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Über die Würde des Menschen

22. Mai 2024
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Andreas Voßkuhle, von 2008 bis 2020 Richter des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe, geriet anläßlich des 75. Geburtstages des Grundgesetzes ins Schwärmen: „Ich glaube, jedem Verfassungsrechtler geht das Herz auf, wenn er Artikel 1 Absatz 1 liest: ´Die Würde des Menschen ist unantastbar´. Von diesem Satz her müssen wir das ganze Grundgesetz lesen: Im Mittelpunkt steht der Einzelne als Träger von Rechten, den wir als frei und gleich betrachten“ („Märkische Allgemeine Zeitung“ vom 18./19. Mai 2024).

Der solcherart gepriesene Artikel wirft indes grundsätzliche Fragen auf. Am besten brachte es Johannes Rau, Bundespräsident von 1999 bis 2004, auf den Punkt, indem er betonte, unantastbar sei die Würde des Menschen, nicht des Deutschen. Damit stellte er klar, daß die „Väter“ (61 Männer) und „Mütter“ (4 Frauen) des Parlamentarischen Rats, der seinerzeit das Grundgesetz mit 53 zu 12 Stimmen verabschiedete, die Würde allen Menschen gleichermaßen zuschrieben – unabhängig von Herkunft, Rasse, Geschlecht, Alter, sexueller Orientierung oder sozialem Status.

Dieser universalistische Gehalt ist jedoch kaum vereinbar mit dem Nationalstaat, denn dieser hat aufgrund seiner geografischen Grenzen nur einen auf seine Staatsbürger bezogenen und dadurch individualisierten Geltungsbereich. Da der Staat seinen Bürgern sowohl Rechte verbürgt als auch Pflichten auferlegt, dürfte es mit der von Andreas Voßkuhle beschworenen Freiheit und Gleichheit des Einzelnen nicht so weit her sein. Somit stellt sich die Frage: Gibt es überhaupt den abstrakten „Menschen“, oder ist er bloß ein philosophisch-juristisches Konstrukt? Und daraus abgeleitet: Ist die Menschenwürde als ethisches Grundprinzip wirklich zeit- und ortlos? Steht sie über jeder politischen Staatsform?

Und nicht zuletzt: Was hat man eigentlich unter jener „unantastbaren Würde“ zu verstehen? Die Begründungen sind vielfältig. Die einen, so heißt es bei Wikipedia, stellen den Menschen als Art über alle anderen Lebewesen. Andere berufen sich auf römische Philosophen wie Cicero, die im Gegensatz zur griechischen Antike erstmals den Begriff der Würde verwenden. Viele führen die Menschenwürde auf die jüdische und die christliche Religion zurück. Im Christentum firmiert der Mensch erstmals als „Krone der Schöpfung“, ja sogar als „Ebenbild Gottes“. Daraus wird letztlich eine Gleichheit aller Menschen abgeleitet. So heißt es bei Paulus:

Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau; denn ihr alle seid ˋeiner´ in Christus Jesus.“

(Gal. 3,28 f.)

In seinem Buch „Kritik der Menschenrechte – Warum Universalismus und Globalisierung die Freiheit bedrohen“ hat Alain de Benoist diesen und andere Gleichheitsgedanken ad absurdum geführt:

„Den Hintergrund dieser Rhetorik bildet der Traum von einer vereinigten Menschheit, die sich denselben Normen unterwirft und nach demselben Gesetz lebt. Der Schlüsselgedanke ist, daß die Menschen überall dieselben Rechte besitzen, weil sie im Grunde dieselben Menschen sind.“

Doch, so argumentiert nicht nur der Begründer der französischen Neuen Rechten:

„Kein Mensch kann zugleich ˋeinzigartig´ und fundamental identisch mit jedem anderen sein. Umgekehrt kann man nicht den einzigartigen Wert eines Individuums behaupten, ohne seine persönlichen Merkmale – also das, was ihn von anderen unterscheidet – zu berücksichtigen. Wenn der Mensch seiner Würde wegen geachtet werden muß und diese Würde auf seinem Recht fußt, geachtet zu werden, ist man bei einem Zirkelschluß angelangt. Wenn alle Menschen würdig sind, ist es, als wäre kein Mensch würdig. Eine Welt, in der alle gleich viel wert sind, ist eine Welt, in der ein Menschenleben nichts wert ist.“

Freiheit oder Gleichheit – man kann nicht beides haben.

Peter Kuntze

Kuntze wurde 1941 in Kiel geboren und hat nach Abitur und Wehrdienst eine verlagskaufmännische Lehre in Hamburg absolviert. Anschließend ein Redaktionsvolontariat in Ansbach. 1968 gelang ihm der Sprung nach München zur Süddeutschen Zeitung, wo er als außenpolitischer Nachrichtenredakteur sein Brot bis 1997 verdient hat. Nebenbei schrieb Kuntze etliche Kinderbücher, zwei Romane und acht politische Sachbücher über China. Seine konservative Wende geschah in den letzten Berufsjahren.

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