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Die AfD versetzt den tiefen Staat in Panik

23. August 2023
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Nie in der Geschichte der Bundesrepublik ist das Vertrauen der Bevölkerung in die Handlungsfähigkeit des Staates so tief gesunken: Nur noch 27 Prozent, so die jährliche Befragung des Beamtenbundes, sind der Meinung, der Staat könne seine Aufgaben erfüllen; 69 Prozent halten ihn laut „Süddeutscher Zeitung“ vom 16. August für überfordert – besonders ausgeprägt sei dies in der Asyl- und Flüchtlingsfrage.

Daß die Zuwanderung nebst der analog steigenden Kriminalitätsrate ein Dreh- und Angelpunkt der deutschen Misere ist, machte Sigmar Gabriel, früherer Außenminister und SPD-Vorsitzender, in einem Gespräch mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland („Märkische Allgemeine Zeitung“ vom 17. August) deutlich:

„Das Gefühl, daß die Staaten Europas die Kontrolle darüber verloren haben, wer zu uns kommen kann und wer nicht, ist eines der Beispiele für den Verlust von staatlicher Handlungsfähigkeit.“

Gabriel weist auf zwei Kardinalfehler hin: Der Versuch, mit einem Individualrecht auf das moderne Phänomen von Massenflucht zu reagieren, führe nicht zum Erfolg. „Unsere Regeln aus dem 20. Jahrhundert passen nicht zu den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts.“ Für alle Europäer wachse daher die Gefahr, „daß wir übergroße Liberalität nach außen mit dem Verlust der Liberalität im Inneren bezahlen“. Gabriels Resümee: Wer die Grenzen innerhalb Europas offenhalten wolle, müsse sie „nach außen hart und kompromißlos kontrollieren und darf nicht jeden Einsatz von Frontex als unmenschlich verurteilen“. Ähnlich wie Gabriel argumentierte auch der CDU-Politiker Jens Spahn in einem Interview mit „Bild am Sonntag“.

Individualisierung und Liberalität ins Extrem getrieben, so läßt sich Gabriels Einsicht zusammenfassen, hat nicht nur den deutschen Staat an die Grenze der Handlungsfähigkeit gebracht, sondern gleichzeitig die Umfragewerte der AfD in die Höhe getrieben. Kein Wunder, daß der einstige SPD-Chef nicht zuletzt unter diesem Gesichtspunkt eine Wende in der Flüchtlingspolitik fordert:

„Wir sollten jetzt parteiübergreifend nach neuen Wegen suchen, ohne durch Wahlkampfgetöse das Geschäft der AfD zu fördern.“

Daß so etwas funktionieren könne, hätten die in Dänemark regierenden Sozialdemokraten gezeigt. Unter Ministerpräsidentin Mette Frederiksen sei 2019 ein restriktiver migrationspolitischer Kurs eingeschlagen worden. Bei den jüngsten Wahlen sei der Stimmenanteil der Rechtspopulisten auf 2,6 Prozent zurückgegangen.

Freilich vergißt Gabriel, daß diese Politik mit Ausnahme der AfD bei allen im Bundestag vertretenen Parteien, auch bei der SPD, bis heute auf scharfe Kritik stößt. In Wahrheit wird für die als Staatsziel proklamierte „moderne Einwanderungsgesellschaft“ das Gegenteil gefordert: Deutschland, so Monika Schnitzer, die Vorsitzende der fünf sogenannten Wirtschaftsweisen, müsse jährlich 1,5 Millionen Zuwanderer aufnehmen. Das wären in zwei Jahrzehnten 30 Millionen. Mit den bereits im Land lebenden 25 Millionen würden die Zuwanderer im Jahr 2043 mit rund 55 Millionen die Mehrheit der Bevölkerung stellen, während die Autochthonen in die Rolle einer ethnischen Minderheit gerieten. Der Antifa-Wunsch „Deutschland, verrecke!“ könnte dann bald in Erfüllung gehen, und die angebliche Verschwörungstheorie vom „Großen Austausch“ hätte sich bewahrheitet.

Die Ökonomin Schnitzer plädiert sogar für eine neue „Willkommenskultur“: Man solle nicht für jeden Job fordern, daß die ausländischen „Fachkräfte“ Deutsch könnten, sondern müsse dafür sorgen, daß die Mitarbeiter der Ausländerbehörden Englisch könnten. Außer acht gelassen wird dabei, daß allein in diesem Juli die Zahl der einheimischen Arbeitslosen um 147.000 auf 2,6 Millionen gestiegen ist und jedes Jahr (so 2021) rund 47.000 Jugendliche ohne Abschluß die Hauptschule verlassen – ein brachliegendes Arbeitsmarktpotential.

Der Höhenflug der AfD hat nicht nur Politiker, sondern den gesamten von Linken, Grünen und Liberalen – im Westen seit fünfzig Jahren, im Osten seit der Wiedervereinigung – beherrschten „tiefen Staat“ in Panik versetzt. Kein Tag vergeht, an dem nicht aus den Reihen der „Zivilgesellschaft“ (notabene eine falsche Übersetzung der englischen civil society = Bürgergesellschaft), von einer der mit Steuergeld gefütterten Nichtregierungsorganisationen (sog. NGOs), einem privaten oder öffentlich-rechtlichen Leitmedium, einem staatlich alimentierten Wissenschaftler oder von irgendwelchen „Kulturschaffenden“ die Schatten der Vergangenheit beschworen werden.



„Wehret den Anfängen!“ lautet die Parole, mit der an 1933, an Aufstieg und Machtübernahme der NSDAP erinnert wird – an vorderster Front der Agitatoren: das Staatsoberhaupt, das stets „das beste Deutschland, das wir je hatten“, preist. Beim Festakt zur Geburtsstunde des Grundgesetzes nahm Frank-Walter Steinmeier im Spiegelsaal von Herrenchiemsee das Volk quasi in Sippenhaft. Kein Wähler, so warnte er, könne sich „auf mildernde Umstände herausreden, wenn er sehenden Auges politische Kräfte stärkt, die zur Verrohung unserer Gesellschaft und zur Aushöhlung der freiheitlichen Demokratie beitragen“.

Auch Thomas Haldenwang, der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, überschreitet ständig die ihm gesetzten Grenzen, wenn er glaubt, er müsse die Öffentlichkeit vor der Gefahr der AfD „wachrütteln“. In einem Interview mit dem ZDF erklärte er sogar, daß nicht nur sein Amt „die Aufgabe habe, die Umfragewerte der AfD zu schrumpfen“. Der Verfassungsrechtler Franz Josef Lindner von der Universität Augsburg mahnt, bei öffentlichen Äußerungen müsse Haldenwang das beamtenrechtliche Gebot der politischen Neutralität beachten („SZ“ vom 11. August). Haldenwangs Behauptung wiederum, jenseits des im Grundgesetz verankerten Staatsvolks existiere kein ethnisches deutsches Volk, widerspricht eindeutig der Verfassung.

Der immer verzweifelter wirkende Abwehrkampf gegen den Aufstieg der AfD wird natürlich auch im Ausland mit Interesse verfolgt. Ein Parteiverbot, so das britische Online-Magazin „Spiked“, „wäre ein brutaler Angriff auf die Demokratie“. Das Magazin belehrt deutsche Politiker, daß seinerzeit nicht Hitler, wie Steinmeier behauptet, die Möglichkeiten der Demokratie mißbraucht habe; vielmehr hätten die Eliten des Landes Hitler zur Machtübernahme eingeladen („invited“), um ihre eigenen Positionen zu bewahren. In der Gegenwart sieht „Spiked“ eine Parallele: Auch jetzt zeige sich wieder die autoritäre, undemokratische geistige Grundhaltung der führenden politischen deutschen Eliten, die an Stelle der Wähler entscheiden wollten, wem die Macht zufalle.

Ein markantes Beispiel, worum es für die Eliten nicht nur Deutschlands geht, ist die Auseinandersetzung über die Zukunft der EU. Während Brüssel im Gleichklang mit den selbsternannten demokratischen Parteien in Berlin – also unter Einschluß auch der Unionsparteien – für einen europäischen Bundesstaat plädiert, tritt die AfD für einen Bund gleichberechtigter Nationalstaaten ein. Am 5. August stellte die „SZ“ die beiden kontroversen Thesen in einem Grundsatzartikel dar und wählte als Unterzeile die absurde Frage: „Droht ein Europa der Vaterländer?“ Absurd – weil dies die auf den damaligen Präsidenten Charles de Gaulle zurückgehende Grundidee eines vereinigten Europas war, die den Beifall aller national gesinnten Parteien fand.

Doch mittlerweile bestimmen nicht nur in Brüssel linksliberale und grüne Globalisten und Internationalisten die politische Agenda. Durch den zunehmenden Erfolg rechtspopulistischer Parteien sieht die „SZ“ Schreckliches auf Europa zukommen:

„Aus der antinationalistischen, kosmopolitischen, strukturell progressiven EU könnte eine nationalistische, rückwärtsgewandte, auf wenige Punkte beschränkte Zusammenarbeit von Regierungen werden.“

Der auf Kant zurückgehende Traum von einer ersten Etappe auf dem Weg zu einer staaten- und klassenlosen, hierarchiefreien Welt wäre geplatzt. Zahlmeister dieser Utopie wäre Deutschland, das schon jetzt mit Milliardenbeträgen Hauptgläubiger der längst zur Schuldenunion mutierten EU geworden ist.

Peter Kuntze

Kuntze wurde 1941 in Kiel geboren und hat nach Abitur und Wehrdienst eine verlagskaufmännische Lehre in Hamburg absolviert. Anschließend ein Redaktionsvolontariat in Ansbach. 1968 gelang ihm der Sprung nach München zur Süddeutschen Zeitung, wo er als außenpolitischer Nachrichtenredakteur sein Brot bis 1997 verdient hat. Nebenbei schrieb Kuntze etliche Kinderbücher, zwei Romane und acht politische Sachbücher über China. Seine konservative Wende geschah in den letzten Berufsjahren.

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