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China im Pressespiegel – Mehr Zerrbild als Abbild

21. März 2023
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Daß der kommunistischen Volksrepublik in den letzten Jahrzehnten der Aufstieg zur zweitgrößten Wirtschaftsmacht der Welt gelungen ist, grenzt aus bundesdeutscher Sicht an ein Wunder, denn die hiesigen Medien berichten bis heute fast nur Negatives. Wie die berühmten drei asiatischen Affen schließen sie Augen und Ohren, über die Lippen kommt ihnen nichts Positives. Und was ist mit der strikten Trennung von Nachricht und Kommentar, einst die journalistische Grundregel? Seit den neunziger Jahren obsolet. Man nennt es „Haltungsjournalismus“, stupid!. Schließlich ist China jetzt der größte ideologische Feind des Westens, eine Art Gottseibeiuns, materialisiert in Staats- und Parteichef Xi Jinping.

Wider alle Erfahrung und wider alle vermeintliche Vernunft, so die bittere Erkenntnis, führt Handel doch nicht automatisch zu demokratischem Wandel, und „totalitärer Autokratismus“ blockiert nicht zwangsläufig geistigen und technischen Fortschritt. Im Gegenteil – auch ohne westliches Presse-Echo ist Pekings Erfolgsbilanz beeindruckend:

-China ist führend beim Bau von Hochgeschwindigkeitszügen. Im Januar wurde erfolgreich eine Ultra-Hochgeschwindigkeits-Magnetschwebebahn auf einem Fahrweg mit Niedrigvakuum-Technik getestet. Das Team der staatlichen „China Aerospace Science and Industry Corporation“ hofft, eines Tages in der Lage zu sein, Magnetschwebebahnen in einer Röhre mit extrem dünner Luft zu betreiben, so daß sie mit Geschwindigkeiten „am Boden fliegen“ können, die Flugzeugen Konkurrenz machen.

-Im Jahr 2022 war China nach Japan und vor Deutschland zweitgrößter Pkw-Exporteur. Unter den Top 10 der weltweit meistverkauften Elektroautos befinden sich drei chinesische Marken, an erster Stelle der Hersteller BYD.

-Seit dreizehn Jahren ist die Volksrepublik Weltmarktführer im Schiffbau. Ihre Unternehmen bauen sowohl Kreuzfahrt- als auch Containerschiffe sowie Flüssigerdgas-Tanker (LNG-Tanker).

-Die Kurzvideo-App Tiktok hat nach rund vier Jahren mit einer Milliarde Nutzern Facebook überholt und die Welt erobert. Die App ist so erfolgreich, daß sie in den USA wegen befürchteter Spionagemöglichkeiten kurz vor dem Verbot steht.

-Chinesische Internetfirmen wie Huawei, Tencent, Alibaba etc. haben mit staatlicher Hilfe das größte 5G-Netz der Welt aufgebaut. In der Volksrepublik gibt es (Stand Februar 2023) 2,3 Millionen 5-G-Ladestationen. Im Fokus stehen zur Zeit Forschung und Entwicklung der 6-G-Technik in den Bereichen humanoide Roboter, Meta-Universum und Quantentechnologie.

-In der Chipindustrie liegt China noch hinter den USA, Japan und Taiwan zurück. Die Regierung steckt jedoch Dutzende Milliarden Euro in die Förderung heimischer Unternehmen, damit sie bis 2030 an der Weltspitze stehen. 29 Universitäten und Hochschulen bieten Studiengänge und attraktive Ausbildungsstätten an.

-Der weltweit größte Hersteller ziviler Drohnen ist die in Shenzhen, dem südchinesischen Silicon Valley, beheimatete Firma DJI. Mit seinem modernsten Produkt, der Drohne Marvic 2, die perfekte Luftbildfotos liefert, kommt das Unternehmen auf einen globalen Marktanteil von mehr als fünfzig Prozent.

-Seit mehreren Jahren ist China ebenfalls führend in der Solarindustrie. Mit hoher Qualität zu Dumpingpreisen drängen chinesische Firmen jetzt auch auf den europäischen Markt für Windenergie.

Dies alles vor Augen, ist es aus westlicher Sicht zwar verständlich, journalistisch aber degoutant und unprofessionell, daß im Vorfeld des letzten Parteitags und anläßlich der Jahrestagung des Nationalen Volkskongresses wieder nur negative Schlagzeilen die Runde machten. „China ist getrieben von Problemen“, titelte die „Süddeutsche Zeitung“ am 12. November 2022 anläßlich der auf weitere fünf Jahre verlängerten Amtszeit Xi Jinpings als KP-Chef. Am 18. Januar 2023 unkte NTV: „Chinas fette Jahre sind vorbei / Wirtschaft steckt in der Falle“. Dieser Einschätzung schloß sich die „Die Süddeutsche“ am 6. März an: „Auf dem Weg nach unten“, resümierte das Blatt; die Unterzeilen lauteten:

„Hohe Arbeitslosigkeit, stagnierende Gehälter, wachsende Ungleichheit – das ist die Realität in China nach drei Corona-Jahren. Sie trifft Wanderarbeiter und kleine Angestellte besonders hart, die auf den Aufstieg hoffen.“


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Natürlich hat auch Chinas Wirtschaft mit vielen Problemen zu kämpfen – so mit einer Immobilienblase, mit gerissenen Lieferketten und Produktionsausfällen infolge von Corona, mit hohen Schulden von Banken und Kommunen. Doch einer Regierung, der es gelungen ist, die absolute Armut zu besiegen und für 700 Millionen Menschen bescheidenen Wohlstand zu schaffen, darf man zutrauen, auch jene Schwierigkeiten zu meistern. Die meisten deutschen und amerikanischen Firmen, die im China-Handel tätig sind, sehen optimistisch in die Zukunft; eine Entkopplung von der Volksrepublik mit dem größten und attraktivsten Binnenmarkt der Welt lehnen sie entschieden ab. Allen Unkenrufen zum Trotz versicherte der neue Premier Li Qiang auf seiner ersten Pressekonferenz, die von Deng Xiaoping Ende der siebziger Jahre eingeleitete Reform- und Öffnungspolitik werde bei Gleichbehandlung aller Eigentumsformen entschlossen fortgesetzt.

Als Xi Jinping Anfang März zum Abschluß des Volkskongresses beklagte, die westlichen Länder, angeführt von den USA, „verfolgen eine umfassende Eindämmung, Einkreisung und Unterdrückung Chinas“, was nie dagewesene Herausforderungen für die Entwicklung der Volksrepublik mit sich bringe, quittierten das viele Medien mit empörtem Kopfschütteln. Sie glichen jenem Dieb, der auf der Flucht „Haltet den Dieb!“ ruft. Tatsächlich hat US-Präsident Biden keinen Zweifel daran gelassen, daß es sein primäres Ziel ist, Pekings Aufstieg zur Supermacht zu verhindern. Darin sind sich Demokraten und Republikaner einig, von den meisten europäischen Verbündeten, besonders den Deutschen, ganz abgesehen.

Seit etlichen Monaten haben die USA ihre Allianzen im Pazifik neu belebt, Australien erstmals mit atomaren U-Booten ausgerüstet und alte Feindschaften wie die mit den Philippinen abgebaut, um Bündnisse gegen China zu ermöglichen. Bereits im Oktober letzten Jahres verhängten die USA ein gegen die Volksrepublik gerichtetes Exportverbot für alle Halbleiter und alle für die Chip-Produktion notwendigen Geräte aus amerikanischer Herstellung, um den Verkauf an staatsnahe chinesische Firmen zu verhindern. Zwei Monate zuvor hatte Biden den „Chips and Science Act“ unterzeichnet, ein 280 Milliarden schweres Investitionsgesetz, das die Vereinigten Staaten vom internationalen Chip-Markt unabhängig machen soll.

Nur die westliche Presse konnte es verwundern, daß Wang Yi,  Chinas oberster Außenpolitiker, im Februar auf der Münchner Sicherheitskonferenz deutliche Worte fand. Washingtons Vorgehen, so Wang, sei „Protektionismus, Egoismus und Unilateralismus“: „Das ist ein schlimmer Verstoß gegen die Grundsätze des Freihandels und die Regeln der Welthandelsorganisation WTO.“ Die Volksrepublik fürchte keinen Konkurrenzkampf mit Amerika, fordere aber einen fairen Wettbewerb.

Mit zweierlei Maß wurde im Westen auch auf die Verabschiedung des chinesischen Verteidigungsetats reagiert, der in diesem Jahr um 7,2 Prozent auf 224,79 Milliarden Dollar steigen soll. Was als „massive Aufrüstung“ beklagt wurde, gilt offenbar nicht für die USA, deren Militärhaushalt 2023 das Vierfache des chinesischen beträgt und auf die Rekordsumme von 858 Milliarden Dollar steigt – , der zweithöchste Rüstungsetat seit dem Zweiten Weltkrieg.

Es könnte nicht schaden, würde mancher im Westen – ob Journalist oder Politiker, ob Europäer oder Amerikaner – auf Mahnungen aus Indien hören, dem dritten asiatischen Aufsteiger nach Japan und China. Im Herbst 2022 prophezeite Regierungschef Narendra Modi auf der virtuellen Konferenz der Länder des Südens:

„Im 21. Jahrhundert wird das globale Wachstum ganz klar aus dem Süden kommen. Arbeiten wir zusammen, werden wir die Agenda der Welt setzen.“

Und sein Außenminister Subramanyam Jaishankar fügte hinzu:

„Die Europäer müssen aufhören zu glauben, daß ihre Probleme die Probleme der Welt sind, aber die Probleme der Welt  nicht die ihren.“

Peter Kuntze

Kuntze wurde 1941 in Kiel geboren und hat nach Abitur und Wehrdienst eine verlagskaufmännische Lehre in Hamburg absolviert. Anschließend ein Redaktionsvolontariat in Ansbach. 1968 gelang ihm der Sprung nach München zur Süddeutschen Zeitung, wo er als außenpolitischer Nachrichtenredakteur sein Brot bis 1997 verdient hat. Nebenbei schrieb Kuntze etliche Kinderbücher, zwei Romane und acht politische Sachbücher über China. Seine konservative Wende geschah in den letzten Berufsjahren.

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