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Du kannst die Einwohner aus Afghanistan holen, aber nicht Afghanistan aus den Einwohnern…

30. August 2021
in 3 min lesen

Selbst einige Wochen nach dem Fall Kabuls rätseln noch immer große Teile des Westens, wie das nur passieren konnte. Jahre der militärischen Intervention und Multimilliarden Dollar wurden in das karge Land in Vorderasien gepumpt.
Westliche Werte wurden verteilt wie warme Semmeln und die afghanischen Sicherheitsbehörden hatten über 15 Jahre Zeit, sich zu Kämpfern für die liberale Demokratie zu mausern. Stattdessen: Nichts. Eine fast stille Eroberung der Taliban direkt hinter den zurückgezogenen Nato-Truppen.

Von Beginn an zum Scheitern verurteilt

Die „Niederlage“ der USA und ihrer Verbündeten hat viele Gründe. Nur einer davon ist, dass man einen solch asymmetrischen Krieg schlichtweg nicht gewinnen kann. Und das wiederum fußt nicht auf der Unwegsamkeit des Geländes, dem territorialen Know-How der islamischen Truppen oder dem Kampfeswillen der Soldaten, die ihre Heimat zurückerobern wollen. Sondern darauf, dass die Bevölkerung – also ziemlich jeder des 38 Millionen Einwohner-Landes, kein Bock auf westliche Besatzer hat.

Man erobert nicht so einfach ein fremdes Land – auch nicht mit westlichen Werten. Selbst die Amerikanisierung Deutschlands nach 1945 war ein komplexer Akt aus dauerhafter Besetzung, einer vollkommenen Zerstörung der Heimat, jahrzehntelanger „Reeducation“ und einer ohnehin gewissen kulturellen Nähe zwischen den USA und Deutschland. Dazu kam, dass Deutschland bereits in den 1920er Jahren ganz von alleine mit den westlichen Werten der Freiheit und den unbegrenzten Möglichkeiten in Berührung kam.

In Afghanistan ist die Sache hingegen anders gelagert und de facto unmöglich gewesen. Eine überlegene Besatzungsmacht erobert ein Land, was nie als Aggressor fungiert hatte. Der Angriff auf den „freien Westen“ ist – selbst nach dem patriotisch-verzerrten Narrativ der US-Amerikaner – nur durch eine kleine Gruppe von Fundamentalisten durchgeführt worden. Der normale Afghane, auch wenn er die USA nicht leiden kann, hat damit wenig am Hut. Er ist damit beschäftigt, nicht zu verhungern und seine acht Kinder zum Schlafmohn-Anbau zu schicken.

Westliche Werte sind nicht universalistisch, sondern westlich

Der Ansatz der „universalistischen Werte“ des Westens ist nicht universalistisch. Er ist ein Produkt des Westens, und genau das ist auch der Grund, warum sich die Werte von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Gleichberechtigung, Emanzipation und Selbstbestimmung meistens nur da durchsetzen, wo weiße Europäer über Jahrhunderte ihren Fuß hingesetzt haben.

Die anschließende Behauptung, die Werte des Westens hätten die Roten, Gelben, Schwarzen und Braunen zum Umdenken gebracht, anstatt die überlegene Waffengewalt, ist blanke Hybris und zudem ziemlich unhöflich gegenüber den Werten der Völker, die besetzt oder gemeuchelt wurden. Das Denken, dass die „besseren Werte“ einfach ihren Weg finden werden, ist kindisch und wurde zum wiederholten Male widerlegt.

Denkt man in Jahrhunderten liegt sogar der Verdacht nahe, dass die westlichen Werte der Post-Aufklärung im „fairen Duell“ unterlegen sein könnten. Die islamischen Steinzeitkrieger könnten in hundert Jahren Europa bevölkern, während die mitteleuropäische Durchschnittsfrau unter einer Zentnerlast an Freiheit und Selbstbestimmung das Kinderkriegen ganz vergisst. Welche Werte sind jetzt überlegen?

Dass Afghanistan schnell von den Taliban „erobert“ wurde, ist eine Lüge. Afghanistan ist nach einem 20-jährigen Ausflug voller Leid und Chaos wieder Afghanistan geworden. Jeder Quadratmeter, auf dem zuvor der Westen stand, wird in der Sekunde des Abzugs ein Quadratmeter auf dem wieder islamisches Recht und Stammesregeln gelten. Das „Durchziehen“ der Taliban ist mehr Triumphzug, denn Rückeroberung.

Die konstruierte Flucht

Eine Handvoll der wenigen, wirklich prowestlichen Afghanen, schwebt jetzt irgendwo zwischen rückblickendem Zwang, Opportunismus und Kollaboration. Ihnen empfiehlt sich, schnell den Lebenslauf umzuschreiben und sich gute Ausreden einfallen zu lassen, auch wenn die Taliban Amnestie versprochen haben.

Der Großteil der Afghanen kann wieder so sein, wie er immer war: Seine Frauen verhüllen, Kind Nr. 8 zeugen und drei Mal am Tag Richtung Mekka beten. Seine Kinder müssen nicht mehr in diese nervigen Schulen, die vom abstrakten Westen gebaut und die eine afghanische Reeducation beim Abendessen von Nöten machte. Jetzt kann der Afghane in tiefer Eintracht mit Allah und seinen Vorfahren im Hindukusch Schafe hüten und seine Familie versorgen. Vielleicht kommt er in den nächsten friedvollen Jahren sogar zu bescheidenem Wohlstand, gründet ein kleines Geschäft oder kann ein Kind – nicht alle – freiwillig auf die Universität schicken?

Aber viele anderen Afghanen scharren schon mit den Füßen und wollen doch in den Westen? Haben unsere Werte also doch eine Anziehungskraft auf große Teile der Bevölkerung? Nein. Auch die kommende, politisch forcierte „Flucht“ der Afghanen ist natürlich keine Flucht und erst recht kein Streben, um den geradeeben verlorengegangen westlichen Werten nachzulaufen. Es ist ein Streben nach Wohlstand, Reichtum und Rundumversorgung, weshalb sich auch die rückständigsten Paschtunen auf den Weg machen. Ihre jahrtausendealte Kultur, ihre Ergebenheit gegenüber den Regeln Mohammads nehmen die Afghanen natürlich mit.

Haben die westlichen Werte also gar keine Bedeutung? Doch für uns. Denn wir sind diejenigen, die unter Berufung auf diese Werte wieder einmal hunderttausende Wüstensöhne ins Land winken. So schnell wendet sich das Blatt.

Stefan Nguyen

Endlich ein Ausländer im Team und wir müssen uns die Rassistenvorwürfe nicht mehr anhören. Nguyen ist leider nur Viertelvietnamese, hat aber vieles von der asiatischen Mentalität geerbt. Jeden Tag 14 Stunden arbeiten. Schlafen ist für Verlierer. Stefan hat einen Bachelor in International Economics und arbeitet derzeit im Ausland. Wenn er überhaupt einmal Zeit hat, schreibt er in der Print.

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