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Eine Lanze für den Stierkampf

3. Juli 2024
in 3 min lesen

Niemand koste sein Leben voll aus, Stierkämpfer ausgenommen, lässt Hemingway seinen Protagonisten in „Fiesta. The Sun Also Rises“ behaupten. Es ist hinlänglich bekannt, dass der amerikanische Literaturnobelpreisträger (1954) von Stierkämpfen fasziniert gewesen ist. Mich hat indes der deutsche Literaturnobelpreisträger Thomas Mann (1929) auf das Thema aufmerksam gemacht. In den „Bekenntnissen des Hochstaplers Felix Krull“, dem wahrscheinlich besten deutschen Schelmenroman seit dem Erscheinen von Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausens „Abenteuerlichem Simplicissimus“ im Jahr 1668, beschreibt Mann am Ende sehr detailliert einen Stierkampf in Lissabon. Zwar habe ich im Rahmen meiner darauffolgenden blindwütigen Stierkampf-Recherche herausgefunden, dass Mann keinen portugiesischen, sondern einen durch und durch spanischen Stierkampf beschrieben hat, aber diese Tatsache tut dem Lesegenuss keinen Abbruch.

Selbstverständlich habe ich mir nach der Lektüre auch die Frage gestellt, ob diese blutige Tradition ethisch vertretbar sei. Ich bin abseits des Schriftsteller-Pantheons noch nicht vielen Stimmen begegnet, die den Stierkampf gutheißen. Und der auf der Iberischen Halbinsel gefeierten deutschen Stierkämpferin Clara Sofie Kreutter schlägt in ihrer Heimat offener Hass entgegen. Obwohl mir durchaus bewusst ist, dass es hierzulande so gut wie keine Befürworter des Stierkampfes gibt, möchte ich dennoch eine Lanze brechen für die „Corrida de toros“, wie der Stierkampf auf Spanisch heißt.

Zu einem spanischen Stierkampf, der etwa zwanzig Minuten dauert, gehören der „Matador“, die „Picadores“ (Lanzenreiter) sowie die „Banderilleros“. Zunächst tritt der Matador dem Stier mit einem großen Tuch entgegen, das außen purpurrot und innen gelb ist. Der Matador versucht dabei, den Stier zu lesen, um seine eigene Vorgehensweise für den finalen Teil des Kampfes festlegen zu können. Die Aufgabe der beiden Picadores ist es, den Stier mit einer Lanze im Nackenbereich zu verwunden, sobald er sie angreift. Es geht vor allem darum, die Tapferkeit und Angriffslust des Stieres zu demonstrieren. Häufig begleitet das Publikum die Arbeit der Picadores mit Pfiffen und Buh-Rufen, wenn sie einem wenig oder durchschnittlich befähigten Bullen allzu sehr zusetzen. Haben die drei Banderilleros es im Anschluss geschafft, dem Stier mindestens vier Miniaturspieße zu setzen, tritt der Matador wieder auf den Plan.

Dieses Mal mit dem charakteristischen roten Tuch, der „Muleta“, und einem Degen. Der Matador reizt den Stier mit ruckartigen Bewegungen des Tuchs zum Angriff, wobei er selbst dem Stier ausweicht. Hierbei werden vom Stierkämpfer erlernte, traditionelle Figuren und Bewegungsabläufe ausgeführt. Ist der Stier erschöpft, stößt der Matador dem angreifenden Stier den Degen bis ans Heft zwischen die Schulterblätter. Ziel ist es, dabei das Herz des Stieres zu durchbohren. Bringt der Stierkämpfer es nicht fertig, den Stier schnell zu töten, wird er vom Publikum ausgebuht und ausgepfiffen.

Ebenfalls nach spanischen Regeln laufen Stierkämpfe im Süden Frankreichs ab, wobei es dort neben den eigentlichen Stierkämpfen auch unblutige Spektakel gibt, bei denen sogenannte „Razeteurs“ dem Stier mittels stumpfen Haken Kokarden oder Quasten zu entreißen versuchen, die zuvor an den Hörnern befestigt wurden. Der portugiesische Stierkampf wird teilweise zu Pferd ausgetragen, wobei der Stier – anders als bei der spanischen „Corrida de rejones“ – nicht vom Reiter getötet wird. Das Tier wird nach dem Kampf je nach Grad der Verletzungen entweder als Zuchtbulle eingesetzt oder von einem Fleischer getötet. Auch beim spanischen Stierkampf hat der Stier potenziell die Möglichkeit, vom Publikum begnadigt zu werden. Namentlich dann, wenn sich im Verlauf des Kampfes herausstellt, dass er als Zuchtbulle zur Verbesserung der Rasse beitragen kann.

Würde der Stierkampf in Spanien, Südfrankreich und Portugal verboten werden, würde binnen kurzer Zeit auch die Kampfstiere verschwinden. Und mit ihnen die charakteristische Kulturlandschaft, in der die Tiere bis zu ihrem Kampf in der Arena ungestört weiden können, während ihre bemitleidenswerten, für die Fleisch- und Milchproduktion gezüchteten Artgenossen sich ihre Hufe in tristen Ställen plattstehen und mit Kraftfutter gemästet werden. Im Sinne des Artenschutzes gibt es keine bessere Garantie für das Überleben der Rasse als die Tradition des Stierkampfes. Gegessen wird auch das Fleisch der Kampfstiere, aber im Gegensatz zu den meisten Nutztieren wurden sie ihr Leben lang artgerecht im Freiland gehalten. Zudem weiß jeder, bei dem es in einem Kampf schon einmal ums Ganze ging, dass man in solch einer Situation keinerlei Schmerzen verspürt. Dafür sorgt schon das Adrenalin.

Trotzdem fände ich den Stierkampf moralisch bedenklich, wenn es tatsächlich darum ginge, sich an dem Todeskampf eines unschuldigen Tieres zu ergötzen, wie es Tierschützer mit sehr beschränktem Horizont häufig formulieren. Ich habe mir einige der auf YouTube verfügbaren Stierkampf-Videos angesehen. Es erfordert sehr viel Mut, sich einem 600 Kilogramm schweren Stier entgegenzustellen. Der fokussierte Blick des Toreros, wenn er den Degen hebt, die Anspannung in seinem Gesicht, die Art und Weise, in der sich sein Brustkorb hebt und senkt, all das erinnert an einen Jungen, der zum ersten Mal vom 10-Meter-Turm springt. Es ist der ostentativ zur Schau gestellte Mut von Mensch und Tier, der so viele Iberer für den Stierkampf einnimmt. Dass der Ausgang des Kampfes keinesfalls gewiss ist, hat zuletzt der Tod des 29-jährigen Víctor Barrio gezeigt.

Jonathan Stumpf

Jonathan, dem der Libertarismus als geborenem Ami eigentlich in die Wiege gelegt wurde, benötigte dennoch einige Umwege und einen Auslandsaufenthalt an der Universiteit Leiden, um sich diese politische Philosophie nachhaltig zu eigen zu machen. Zuvor hatte er bereits im Bachelor auf Staatskosten zwei Semester in Rumänien zugebracht. Wie jeder Geistes- oder Kulturwissenschaftler mit Masterabschluss, der etwas auf sich hält, bewegt Jonathan etwas in unserem Land. In seinem Fall sind es Container. Er hat im Sommer 2021 als Decksmann auf einem Containerschiff angeheuert.

3 Comments

  1. Diese Tradition ist Sache der Länder und der dort lebenden Menschen, in denen sie stattfindet.
    Es steht uns nicht zu diese Praxis zu verurteilen.
    Es stirbt auch kein Tier weniger und die Kampfstiere haben bis zu ihrem schnellen wenn auch grausam inszenierten Tod ein tolles artgerechtes Leben geführt.

  2. Und hier meldet sich eine zweite Ausnahme zu Wort (sogar mit one-toro-pay-tv-Abbonement). Vielen Dank für diese objektive Betrachtung.

    Beste Grüße aus Oberbayern
    Kai Schmitt

  3. Kompliment zu der objektiven Darstellung der Corrida!

    Ja, Sie haben recht: Es gibt in Deutschland oder auch bei uns in der Schweiz kaum einen Befürworter des Stierkampfes – von wenigen Ausnahmen abgesehen.
    Und Sie bekommen gerade diese Nachricht von einer Ausnahme.

    Wer die Eleganz und die Grazie des Matadors einerseits und die Urgewalt des Tieres andererseits gesehen sowie die Hitze und den Geruch in der Arena gespürt, die Rufe und die Begeisterung des dortigen Publikums gehört hat und wer nicht durch irgendeine Ideologie daran gehindert ist, all‘ das in sich aufzusaugen, muß die Corrida lieben.

    Viva la corrida!

    Ihr A. Hartung

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