüsseler Währungsexperimente einzulassen.

Die Eurokraten spielen ihr falsches Spiel

Der Kontinent wählte den entgegengesetzten Weg. Bereits am Sonntag, dem 20. September 1992 entschied sich das französische Volk in einem Referendum mehrheitlich für den Beitritt Frankreichs zum Vertrag von Maastricht. Im Nachhinein wäre der Vertrag von Maastricht wahrscheinlich auch bei einem überwältigenden „Non!“ des französischen Volkes in Kraft getreten, wie im Jahr 2005 die Abstimmungsniederlagen der Eurokraten bei den Volksentscheiden zum europäischen Verfassungsentwurf in Frankreich und Niederlanden zeigten.

Bereits im Jahr 2007 unterzeichneten die europäischen Staats-und Regierungschefs dennoch den mit dem Verfassungsentwurf praktisch inhaltsgleichen Vertrag von Lissabon, ohne das französische oder niederländische Volk erneut zu befragen. Als 2008 das irische Volk den Vertrag von Lissabon in einem Referendum mehrheitlich ablehnte, drohten die Eurokraten dem irischen Volk, die Wahlen so lange zu wiederholen, bis das Wahlergebnis zu ihren Gunsten ausfiele.

Was die Eurokraten dann auch ganz kaltschnäuzig durchzogen. Das Mittel, mit dem unverzeihliche Wahlen rückgängig gemacht werden können, hatten deutsche Tüftler damals noch nicht erfunden. Auf die Insel mit ihrer Tradition der Magna Charta und des Bill of Rights wirkte dieses kontinentale Vorgehen befremdlich.

Währungspolitisch war sich der gesamte Kontinent einig, Deutschland nie wieder in die Lage zu versetzten, unter Wahrung geltenden Rechts und aus einer Position der Stärke heraus seine Interessen selbstbewusst zu vertreten. Wenn schon ein Währungssystem nicht funktioniere, so die kontinentale Logik, müsse eine weit darüberhinausgehende Währungsunion erst Recht ganz hervorragend funktionieren. Nur das dieses mal kein Mitglied aus der Währungsunion ausscheiden kann. Und Italien ist natürlich auch wieder dabei.

Ein zunehmend selbstgefälliger Bundeskanzler Kohl und sein zotteliger Finanzminister verschleuderten die Deutsche Mark und kastrierten die Bundesbank. Noch heute rühmt sich der zottelige Finanzminister von einst in seinen Memoiren seiner Zerstörungspolitik, die er ganz frechstirnig mit „Ehrlichkeit ist eine Währung“
betitelt und den Zusatz: „Wie ich mit lauter Lügen die D-Mark verramschte“ vergisst.

Auch wenn die Europäische Zentralbank dem Wortlaut der Verträge nach der guten alten Bundesbank nachempfunden ist, beweist dieser Bundesbank-Mutant lediglich, wie viel wirkmächtiger in der Realität allgemeine Mentalitäten gegenüber den Vertragstexten sind. Formal mag es viel schwieriger sein, die europäischen Verträge zu ändern als das deutsche Bundesbankgesetz.

Damals taugte selbst Springer noch zu etwas

Doch hätte in der Bonner Republik eine Bundesregierung mit Hilfe ihrer parlamentarischen Mehrheit gewagt, der Bundesbank ihre Unabhängigkeit zu nehmen, nur um und ihr anschließend Weisungen zum Gelddrucken in dreistelliger Milliardenhöhe zu erteilen, so hätte die parlamentarische Opposition, unterstützt von FAZ und Springer-Presse, eine Kampagne gegen die Regierung losgetreten, die in der Berliner Republik nicht mehr vorstellbar ist.

Derweil in Deutschland eine CDU/CSU/SPD/FDP/Bündnis90/Die Grünen-Koalition die Bundesbank einstimmig entkernte, übertrug Tony Blair nach seinem Wahlsieg 1997 das Bundesbank-Modell auf die Bank of England. Obwohl stets ein erklärter Anhänger der EU, machte Tony Blair immer ein zustimmendes Referendum des britischen Volkes zur Bedingung für den Euro-Beitritt Großbritanniens. Da ein Sieg der Euro-Befürworter zu keinem Zeitpunkt auch nur ansatzweise wahrscheinlich war, kam es gar nicht erst zu einem solchen Referendum. In Deutschland übrigens auch nicht.

The times they are changing

Dieselben Moralpredigten, mit denen deutsche Oberlehrer den Briten in den 1990er-Jahren erklärten, sie müssten ohne den Euro zu einer an den Rand gedrängten Insel verarmen, wärmte der politisch-mediale Komplex zwanzig Jahre später anlässlich des Brexits wieder auf. Als die Mehrheit der Briten in einem demokratisches Referendum entschieden, aus einer sich selbst als undemokratisch bezeichnenden Organisation auszusteigen, kreischten deutsche Journalisten sinngemäß „Gott strafe England!“ und forderten eine neo-napoleonische Kontinentalsperre.

Und während Deutsche weiterhin glückliche Gefangene in von der Leyens Völkerkerker sind, sich gar für den Kerkermeister mit moralischen Führungsanspruch halten, haben die Briten weiterhin ihre eigene Währung samt unabhängiger Notenbank mit klar umrissener Kompetenz. Im Gegenzug verzichten sie auf die Schuldenunion, auf die von der Leyen’sche Mondlandung und die kommende Euro-Sieben-Abgasnorm zum planmäßigen Abbau der deutschen Autoindustrie.

Im ehemaligen Reichsluftfahrtministerium Hermann Görings residiert heute übrigens das Bundesfinanzministerium. In den Regalen meiner Eltern steht noch heute eines dieser Sachbücher mit den „Die-Bundesbank-ist-das-neue-Reichsluftfahrtministerium-nur-noch-viel-viel-effizienter“-Thesen. Immer wenn mir Mario Draghi oder Christine Lagarde aus dem Fernseher entgegenlächeln, greife ich danach.

U. B. Kant

Der U. B. Kant wurde 2009 erst zwei Tage nach der Bundestagwahl volljährig, sonst hätte er noch mit beiden Stimmen die Steinmeier-SPD gewählt. Heute lebt der U. B. Kant im besten Deutschland, das es jemals gab, und möchte sein Gesicht bei freien Meinungsäußerungen lieber verbergen. Seinen Ahnen entsprechend setzt es sich zusammen aus Lüneburger Heidjen, Ostwestfalen und Ostpreußen. Schädelvermesser könnten angesichts einer solch feinsinnigen Vereinigung der Schöngeister ablesen, dass der U. B. Kant die gesammelten Werke von Shakespeare, Schiller und Sophokles nicht nur dekorativ im Bücherregal stehen, sondern deren Lektüre auch nach zehn Seiten abgebrochen hat.

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