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Auf den richtigen Klassenstandpunkt kommt es an

13. Juli 2020
in 2 min lesen

Bei älteren Lesern, die in der sogenannten Ostzone sozialisiert worden sind, wird die Überschrift gewisse Assoziationen wecken.

Für alle anderen, das werden die meisten sein, hier eine kurze Erklärung: Es war ganz wichtig für Karriere und Fortkommen in der DDR, von vorgesetzter Stelle in Zeugnissen, das begann bereits in der Schule, den richtigen Klassenstandpunkt attestiert zu bekommen. Es gab gewisse Abstufungen. Von „X vertritt offensiv den Standpunkt der Arbeiterklasse und ihrer Partei“ über „Y bemüht sich um die Findung des richtigen Klassenstandpunktes“ bis „Z hat den richtigen Klassenstandpunkt noch nicht gefunden“. Weglassung der Einschätzung machte den Schreiber verdächtig. Auch war es üblich, beispielsweise im Vorwort größerer Arbeiten ( Diplomarbeit, Promotion), in den ersten Sätzen die Rolle und Weisheit der Partei zu lobpreisen und die eigene Arbeit als bescheidenen Beitrag zum Sieg des Sozialismus zu bezeichnen. Einem gelernten Ossi gingen diese Floskeln locker von der Hand, man schrieb es hin und dachte nicht weiter daran.

Was hat das alles mit Heute zu tun? Eine ganze Menge. Im besten Deutschland aller Zeiten, in dem wir alle gut und gerne leben, gibt es ein winziges Medienskandälchen. Im Sommerinterview des Rundfunks Berlin-Brandenburg (rbb) gab es ein Treffen mit dem kleinen brandenburgischen Bruder des großen Gott-sei-bei-uns aus Thüringen. Ich selbst hätte es fast nicht mitbekommen aber die aufgeregten Kommentare in einigen Zeitungen waren Anlass zum Anschauen.

Da sitzen sich Interviewerin und Interviewter entspannt gegenüber. Die junge Dame stellt Fragen, hakt auch mitunter nach und der Mann da im Sessel antwortet unaufgeregt und sachlich. So im ersten Augenblick sagt man sich als Zuschauer: gut gemacht.

Ist aber ganz falsch. So geht das nicht. Erstens gehört so jemand erst gar nicht eingeladen und wenn doch, weil man Ausgewogenheit simulieren muss, gehört er gegrillt. Im Hintergrund brennt ein Scheiterhaufen, die Hitze bringt ihn zum Schwitzen, mit einem Scheinwerfer wird das Gesicht beleuchtet. Die Fragen müssen im Stakkato-Ton niederprasseln. Wir erinnern uns an die mutmaßlich bezahlten oder hingelotsten Demonstranten beim Gauland-Sommerinterview. Dort machte die ARD alles “richtig”.

Und nun? Der Chefredakteur des rbb wälzt sich im Staub. Im Tagesspiegel von den Berlinern unter vorgehaltener Hand auch gern Tageslügel genannt, werden wir belehrt, dass am Ende der Zuschauer profitieren sollte, nicht der Interviewte. Selten so gelacht.
Auf Zeit-online kommt es ganz dicke. Die Schreiberin empfiehlt sich damit zu Höherem. Gut geschrieben, Genossin. Die Herrscher in der letzten deutschen Diktatur wären stolz auf Dich gewesen. Das nennt man Klassenstandpunkt vertreten. Zum letzten Absatz dieses Geschreibsels

„Ja, es gibt großartigen Journalismus und Kollegen in diesem Land, so großartig, klug und tapfer, dass sie sogar noch unter prekären Arbeitsbedingungen samt Risiko für Leib und Leben, investigativ recherchieren und damit die Aufgaben von Verfassungsschutz, Polizei und Sicherheitsbehörden übernehmen.“

nur ein Hinweis: der letzte Journalist und Reporter in dieser Republik ist leider tot. Der großartige, alte Mann hieß Peter Scholl-Latour.

Nun ist “Journalist” keine geschützte Berufsbezeichnung. Und gerade in den öffentlich-rechtlichen Medien tummeln sich die Staatsspeichellecker. Mir tut nur das arme Mädel leid, das sich im Interview redlich bemüht hat, ein neutrales und faires Interview zu führen, aber die Erwartungen der Politkommissare in den Redaktionsstuben leider nicht erfüllen konnte. Seid gnädig mit ihr. Sechs Monate Umerziehungslager – oder nennt man das heute Assessment-Center? – sollten reichen, dann klappt es das nächste Mal auch mit dem richtigen Klassenstandpunkt. Außerdem: Die Krautzone wartet auf eine aussagekräftige Bewerbung!

Udo Holm

Glücklicher Privatier und Hobbyschreiber mit grimmigem Humor und zunehmender Altersmilde. Geboren im grünen Herzen Deutschlands als Grün noch die Farbe der Blätter und nicht die Beschreibung eines Geisteszustandes war. Als guter Beobachter erkennt er seine Schweine am Gang und lässt sich nichts mehr vom Pferd erzählen. Lebt in Berlin und schreibt im "Spiegelsaal".

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