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Die Affäre Aiwanger

1. September 2023
in 3 min lesen

Es ist Wahlkampf im Freistaate Bayern: Am 8. Oktober findet dort die Wahl zum 19. Landtag statt. Wie eh und je hat die CSU einen relativ guten Stand, auch wenn sie bei der letzten Landtagswahl über zehn Prozentpunkte – und damit die absolute Mehrheit – verloren hatte und sich deswegen einen willigen Koalitionspartner suchen musste. Den fand sie auch: Die Freien Wähler regieren in Bayern mit – für diese Partei war es die erste Beteiligung an einer Landesregierung.

Geführt werden die Freien Wähler seit 2006 auf bayerischer Landesebene und seit 2010 auf Bundesebene von Hubert Aiwanger, einem studierten Agraringenieur aus Niederbayern. Seit der letzten Wahl und der Bildung der Landesregierung im Spätjahr 2018 ist er der stellvertretende Ministerpräsident Bayerns. Ein Amt, dass er nur allzu gern behalten möchte. Doch es scheint, als gäbe es in der Medienlandschaft genug Kräfte, die ihn – und die CSU-Herrschaft in Bayern allgemein – gerne aus dieser Stellung verdrängen möchten.

Aiwanger und seine Partei vertreten typische bürgerlich-liberalkonservative Positionen, die sie im klassischen Parteienspektrum der Bundesrepublik irgendwo zwischen der AfD und den Unionsparteien verorten lassen (wobei sie natürlich den halbbösen „Konservativen“ näherstehen als der allbösen Teufelspartei). Das heißt letzten Endes: Man sagt im Wahlkampf Sachen, die der gemütliche Biergartenbesucher und Schafskopfspieler gerne hören möchte, tanzt in der Regierungsposition dann aber doch lieber nach der Pfeife des medialen Establishments – so wie die Union es schon immer getan hat.

Die Freien Wähler bilden dabei ein Abfangbecken – einen „Gatekeeper“ („Torhüter“), wie man im Englischen gerne sagt – für die enttäuschten Unionswähler, die sich aber dank der Propaganda nie zur AfD bekennen würden: „Endlich eine bürgerliche Partei, die mal anpackt, ohne radikal zu sein!“ – so könnte man meinen. Die Rolle des Gatekeepers erfüllte die Partei bis jetzt ganz gut; sie wird vermutlich einer der Gründe sein, weshalb die AfD in Bayern bei circa zehn Prozent stand und nicht höher.

Und nun, seit einigen Tagen, ist Hubert Aiwanger die Zielscheibe der Medienbatterie. Dass Gatekeeper angegriffen werden, ist nichts Neues – das passiert einem Friedrich Merz auch, das muss auch so sein, schließlich muss er eine glaubhafte Alternative bieten. Von daher stellen solche Attacken eine Notwendigkeit dar, allerdings eine Bedrohung für die Position des Angegriffenen. Es ist eben eine reine Show, panem et circenses, Unterhaltung für die politikinteressierten Neunmalklugen. Doch diese Medienkampagne bedroht(e) die Position Aiwangers beträchtlich. Was war passiert?

Am 25. August veröffentlichte die „Süddeutsche Zeitung“ einen Artikel über Aiwanger – „Das Auschwitz-Pamphlet“ –, in dem die Autoren eine Episode aus seiner Jugendzeit aufdeckten. Als 17-Jähriger habe er „rechtsextreme“ und „antisemitische“ Flugblätter verfasst, die anschließend in der Schule verteilt wurden. Er wurde überführt, weil er die Blätter in seinem Schulranzen mitführte, und daraufhin von der Schulleitung diszipliniert. Laut weiteren Zeugenaussagen habe der junge Aiwanger zudem Hitler-Reden vor dem Spiegel geübt und damit angegeben, „Mein Kampf“ gelesen zu haben. Dann soll es einem ehemaligen Mitschüler zufolge Hitlergrüße, Hitler-Imitationen und Auschwitz-Witze gegeben haben.

Durchaus schwere Vorwürfe. Solche Sachen sind dann eben noch eine Spur härter als etwa die „kleinen Paschas“ eines Friedrich Merz. Was der konkrete Inhalt des Flugblatts war, ging aus den ersten Medienberichten aber nicht hervor; erst „Bild“ und „Nius“ zeigten es. Beim Lesen fällt auf: Das ist eher der schlechte Humor eines pubertierenden Jungen als ernst gemeinte nationalsozialistische Ideologie. Ja, unschön, geschmacklos, unerhört: durchaus richtig. Aber ernst gemeint? Wahrscheinlich unwahrscheinlich.



Die Behandlung dieses Themas, dieser pathetische Heiligenschein, der in Bezug auf das Thema NS und Holocaust vorangetragen wird, verleitet einen 17-jährigen Burschen, der auf der Suche nach Grenzüberschreitungen aller Art ist, zu solcherlei Dummheiten. Fast jeder Jugendliche, der provozieren will und nicht explizit links indoktriniert ist, macht Hitler-Imitationen – das kann ich auch aus eigener Erfahrung sagen (auch wenn mir derlei Geschmacklosigkeit fernlag, ich geb’s zu). Es ist dumm, hirnlos und respektlos, ja, aber diese Phase des Nicht-Humors macht jeder Junge durch. Als Lehrer gäbe ich, hätte ich solche Schüler vor mir, Dresche – also sinnbildlich, versteht sich –, und damit hätte sich die Sache erledigt.

In der Medienlandschaft gibt man sich empört. Söder ist auch alles andere als begeistert, hat ihn aber – noch – nicht aus der Regierung entfernt. Ob er das vorhat, ob er durch medialen Druck dazu gezwungen wird, steht offen. Was die AfD dazu sagen sollte, ist aber relativ simpel: nichts. Auf der einen Seite gibt es keinen Grund, Aiwanger (und damit auch Söder) zu verteidigen – das soll auch nicht Sinn und Zweck dieses Artikels sein –, schließlich haben die auch nie etwas für die AfD und ihr Vorfeld getan. Also warum die Mühe? Den moralischen Entrüstungssturm braucht man aber auch nicht zu unterstützen – aus offensichtlichen Gründen. Aiwanger steht momentan in einer unangenehmen Position. Wenn er dadurch geschwächt wird, gut. Wenn er dadurch gestürzt wird – auch gut. Je schwächer die Gatekeeper sind, umso besser für die AfD: Denn das Wählerpotenzial erhöht sich dadurch nur. Von daher: Abwarten und Weißbier trinken.

Fridericus Vesargo

Aufgewachsen in der heilen Welt der ostdeutschen Provinz, studiert Vesargo jetzt irgendwas mit Musik in einer der schönsten und kulturträchtigsten Städte des zu Asche verfallenen Reiches. Da er als Bewahrer einer traditionsreichen, aber in der Moderne brotlos gewordenen Kunst am finanziellen Hungertuch nagen muss, sieht er sich gezwungen, jede Woche Texte für die Ausbeuter von der Krautzone zu schreiben. Immerhin bleiben ihm noch die Liebesgrüße linker Mitstudenten erspart…

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