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Eine Lösung für den Nahen Osten?

11. Oktober 2024
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Seit dem am 7. Oktober letzten Jahres in Israel verübten Massaker der Hamas und der äußerst brutalen Reaktion des jüdischen Staates im Gaza-Streifen und im Libanon regieren auf beiden Seiten nur noch Wut und Haß. Einmal mehr hat sich bestätigt, was David Ben Gurion, 1948 einer der Gründerväter Israels, sieben Jahre später erklärte:

„Warum sollten die Araber Frieden schließen? Wäre ich ein arabischer Führer, würde ich mich nie mit Israel verständigen. Wir haben ihnen ihr Land genommen. Klar, Gott hat es uns versprochen, aber was bedeutet das ihnen? Unser Gott ist nicht der ihre. Wir kamen aus Israel, aber vor 2.000 Jahren, und was heißt das für sie? Es hat Antisemitismus gegeben, die Nazis, Hitler, Auschwitz, aber war das ihr Fehler? Sie sehen nur eines: Wir kamen hierher und stahlen ihr Land. Warum sollten sie das akzeptieren?“

Großbritannien, seinerzeit Mandatsmacht in Palästina, hatte ursprünglich vorgeschlagen, das Gebiet in eine britische, eine jüdische und eine arabische Zone aufzuteilen, was Juden und Araber 1938 ablehnten. Am 29. November 1947 nahm die UNO-Vollversammlung mit der Resolution 181 (II) einen neuen Teilungsplan an. Die Resolution beinhaltete die Beendigung des britischen Mandats und sah vor, Palästina in einen Staat für Juden und einen für Araber aufzuteilen sowie Jerusalem als „Corpus separatum“ unter internationale Kontrolle zu stellen. Die beiden neuen Staaten sollte eine Wirtschaftsunion verbinden, und beide sollten demokratische Verfassungen erhalten.

Laut Wikipedia erforderte die Annahme der Resolution eine Zweidrittelmehrheit der gültigen Stimmen der damals 57 Mitgliedsstaaten der UNO, wobei sich enthaltende und abwesende Mitglieder nicht zählten. Als sich im Vorfeld der Abstimmung zwar eine Mehrheit, aber keine Zweidrittelmehrheit abzeichnete, beantragte die US-Delegation unter dem Vorwand, Thanksgiving feiern zu wollen, eine Vertagung. Zwei Tage später waren bei dem entscheidenden Votum die Philippinen plötzlich von Nein zu Ja umgeschwenkt, Nicaragua von Nein zu Enthaltung, Frankreich, Haiti, Liberia sowie Luxemburg, die Niederlande und Neuseeland von Enthaltung zu Ja. Die Resolution wurde mit 33 gegen 13 Stimmen angenommen.

Kuba, Pakistan, Kolumbien und der Irak warfen daraufhin den USA und der Sowjetunion „pressure tactics“ vor. Die arabischen Staaten, die bereits angekündigt hatten, auch diesen Teilungsplan nicht zu akzeptieren, erklärten die Resolution für illegal. Die Abstimmung gebe nicht die wahre Haltung der Staaten wider, sondern sei durch Erpressung zustande gekommen. Aus dem Nachlaß von Präsident Truman sowie den Memoiren von Zionisten ergab sich, daß vor allem die USA und die Israel-Lobby während der Verschiebung der Abstimmung massiven Druck ausgeübt hatten. So erklärte Abba Eban, Israels späterer Außenminister:

„Im Hauptquartier der Jewish Agency arbeiteten wir rund um die Uhr: Wir telegrafierten, telefonierten, schrieben, überredeten und umwarben Menschen auf der ganzen Welt. Könnte ein Freund in den Vereinigten Staaten Einfluß auf den Präsidenten von Liberia nehmen?“

Ein afrikanischer Botschafter wiederum warf der US-Delegation vor, mehreren Ländern mit Kürzung der Entwicklungshilfe gedroht zu haben.

Der nie realisierte UNO-Plan wies den damals rund 600.000 Juden in Palästina 55 Prozent des Landes zu, den 1,2 Millionen Palästinensern lediglich 45 Prozent. Die Briten, deren Mandat am 14. Mai 1948 endete, übergaben die Macht an den am gleichen Tag von Ben Gurion einseitig proklamierten Staat Israel. Noch in der Nacht zum 15. Mai begann der erste Nahostkrieg. Im Januar 1949 endete er mit dem Sieg Israels. Für die Palästinenser war es die „Nakba“ genannte Katastrophe – 700.000 von ihnen wurden vertrieben oder flüchteten in die Nachbarstaaten. Heute leben etwa 2,1 Millionen Araber in Israel, sie machen ungefähr 20 Prozent der knapp zehn Millionen Einwohner aus.

Die gegenwärtig noch immer ins Spiel gebrachte Zwei-Staaten-Lösung ist völlig unrealistisch – nicht nur wegen der rund 800.000 israelischer Siedler, die völkerrechtswidrig im Westjordanland und in Ostjerusalem leben und die Palästinenser-Gebiete zerstückelt haben, sondern weil beide Kontrahenten die Vertreibung und Vernichtung des jeweils anderen planen. Auf israelischer Seite sind es rechtsradikale Kreise um Finanzminister Bezalel Smotrich und den für Sicherheit und Polizei zuständigen Minister Itamar Ben-Gvir, die die Wiederbesetzung des Gaza-Streifens und die endgültige Annexion des Westjordanlands fordern. Da es kein palästinensisches Volk gebe, so die Argumentation, hätten Araber auch kein Existenzrecht auf dem „biblischen Boden Israels“. Ihr Gegenpart ist die vom Iran angeführte „Achse des Widerstands“ aus der palästinensischen Hamas, der libanesischen Hisbollah und den jemenitischen Huthi-Rebellen, deren Ziel die lautstark verkündete Zerstörung Israels ist.

Die Hamas hat am 7. Oktober fast 1.200 Israelis ermordet und 251 Personen als Geiseln entführt. „Mehr als 3.000 Terroristen sind in unser Land eingedrungen“, rekapitulierte der israelische Botschafter Ron Prosor ein Jahr später in der „Süddeutschen Zeitung“. „Sie kamen mit Autos, auf Motorrädern und zu Fuß. Einige kamen sogar mit Paraglidern aus der Luft. Die sozialen Netzwerke wurden mit Videos geflutet, die zeigten, was wir nie für möglich hielten: Schwerbewaffnete Terroristen fuhren auf unseren Straßen, junge Menschen flohen in Panik von einem Musikfestival, und Dörfer und Felder gingen in Flammen auf.“ Für die Juden, so Prosor, war es das schlimmste Massaker nach dem Ende der Shoah.

Israels Rache war fürchterlich: 42.000 Todesopfer, darunter viele Frauen und Kinder, forderten bis heute die Bombardierungen des Gaza-Streifens; 1,9 Millionen Menschen, somit rund 90 Prozent der gesamten Bevölkerung Gazas, sind auf der Flucht. Im Libanon wird die Zahl der Toten auf 1.700 geschätzt; eine Million Libanesen sollen wegen der Raketenangriffe geflohen sein. Die Höhe der Sachschäden durch Zerstörung und Beschädigung von Gebäuden läßt sich zur Zeit nicht beziffern. Zum geflügelten Wort ist der Wahlspruch Georg von Frundsbergs, des frühneuzeitlichen Landsknechtsführers, geworden: „Viel Feind´, viel Ehr´“. Der erste Teil trifft zweifellos auf Israel zu, der zweite Teil hat sich jedoch ins Gegenteil verkehrt. Noch nie waren Antisemitismus und Antizionismus global so intensiv und so haßerfüllt.

Um endlich aus der Sackgasse ständiger Konfrontationen und sich wiederholender Kriege herauszukommen, haben eine Palästinenserin und ein Israeli eine originelle Idee entwickelt. Ganz bewußt am diesjährigen 7. Oktober räumte die „Süddeutsche Zeitung“ der Politikwissenschaftlerin Rula Hardal und dem Philosophen Omri Boehm eine ganze Seite ein, um deren Plan in einem Interview vorzustellen. Bereits der Name der israelisch-palästinensischen Organisation, deren Co-Direktorin Hardal seit 2023 ist, enthält das ganze Programm: „A Land for All – Two States, One Homeland“.

Auch wenn die meisten Israelis und Palästinenser Wert auf eigene souveräne Staaten legen, schlagen Hardal und Boehm eine gemeinsame übergeordnete Ebene vor, eine Art Konföderation, die Fragen des täglichen Lebens regeln würde. Beide Einheiten, die israelische und die palästinensische, würden einen Teil ihrer Souveränität abgeben, denn sie wären über eine gemeinsame Verfassung verbunden. Diese Verfassung, so der Plan, müsse für das gesamte Gebiet regeln, welche Gesetze legal seien und welche beispielsweise den Menschenrechten widersprechen. Die UNO-Teilungsresolution von 1947, die bis heute als Modell für zwei getrennte Staaten gilt, wird von Hardal und Boehm daher völlig anders interpretiert:

„Die verdrängte Wahrheit ist: Die Resolution wollte nicht einfach eine Teilung, sondern eine ˋTeilung mit Wirtschaftsunionˋ. Sie schloß mit der Wirtschaftsunion auch die Freizügigkeit ein, gemeinsame Behörden für Verkehr, Zoll und Telekommunikation, eine gemeinsame Währung, gemeinsame Häfen, einen gemeinsamen Flughafen. Sogar so etwas wie ein gemeinsames Gericht. Schon damals hatte man begriffen, daß sich – wenn man wirklich Frieden will – beide Völker das Gebiet sinnvoll teilen müssen, weil man es nicht in Stücke trennen kann.“

Mit derartigen Projekten, fügte Boehm hinzu, solle versucht werden, etwas wiederherzustellen, was die UNO ursprünglich gewollt habe. Demnächst werde Rula Hardal zusammen mit anderen israelischen Juden und Palästinensern an einer Konferenz teilnehmen, die er, Boehm, zusammen mit Andreas Follesdal am Friedensnobel-Institut in Oslo organisiere. Da werde es um konföderative Ideen für die Zukunft Israels gehen. Abschließend erklärte Boehm:

„Am 7. Oktober hat die Hamas auch einen Anschlag auf die Idee des Zusammenlebens verübt. Für die Palästinenser bedeutet dies, in aller Deutlichkeit auszudrücken, daß diese Verbrechen gegen ihre künftigen Mitbürger nicht zulässig sind. Und ich als jüdischer Israeli muß klar sagen, daß wir nur zusammenleben können, wenn unsere eigenen Kriegsverbrechen geahndet werden. Wir müssen lernen, die aktuellen Verbrechen als Verbrechen zu sehen, die gegen unsere eigenen zukünftigen Bürger gerichtet sind. Eines Tages werden sie so gesehen werden. Es ist die einzige Hoffnung, die wir haben.“

Peter Kuntze

Kuntze wurde 1941 in Kiel geboren und hat nach Abitur und Wehrdienst eine verlagskaufmännische Lehre in Hamburg absolviert. Anschließend ein Redaktionsvolontariat in Ansbach. 1968 gelang ihm der Sprung nach München zur Süddeutschen Zeitung, wo er als außenpolitischer Nachrichtenredakteur sein Brot bis 1997 verdient hat. Nebenbei schrieb Kuntze etliche Kinderbücher, zwei Romane und acht politische Sachbücher über China. Seine konservative Wende geschah in den letzten Berufsjahren.

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