Als wichtigste Kennzeichen eines Reporters nennt Judith Wittwer, Chefredakteurin der „Süddeutschen Zeitung“, in einer Eigenanzeige des Blattes vom 8. April: „Einwandfreie Fakten, sorgfältige Recherchen und das Streben nach Transparenz und Wahrheit.“ Diesem Credo kann sich ihre Kollegin Eva Quadbeck sicherlich anschließen. Die Chefredakteurin des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND), dem rund sechzig Zeitungen angehören, definiert in einem Leitartikel vom 3. Mai Pressefreiheit in drei markanten Sätzen: „Zu berichten, was man sieht und hört. Zu verbreiten, was man durch Recherche in Erfahrung bringen konnte. Zu erklären, einzuordnen und zu kommentieren, was man über die Lage denkt.“
Hierzulande beschränken sich mittlerweile die meisten Medien, ob öffentlich-rechtlich oder privat, auf den letzten Satz. Gegenüber Lesern, Zuschauern und Hörern verstehen sie sich als Lautsprecher einer Regierung, die nach innen und nach außen eine „wertegeleitete“ Politik vertritt und allen verkündet, was wahre Demokratie sei. Man nennt es Haltungsjournalismus, seit geraumer Zeit auch „aktivierender Journalismus“. Er widerspricht den alten Grundregeln des Metiers, zu denen die strikte Trennung von Nachricht und Kommentar gehört. Hanns-Joachim Friedrichs, einstiger prominenter TV-Moderator, faßte es in dem Satz zusammen, gute Journalisten sollten Distanz wahren, sich nicht gemein machen mit einer Sache, auch nicht mit einer guten. Sagen, was ist, nicht sagen, was man will – das gab Rudolf Augstein, Gründer des „Spiegel“, als Parole aus. Doch leider hielt er sich selbst ebenso wenig daran wie die Redakteure seines Nachrichtenmagazins.
Daß Journalisten sich zu Aktivisten der angeblich richtigen und guten Sache machen, ist spätestens seit Beginn des „Kampfes gegen Rechts“ im Jahr 2000 zu beobachten. Diese bürgerkriegsähnliche Kampagne, die von der ethnisch-kulturellen bis zur geschlechtlichen Umwandlung alle Kapillaren der Gesellschaft erfaßt, wird mit der angeblichen Verantwortung der Medien für die Demokratie begründet. Heute kommt der fast religiöse Züge tragende Kreuzzug für die Klimawende hinzu. Während in autoritär regierten Ländern der Staat die Presse gleichschaltet, geschieht dies hierzulande freiwillig. Ziel ist es, die Menschen durch kommunikative Ge- und Verbote so zu lenken, daß Widerstand gegen den politischen Umbau des Gemeinwesens stetig minimiert wird. Dies hat dazu geführt, daß nach einer INSA-Umfrage 81 Prozent der Befragten glauben, manche Bürger würden ihre Meinung nicht mehr frei äußern, weil sie Angst vor negativen Konsequenzen hätten.
Ein markantes Beispiel für eine manipulative Berichterstattung lieferte jüngst die „Süddeutsche Zeitung“ zum Thema Sprachunterricht in deutschen Grundschulen. Unter der Rubrik „Das mehrsprachige Klassenzimmer“ zitierte das Blatt am 15. Mai CDU-Generalsekretär Mario Czaja, der nach der Berliner Silvester-Randale mit migrantischen Haupttätern erklärt hatte: „Es geht nicht an, daß auf den Schulhöfen andere Sprachen als Deutsch gesprochen werden.“
Die Herrschaft des Volkes
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„Doch wie sehen die Fakten aus?“, fragt die SZ-Autorin die Leserschaft. Antwort: „Etwa ein Viertel der drei-bis sechsjährigen Kinder spricht in der Familie vorrangig eine andere Sprache als Deutsch“. In der Forschung sei man sich jedoch recht einig: Mehrsprachig aufzuwachsen fördere die Sprachentwicklung von Kindern – völlig unabhängig davon, ob die Familiensprache nun Arabisch oder Französisch sei. Lange habe sich die Befürchtung gehalten, mehrere Sprachen könnten die Kinder überfordern oder dazu führen, daß sie keine der Sprachen gut beherrschen. Dabei sei vielmehr das Gegenteil der Fall: Kinder, die mit mehr als einer Sprache aufwüchsen, lernten Wortschatz und Grammatik einer neuen Sprache oft leichter als Gleichaltrige, die nur mit einer Sprache groß würden, zitierte die Autorin einen Sprachwissenschaftler.
Im letzten Fall hat der Wissenschaftler sicher recht. Die Frage in Bezug auf Mario Czajas Statement ist aber, wie gut oder schlecht deutsche und ausländische Kinder in einer gemeinsamen Klasse Deutsch lernen. Und da ist das Resultat eindeutig: „Kinder lesen immer schlechter“ titelte die SZ am 17. Mai. Nur zwei Tage nach dem Lobgesang auf das mehrsprachige Klassenzimmer mußte das linksliberale Leitmedium einräumen: „Ein Viertel der Viertklässler scheitert laut einer neuen Studie an Mindeststandards“. Die Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung (Iglu), die alle fünf Jahre durchgeführt wird, ergab, daß seit der letzten Erhebung 2016 die Lesekompetenz deutscher Schulkinder weiter deutlich abgenommen hat; damit liegt Deutschland unter dem EU-Durchschnitt. „Ein Teil dieser Entwicklung dürfte auf die Schulschließungen infolge der Corona-Pandemie zurückzuführen sein“, resümierte Katharina Günther-Wünsch, Berliner Senatorin für Bildung, Jugend und Familie, bei der Vorstellung der Studie.
Vor dem Hintergrund einer gestiegenen Anzahl von Kindern mit Migrationshintergrund rücke jedoch auch die Bedeutung der in deren Familien gesprochenen Sprache in den Fokus. Schließlich ist das ebenfalls ein zentraler Befund der Iglu-Studie: Kinder, die in ihrem familiären Umfeld Deutsch sprechen , können deutlich besser lesen als Kinder, die sich zu Hause nur selten oder nie auf Deutsch unterhalten.
Wen wundert´s? möchte man fragen. Doch die SZ geht nur in einem verklausulierten Satz auf den wohl entscheidenden Punkt ein: „Die pandemiebedingten Beeinträchtigungen und die sich veränderte Schülerschaft erklären nur einen Teil dieses Leistungsabfalls“, zitiert das Blatt Nele McElvany, Professorin an der TU Dortmund, und führt weitere Gründe für das schlechte Abschneiden an: In deutschen Klassenzimmern werde vergleichsweise wenig Zeit mit Lesen verbracht, die Digitalisierung an den Schulen sei unterdurchschnittlich, die Klassenlektüren der 4. Jahrgangsstufe seien relativ kurz und rund zwanzig Jahre alt, und – das linke Lieblingsthema – Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit seien in Deutschland seit Jahrzehnten unverändert schlecht.
Leidgeprüfte Eltern und Pädagogen wissen indes, daß Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, den gravierenden Punkt genannt hat. Am 5. Januar konstatierte er nach der Berliner Randale gegenüber „Bild“: „Ab einem Anteil von 35 Prozent Migrantenkindern nehmen die Leistungen in einer Klasse überproportional ab.“Bereits im Jahr 2011 lag der Durchschnittswert bei 38 Prozent (SZ, 18. Oktober 2022); heute dürfte er längst die Marke von 40 Prozent überschritten haben.