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Aiwanger und SZ – Schmutz aus dem Glashaus

4. September 2023
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Wer, wie der Autor, nahezu drei Jahrzehnte Redakteur der „Süddeutschen Zeitung“ war, traute seinen Augen kaum, als er am 26. August die Wochenendausgabe des Blattes in Händen hielt. Auf Seite 1 im Großformat: Ein Foto Hubert Aiwangers, als Chef der Freien Wähler bayerischer Wirtschaftsminister und Vize-Regierungschef in Markus Söders Kabinett. Der Vorwurf: Vor 35 Jahren habe Aiwanger als sechzehnjähriger Pennäler angeblich ein antisemitisches Flugblatt verfaßt. Im Text des Aufmachers, der auch ein Faksimile des Pamphlets enthielt, hieß es, die Informationen beruhten auf Aussagen von Lehrern und einigen Schülern, die aber aus Sorge vor disziplinarischen und gesellschaftlichen Folgen anonym bleiben wollten.

Da in Bayern am 8. Oktober, also in wenigen Wochen, ein neuer Landtag gewählt wird, kann jeder Leser eins und eins zusammenzählen: In ihrem jahrzehntelangen Kampf gegen die CSU und gegen deren neuen Koalitionspartner hat die „SZ“ eine Schmutzkampagne lanciert, die auf dürftigen Informationen und dem Bruch des Verschwiegenheitsgebots verbeamteter Lehrer basiert. Daß sie den längst verjährten Fehltritt eines Sechzehnjährigen an die Öffentlichkeit zerrt, ist weit unter dem Niveau, das sich die „SZ“ selbst zuschreibt.

Daß das inkriminierte Pamphlet ekelhaft ist, muß nicht extra betont werden. Wolfgang Benz, Historiker und Experte für Antisemitismus, erklärte am 29. August im Interview mit der „SZ“, sein erster Eindruck sei gewesen, daß es sich um einen „rohen Pennäler-Scherz“ gehandelt habe:

„Es erstaunt nur, daß 35 Jahre später, auf dem Höhepunkt des Wahlkampfes, dieses Flugblatt auftaucht. Und es erstaunt natürlich auch die lodernde Entrüstung, die allenthalben geäußert wird. Ebenso die Einstufung als antisemitisches Hetzblatt.“

Das KZ Dachau, so Benz, sei nämlich zunächst mit politischen Gegnern der Nationalsozialisten konnotiert, nicht mit Juden.

„Ich würde durchaus zustimmen, wenn man das als neonazistisches Pamphlet bezeichnet, aber es wird nicht explizit gegen Juden gehetzt.“

Noch deutlicher äußerte sich Michael Wolffsohn. Der Historiker beurteilte den Text des Flugblattes in einem „Bild“-Kommentar als „ menschenverachtend“, aber eben nicht, wie die SZ behauptet, als „antisemitisch“. Als Jude, schreibt Wolffsohn, wehre er sich dagegen, daß Denunzianten Juden für ihre tagespolitischen Zwecke mißbrauchten.

„Kurz vor den Wahlen in Bayern wollen sie den konservativen Aiwanger und seine Freien Wähler als Nazis und, daraus abgeleitet, Antisemiten abstempeln. Wer konservativ mit ´Nazi ˋ und ´Antisemit ˋ gleichsetzt, ist ahnungslos und verleumderisch.“

Als alter Kollege kann man sich nur wundern, daß offenbar niemand in der SZ-Redaktion an die unrühmliche Vergangenheit des eigenen Blattes und an deren verspätete Aufarbeitung erinnert hat. Hochmut statt Demut, möchte man da seufzen:

Von 1960 bis zu seinem Tod im Jahr 1970 war der 1904 geborene Hermann Proebst Chefredakteur der „SZ“. Hans Schuster, Jahrgang 1915, war ab 1948 für die „Süddeutsche“ tätig. 1960 übernahm er die Leitung des Ressorts Innenpolitik und gehörte von 1970 bis zu seinem Ausscheiden 1976 der Chefredaktion an. Über beide Kollegen, die sich stets als untadelige Demokraten erwiesen, kursierten indes stets Gerüchte, sie hätten in der NS-Zeit hohe Positionen im besetzten Kroatien bekleidet. Die Wahrheit kam erst 2014 durch Recherchen des Historikers und ehemaligen „SZ“-Redakteurs Knud von Harbou ans Licht:



Proebst ging 1941 mit 37 Jahren im Gefolge der Wehrmacht nach Zagreb, der Hauptstadt des neuen faschistischen Ustascha-Staates Kroatien, wo er für deutsche Propaganda tätig war. So schilderte er 1942 in der Wochenzeitung „Neue Ordnung“ seine Eindrücke einer Pressefahrt ins KZ Jasenovac. In der FAZ berichtete 2013 Michael Martens die folgenden Äußerungen des späteren SZ-Chefredakteurs:

„(…) daß Proebst das KZ lobe, da es nicht nur zur Ausschaltung gefährlicher Gegner beitrage, sondern auch den produktiven Einsatz ´ansonsten unproduktiver Rassen (wie Juden) ´ ermögliche“.

Schuster wiederum wurde 1939 mit 24 Jahren mit der Arbeit „Die Judenfrage in Rumänien“ zum Dr. jur. promoviert. In seiner Dissertation kritisierte er den in Rumänien virulenten Antisemitismus als nicht scharf genug, weil dieser in den Juden bloß eine nationale oder religiöse Minderheit sehe, statt „im Judentum eine den abendländischen Völkern fremde Rasse zu bekämpfen“. 1941 wurde Schuster Wirtschaftsattaché an der deutschen Gesandtschaft in Zagreb und erlebte dort die Konstituierung des Ustascha-Staates Koatien mit. Ab 1942 leistete Schuster, der 1937 der NSDAP beigetreten war, Kriegsdienst in der Wehrmacht.

Als Erwachsene (und nicht als sechzehnjähriger Pennäler) haben sich sowohl Proebst als auch Schuster zum mörderischen Antisemitismus bekannt. Eingedenk dieser Tatsachen und unabhängig davon, wie der Fall ausgeht, ist die Rufmord- und Schmutzkampagne gegen Hubert Aiwanger schamlos und geschichtsvergessen.

Peter Kuntze

Kuntze wurde 1941 in Kiel geboren und hat nach Abitur und Wehrdienst eine verlagskaufmännische Lehre in Hamburg absolviert. Anschließend ein Redaktionsvolontariat in Ansbach. 1968 gelang ihm der Sprung nach München zur Süddeutschen Zeitung, wo er als außenpolitischer Nachrichtenredakteur sein Brot bis 1997 verdient hat. Nebenbei schrieb Kuntze etliche Kinderbücher, zwei Romane und acht politische Sachbücher über China. Seine konservative Wende geschah in den letzten Berufsjahren.

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