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Der Kampf um den Nationalstaat

16. Mai 2024
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Geschichte wiederholt sich nicht, heißt es, doch es gibt Interpretationen von Epochen, die verblüffende Parallelen zum jeweiligen Hier und Heute aufweisen. So warnte vor mehr als 200 Jahren Johann Gottlieb Fichte, seinerzeit neben Kant und Hegel einer der berühmtesten Philosophen, die Deutschen vor einer Politik, die ein Charakteristikum auch unserer Gegenwart sein könnte.

Angesichts der Eroberungen Napoleons versuchte Fichte seine Landsleute aus ihren Träumereien wachzurütteln. Im Winter 1806/07 plädiert er quasi in Ergänzung seiner berühmten „Reden an die Deutsche Nation“ in der Kampfschrift „Machiavelli“ für eine harte, rücksichtslose Realpolitik. Die damalige Stimmungslage geißelt er als „flach, kränklich, armselig, darbietend als ihr höchstes Gut eine gewisse Humanität, Liberalität und Popularität, flehend, daß man nur gut sein möge, und dann auch alles gut sein lassend, überall empfehlend die goldene Mittelstraße, d.h. die Verschmelzung aller Gegensätze zu einem stumpfen Chaos, Feind jedes Ernstes, jeder Konsequenz, jedes Enthusiasmus, jedes großen Gedankens und Entschlusses und überhaupt jedweder Erscheinung, welche über die lange und breite Oberfläche um ein weniges herausragt, ganz besonders aber verliebt ist in den ewigen Frieden“.

Mit einer solchen Einstellung große Politik abwehren oder bekämpfen zu wollen, war in Fichtes Augen nichts als armseliger Köhlerglaube, der zwangsläufig in den Untergang führt. Um 1800 setzte sich das geographische Deutschland aus einem „Flickenteppich“ von mehr als 300 Klein- und Mittelstaaten zusammen, die zwar miteinander verbunden waren, aber keinen einheitlichen Staat bildeten. Unter Napoleons Besatzungspolitik siegte der Partikularismus endgültig: Sechzehn Reichsfürsten, die zusammen ein Drittel des Reichsgebiets beherrschten, traten im Juli 1806 aus dem Reichsverband aus, schlossen sich unter französischem Protektorat zum „Rheinbund“ zusammen und verpflichteten sich, Frankreich Heerfolge zu leisten. Am 8. August 1806 legte Franz II. die Kaiserkrone nieder. Damit war das Ende des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation auch offiziell besiegelt.

Im beginnenden Kampf gegen Napoleon fühlten sich jedoch die Deutschen weithin zusammengehörig, wenn auch als ein zerrissenes Volk. Mancher Zeitgenosse drinnen und draußen mag damals erstaunt festgestellt haben, daß es überhaupt eine deutsche Nation und einen deutschen Nationalgeist gab. Diese Verbundenheit hat sich über alle Mentalitätsunterschiede hinweg bis heute erhalten: Während der katholische Rheinländer die Herausforderungen des Lebens leichten Sinnes mit dem Spruch „Et kütt wie et kütt“ annimmt, ruft sich der protestantische Norddeutsche mit einem strengen „Wat mutt, dat mutt!“ zur Selbstdisziplin auf. Allen gemein sind bis heute Stammesverwandtschaft, Sprache, Kultur und historisches Schicksal. Zur nationalstaatlichen Einigung kam es erst 1871 unter preußischer Führung – als kleindeutsche Lösung, denn Österreich schied als separates Kaiserreich aus dem einstigen Verbund aus.

Während es im 19. Jahrhundert eines Angriffs von außen bedurfte, um die Mehrheit der Deutschen politisch zu einen und ihre kleinstaatliche Atomisierung zu beenden, droht in der Gegenwart das krasse Gegenteil. Heute ist es die individuelle Atomisierung der Einheimischen in Verbindung mit einer seit Jahren unkontrollierten Zuwanderung, die nicht nur die nationale, sondern zugleich die staatliche Bindung aufzulösen droht. Maika Foroutan, seit 2017 Leiterin des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung, hat den Deutschen ihr Schicksal unverblümt vor Augen geführt:

„Sie haben das Gefühl, ihr ´eigenesˋ Land nicht mehr wiederzuerkennen. Zu Recht, möchte man sagen – denn es sieht anders aus, es ist jünger geworden, es spricht anders, es ißt anders, es betet anders, es liebt anders, es hat neue Konflikte, es kleidet sich anders, es ist lauter als in den Jahren, die für viele bis heute ihr Deutschlandbild prägen.“

Zu Fichtes Zeiten gab es eine deutsche Nation, aber keinen Nationalstaat, heute sind selbst die Begriffe „deutsch“ und „Nation“ verpönt – seitens einer elitären Herrschaft, die das eigene Volk verachtet und es am liebsten in der Utopie einer universellen Menschheit auflösen möchte. De-Industrialisierung im Namen des Klimaschutzes, freie Geschlechterwahl als höchste Stufe der Selbstbestimmung sind die Boten eines sich abzeichnenden Niedergangs. Als einer der wenigen hat Sigmar Gabriel die Zeichen der Zeit erkannt. Im August letzten Jahres ließ der einstige SPD-Chef und Vizekanzler die Alarmglocken schrillen:

„Wir sind an einem Punkt angekommen, an dem eine grundlegende Neuausrichtung fällig ist, nicht nur in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik, auch nicht nur in der Asyl- und Flüchtlingspolitik. Mein früherer Kabinettskollege Thomas de Maizière von der CDU hat so etwas wie eine Staatsreform ins Gespräch gebracht. Ich glaube, daß er damit genau richtig liegt.“

Eine immer heterogener werdende Gesellschaft, so Gabriel in dem Interview mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland, „ist angewiesen auf eine Kraft, die stark genug ist, alles zusammenzuhalten und Regeln durchzusetzen. Ohne Law and Order zerbricht leider alles: das Liberale, das Europäische, aber auch das Soziale“ („Märkische Allgemeine Zeitung“, 19. 8. 2023).

Doch auch dieser Ruf in der Wüste ist ohne Echo verhallt. Dem „Handelsblatt“ zufolge verlassen daher immer mehr gut ausgebildete autochthone Deutsche ihr Heimatland, andere bringen zumindest ihr hart verdientes Geld im Ausland in Sicherheit.

Peter Kuntze

Kuntze wurde 1941 in Kiel geboren und hat nach Abitur und Wehrdienst eine verlagskaufmännische Lehre in Hamburg absolviert. Anschließend ein Redaktionsvolontariat in Ansbach. 1968 gelang ihm der Sprung nach München zur Süddeutschen Zeitung, wo er als außenpolitischer Nachrichtenredakteur sein Brot bis 1997 verdient hat. Nebenbei schrieb Kuntze etliche Kinderbücher, zwei Romane und acht politische Sachbücher über China. Seine konservative Wende geschah in den letzten Berufsjahren.

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