Der letzte Teil dieser Reihe liegt nun wieder ein paar Wochen zurück. Wir hatten damals den niederländischen Schiffbau im „Goldenen Zeitalter“ angerissen und exemplarisch an der „Büse“ gezeigt, wie die private Initiative, der Einfall irgendeines verschrobenen Bootsbauers oder gar Fischers, die technologische Entwicklung vorantreibt, die ihrerseits wiederum die Produktivität steigert. Natürlich, der Anblick einer „Büse“ würde uns in jedem Museum gähnen lassen, aber machen wir uns mal einen Moment klar, dass die Vereinigten Niederlande im Laufe des 17. Jahrhunderts aufgrund solcher Entwicklungen zur Weltmacht avancierten. Das Land war nicht reich, es besaß keine Silberminen und auch keine fruchtbare Schwarzerde. Aber das ist der Punkt: Es ist der Mangel, der die Menschen kreativ macht, und nicht der Überfluss! Aber dazu mehr in der kommenden Printausgabe…
Eigentlich hat Adam Smith in seinem Opus magnum „Der Wohlstand der Nationen“ alles zur Wirtschaft gesagt, was man sagen kann. Dieser gewaltige, vom Umfang her erschlagende Schinken liegt in jeder Buchhandlung zu Pyramiden aufgestapelt bei den „All-Time-Classics“, gleich neben Le Bons „Psychologie der Massen“ oder Sunzis „Die Kunst des Krieges“. Vielleicht ist es diese Umgebung, diese Aura des oberflächlichen „DaS mUsSt Du GeLeSeN hAbEn!“, die rechte Bibliophile eher vor dem Werk zurückschrecken lässt. Smith hat, abgesehen von BWL-Studenten (nichts für ungut, Justus) keine richtige Lobby. Marx hingegen lebt in unzähligen Lesekreisen fort und genießt auch nach 150 Jahren Scheitern in Theorie und Praxis das Prädikat, „weiterhin von großer Bedeutung“ zu sein. Seit einiger Zeit „entdeckt“ man ihn ja auch in neurechten Kreisen, und da man diesen Leuten gerade Lesefaulheit nicht vorwerfen kann, kommen wir wieder zur Frage, weshalb der gute Smith, der im Gegensatz zu Röpke auch noch „dieses eine Standardwerk“ geschrieben hat, rechts liegen gelassen wird…
Sei es drum, wir widmen uns heute Adam Smith. Genauer gesagt widmen wir uns einer der bekanntesten Stellen in „Wohlstand der Nationen“, nämlich der Beschreibung der Arbeitsteilung. Dazu eine kleine Anekdote: Im Museum für Hamburgische Geschichte, dessen gemütliches und preiswertes Bistro ich allen Hamburg-Besuchern ausdrücklich ans Herz legen möchte, befindet sich im Ausstellungsteil über die Hanse der Querschnitt einer mittelalterlichen Kogge. Man kann also sozusagen den Frachtraum des Schiffs betreten, und in dem besagten Frachtraum steht ein Fass, und in diesem Fass befinden sich Hunderte, wenn nicht sogar tausend Messerklingen.
Diese Messerklingen stammen aus Solingen, einer Stadt also, die seit dem Mittelalter ein Zentrum für die Herstellung für alles war, womit man sich in den Finger schneiden konnte. Solinger Messer, das ist also vergleichbar mit Thüringer Rostbratwürsten oder Nürnberger Spielwaren. Mein letzter Besuch in dem Museum liegt ein paar Jahre zurück, und mir fehlt daher leider der weitere Kontext zu dem besagten Objekt, aber was dem interessierten Betrachter direkt ins Auge fällt, ist folgendes Detail: Den Messerklingen fehlen die Griffschalen. Sie sind nicht im Laufe der Zeit weggegammelt, wie das bei Holzgegenständen oft der Fall ist, sondern die rohen Klingen wurden, nachdem sie ein Solinger Schmied hergestellt hatte, verbogen und in das Fass geworfen. In diesem Fass gelangten sie dann in den Rumpf eines Schiffes und traten die Reise zum Bestimmungsort an, wo sie dann ausgepackt, begradigt, geschliffen und mit Griffschalen versehen an den Endnutzer verkauft werden konnten. Arbeitsteilung also: naheliegend, unspektakulär, fast schon langweilig. Wäre da nicht Adam Smith.
Das Verdienst des umtriebigen Schotten war es nämlich, genau dieses Phänomen präzise zu beschreiben und sowohl in den ökonomischen als auch den kulturellen Kontext einzuordnen. Arbeitsteilung ist so alt wie die Menschheit selbst. Die ursprünglichste Form ist wohl die zwischen Mann und Frau. Sie war also von Beginn an kulturell eingebettet, aber es ist naheliegend, dass sie ebenso lange auch des ökonomischen Vorteils wegen betrieben wurde. Adam Smith führt das am Beispiel der Nadelproduktion aus, aber bleiben wir ruhig mal beim Beispiel des Solinger Messers: Wir haben hier einen Produktionsprozess, der sich in mehrere Schritte unterteilen lässt. Der Schmied treibt das glühende Eisen in die richtige Form, also die Klinge und die Griffstange. Anschließend muss die Griffstange mit zwei Bohrungen versehen werden, um die späteren Griffschalen anbringen zu können. Selbstverständlich prägt der Schmied sein Markenzeichen in das Eisen, der Kunde soll ja wissen, dass es sich hierbei um Qualität aus Solingen handelt. Bis jetzt ist das Messer noch stumpf, es muss also geschliffen werden, und wahrscheinlich ist dieser Schritt unterteilt in einen Grob- und einen Feinschliff. Und dann fehlen noch die Griffstücke…
Smith hat am Beispiel der Nadelproduktion verdeutlicht, wie erheblich der Ausstoß gesteigert werden kann, wenn nicht ein Arbeiter alle Handgriffe erledigt, sondern jeder Handgriff von einem darauf spezialisierten Arbeiter vollzogen wird. Was auch hier wieder nach langweiligem BWL-Kram klingt, ist die Quelle unseres Wohlstands und der Grund, weshalb sich der europäische Kontinent innerhalb weniger Jahrhunderte in Sachen Wohlstand und technischer Entwicklung vom Rest der Welt abhob. So etwas darf man nicht geringschätzen. Eben weil die Arbeitsteilung eine höhere Produktion von Nadeln, Messern und dergleichen ermöglichte, sank deren Preis. Dass dieser Preis eine Funktion aus Angebot und Nachfrage ist, dass also die Knappheit eines Gutes dessen Preis bestimmt und nicht etwa die dafür aufgebrachte Arbeitszeit, war Adam Smith klar. Karl Marx hingegen nicht, weshalb sozialistische Wirtschaftssysteme auch bei der völligen Ausreizung von Arbeitsteilung ökonomisch versagen. Aber das führt an dieser Stelle zu weit, über Preise und Märkte reden wir ein anderes Mal.
Wir werden im nächsten Teil der Reihe noch eingehender mit der Arbeitsteilung befassen, denn so etwas kann man nicht in einer einzigen Kolumne durchnudeln. Bis dahin empfehle ich allen, die bei ihren Museumsbesuchen an den scheinbar unspektakulären Dingen hängen bleiben, die Lektüre von Adam Smith. Zu dessen Leben und Werk gibt es übrigens auch hervorragende Einführungen, etwa die von Helen Winter und Thomas Rommel.