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Mit Gift und Galle gegen „Hass & Hetze“

15. November 2022
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Der „Kampf gegen Rechts“, in Deutschland erstmals im Oktober 2.000 unter der Regentschaft Gerhard Schröders (SPD) und Joschka Fischers (Grüne) ausgerufen, hat inzwischen alle Kapillaren der Gesellschaft erfaßt. Da sich der inzwischen rot-grün-gelb-schwarze Mainstream seiner Diskurshoheit jedoch nicht mehr so sicher ist wie ehedem, macht er unentwegt mobil gegen „Hass & Hetze“, die er vornehmlich in den sogenannten „sozialen Medien“ wittert und durch Gesetzesinitiativen auf nationaler und europäischer Ebene mundtot machen will.

Unterstützt von Haltungs-Journalisten, denen ihre aufrechte Meinung wichtiger ist als korrekte Berichterstattung, merken die wackeren Kämpfer für das Wahre und Gute nicht, daß sich ihr aus Gift und Galle gespeister Furor zu einer „gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“ entwickelt hat – zu jenem Makel, mit dem der Soziologe Wilhelm Heitmeyer als Namensgeber mehrheitlich rechte Gesinnungstäter etikettieren wollte. So verstieg sich einen Tag vor den Midterms in den Vereinigten Staaten ein Leitartikler der Süddeutschen Zeitung zu der Behauptung, im Jahr 2016 sei offenbar geworden, daß „Teile der USA am Morbus Trump erkrankt“ seien. In der Sprache der Medizin gibt morbus (lateinisch für Krankheit) in Verbindung mit dem Namen des Erstbeschreibers einer Krankheit seinen Namen – beispielsweise Morbus Alzheimer.

Nicht weniger diskriminierend ist, daß Andersdenkenden Phobien, psychische Störungen – vulgo: „krankhafte Ängste“ –, attestiert werden. Wer vor der Überfremdung des eigenen Landes warnt, gilt rasch als xenophober Psychopath. Dabei sprechen die Tatsachen eine unmißverständliche Sprache. Selbst die Süddeutsche Zeitung, ansonsten eine woke Warnerin vor rechten Verschwörungstheorien, zeigte auf, warum Corona das hiesige Bildungssystem in die Krise stürzen konnte: „Weil es der Politik in der Breite nicht gelungen ist, die richtigen Antworten auf eine Gesellschaft zu finden, die sich in den letzten Jahren massiv verändert hat – auch und gerade an den Schulen. Einen Zuwanderungshintergrund etwa hatte 2011 deutschlandweit ein Viertel der Kinder in der vierten Klasse, zehn Jahre später sind es 38 Prozent. In Bremen sind es sogar 58 Prozent“ (SZ, 18. Oktober).

Wer im Koran als der Grundlage des Islams die Quelle einer intoleranten Religion mit dem Anspruch auf weltliches Herrschaftsbegehren sieht, leidet den Kritikern zufolge an Islamophobie, einer schweren Persönlichkeitsstörung, die einhergeht mit dem Fehlen von Empathie, sozialer Verantwortung und individuellem Gewissen. Als homophob gilt jeder, der die Ehe als Rechtsinstitut für Mann und Frau bewahren will. Auf diese Weise fällt es leicht, ideologische Gegner aus dem Kreis normaler Menschen auszuschließen, ihnen die Kommunikationsfähigkeit abzusprechen und sie als „Spinner“ zu brandmarken, denen kein Gehör geschenkt werden darf.

Wer nach diesem Muster im In- und Ausland vorgeht, darf weder die Spaltung der heimischen Gesellschaft noch die globale Blockbildung zwischen Demokratien und Autokratien beklagen, denn beides hat dieselbe Ursache: die Ungleichheit der Menschen. Aus dieser Ungleichheit speist sich die Sehnsucht nach einer „besseren Welt“, nach einer Gesellschaft, in der es keine Hierarchien mehr gibt, kein Oben und kein Unten, in der jedem alles offensteht und sich alle von gleich zu gleich begegnen, in der jedem Respekt und Wertschätzung entgegengebracht werden und er/sie Teilhabe an allem hat, ohne nach Herkunft oder Leistung zu fragen. Kurz, es ist der ewige Menschheitstraum, die Utopie einer globalen Gemeinschaft ohne Klassen, ohne Grenzen und ohne Staaten, weil wir doch alle Menschen sind, die in einer Welt leben.

Wer diese Vision nicht zu teilen vermag, weil sie individuelle und nationale kulturelle Ungleichheit negiert und dadurch staatliche und persönliche Autorität untergräbt, steht im Verdacht, ein völkischer Reaktionär zu sein. Spießige Nostalgie, identitäre Hysterie, Verharren im Altmodischen, fortschrittsfeindliche Verklärung der Vergangenheit – so lauten die Vorwürfe, mit denen schwärmerische Utopisten nicht nur hierzulande gegen Rechte und Konservative zu Felde ziehen.

Während Freiheit, verstanden als gelebte Unterschiedlichkeit, der Natur nicht nur des Menschen entspricht, wird Gleichheit künstlich hergestellt. In der deutschen Verfassung ist sie als Gleichheit vor dem Gesetz eines der wesentlichen Grundrechte. Es gilt für Männer wie für Frauen und zählt in Absatz 3 neben dem Geschlecht weitere Ungleichheiten auf, die vor dem Gesetz als gleich zu behandeln sind und deretwegen niemand bevorzugt oder benachteiligt werden darf: Abstammung, Rasse, Sprache, Heimat und Herkunft, Glauben sowie religiöse und politische Anschauungen. Die im zwischenmenschlichen Leben bedeutendste Ungleichheit hat der Gesetzgeber jedoch wohlweislich ausgelassen: die körperliche Ungleichheit (Aussehen, Kraft etc.) und, für nahezu alle Bereiche am wichtigsten, die geistige Ungleichheit.



In unserer auf Demokratie, Menschenwürde und Toleranz gegenüber allen möglichen Lebensstilen beruhenden Gesellschaft kommt es daher einem Sakrileg gleich, an Schopenhauers Diktum zu erinnern, die meisten Menschen seien bloß „Fabrikware der Natur, wie sie solche täglich zu Tausenden hervorbringt“. Doch es hilft nichts – da die Natur weder demokratisch noch fromm ist, kennt sie nicht einmal eine Seelengleichheit, vielmehr hat sie „durch die höchst ungleichmäßige körperliche und geistige Begabung der Einzelnen Ungerechtigkeiten eingesetzt, gegen die es keine Abhilfe gibt.“ (Sigmund Freud).

Mao Zedong, einstiger Sympathieträger der westdeutschen Studentenbewegung von 1968, der mit seinem Gleichheitswahn die von ihm 1949 miterkämpfte Volksrepublik an den Rand des geistigen und materiellen Ruins getrieben hat, redete trotz allem ganz selbstverständlich einer Hierarchisierung seiner Zeitgenossen das Wort. So pflegte er das Hinscheiden führender Revolutionäre in Bezug auf deren Verdienste mit dem altchinesischen Sprichwort zu kommentieren: „Der Tod des einen wiegt schwer wie der Tai-Berg, der Tod eines anderen wiegt weniger als Schwanenflaum.“

Und, angesprochen auf den bis heute in allen Gesellschaften zu beobachtenden Personenkult, meinte Chinas Premier Zhou Enlai Ende der siebziger Jahre, dieses Phänomen werde existieren, solange es das Bedürfnis gebe, zu verehren und verehrt zu werden – das heißt, solange es Persönlichkeiten gibt, die, auf welchem Gebiet auch immer, über das Mittelmaß hinausragen. Ohne Hierarchisierung gäbe es schließlich keine Vorgesetzten und Untergebenen, keine Dirigenten, Chefredakteure oder Kapitäne von Fußballmannschaften.

Aus der Ungleichheit der Menschen hat Mao letztendlich die Existenz unterschiedlicher politischer Richtungen abgeleitet, mit der er als radikaler Linker seine verhängnisvolle Theorie von der Notwendigkeit einer permanenten Revolution begründete: „Überall, wo Menschen leben – das heißt, an jedem Ort außer in der Wüste –, teilen sie sich in Linke, in der Mitte Stehende und Rechte. Das wird in zehntausend Jahren noch so sein.“

Auf längere Sicht könnte daher der „Kampf gegen Rechts“ auch in Deutschland nicht auf verbale Attacken mit Gift und Galle contra Hass und Hetze beschränkt bleiben, sondern die Vorstufe einer bürgerkriegsartigen Entwicklung sein.

Peter Kuntze

Kuntze wurde 1941 in Kiel geboren und hat nach Abitur und Wehrdienst eine verlagskaufmännische Lehre in Hamburg absolviert. Anschließend ein Redaktionsvolontariat in Ansbach. 1968 gelang ihm der Sprung nach München zur Süddeutschen Zeitung, wo er als außenpolitischer Nachrichtenredakteur sein Brot bis 1997 verdient hat. Nebenbei schrieb Kuntze etliche Kinderbücher, zwei Romane und acht politische Sachbücher über China. Seine konservative Wende geschah in den letzten Berufsjahren.

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