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Verfassungspatriotismus wird heute 73 Jahre alt!

23. Mai 2022
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Der Taubenzüchterverein „Bundesverband Taubenzucht 49 e.V.“ hat zur Mitgliederversammlung geladen. Der Vorstand ist vollständig erschienen. Alt-68er und Babyboomer geben sich gegenseitig die Klinke in die Hand. Die Plätze in den Zuschauerrängen sind dagegen spärlich besetzt. Auch dort trifft Alt-68er auf Babyboomer.

Wahrhaft fröhliche Stimmung mag an diesem 23. Mai nicht aufkommen, an dem der „Bundesverband Taubenzucht 49 e. V.“ sein 73. Jubiläum feiert. Schon immer hatte diesen alljährlichen Mitgliederversammlungen am 23. Mai etwas Bedrückendes, Freudloses angehaftet. Jedenfalls hielten sie nie den Vergleich mit den Mitgliederversammlungen stand, die der inzwischen befreundete Konkurrenzverein weiter westlich der Großen Straße alljährlich am 14. Juli feiert; mit den jährlichen Mitgliederversammlungen am 04. Juli des noch größeren Konkurrenzvereins jenseits des großen Teichs am westlichen Ende der Großen Straße erst recht nicht. Im „Bundesverband Taubenzucht 49 e.V.“ engagierte der Vereinsvorstand lediglich ein tristes Streicherquartett, jedes Vorstandsmitglied trug die Trauergarderobe vom letzten Genossenbegräbnis wieder auf und alle fünf Jahre fand die Wahl des Vorstandsvorsitzenden statt, selbstverständlich unter Ausschluss der Mitglieder. Der Vorsitzende hielt nach zuvor abgekarteter Wahl eine Lobeshymne auf die Vereinsmitgliederherrschaft, ausgeübt in freien Wahlen, und ermahnte sogleich alle Vereinsmitglieder, sich ihrer immerwährenden Schuld und Verantwortung zu besinnen, das Knie zu beugen und Geld in die aufgehaltenen Hände der Nachbarn zu legen. Denn der Verein will ein Verein der solidarischen Nachbarschaft sein. Inzwischen finden die fünfjährigen Wahlen zum Vorstandsvorsitzenden bereits im Februar statt und die Definition des handaufhaltenden Nachbarn hat der Vorstand mit freundlicher Unterstützung der von ihm herausgegebenen Vereinszeitung massiv ausgedehnt. Denn der Verein will ein Verein des freundlichen Gesichts sein.

Aber dieses Jahr sind die Zuschauerränge noch etwas leerer und die Stimmung noch etwas angespannter als sonst. Das Geschäft mit der Taubenzucht läuft nicht mehr rund. Die Kosten für das Taubenfutter explodieren und die Lieferketten für hochspezialisiertes Taubenfutter sind auf der Großen Straße inzwischen fast völlig zerrissen. Einfache Tauben werden von den Konkurrenzvereinen am fernöstlichen Ende der Großen Straße schon seit geraumer Zeit viel billiger gezüchtet. Bei den höheren und höchstentwickelten Tauben war in den letzten Jahren noch gutes Geld zu verdienen, obwohl die Konkurrenzvereine auch in diesen Segmenten natürlich nicht schlafen. Doch vor allem die immer neuen und immer strengeren Vorgaben des Bundesvorstandes schränken die Möglichkeit der Taubenzucht immer weiter ein, viele einfache Mitglieder haben das Taubenzüchten schon aufgegeben. In fünf Jahren will der Bundesvorstand vollständig aus der Taubenzucht aussteigen. Denn der Verein will ein Verein der Erneuerung sein.

Und seit dem 24. Februar dieses Jahres lauschen alle gespannt nach dem Donnergrollen aus den Häuserkämpfen zwei Blocks weiter östlich auf der Großen Straße …

Kaum springt das Deckenlicht, das heute Vormittag erst zwei Mal ausgefallen ist, wieder an, da eröffnet der Vorstandsvorsitzende die Versammlung. Er ist ein Albino ohne Wiedererkennungswert. Zu sagen hat der Vorstandsvorsitzende laut Vereinssatzung wenig, reden kann er auch nicht. Seine grummelnde Stimme, die manchmal zwecks Simulation von Basismitgliedernähe gekünstelt anschwillt, bleiert wie die Textbausteine in den Artikeln, die der Vorstandsvorsitzende früher, in seinen Marburger Tagen, für die Zeitung „Kritische Taubenzüchter“ verfasst hatte.

Daher redet der Vorstandsvorsitzende am liebsten über das, was den Taubenzüchterverein seiner Meinung nach von A bis Z, in Mark und Bein, einzig und allein ausmache: Die Vereinssatzung. Ja, die Vereinssatzung definiere uns als Vereinsmitglieder. Er, der Vorstandsvorsitzende, wolle raus ins Land gehen und für die Satzung werben und Lust darauf machen, sich für die Vereinssatzung zu engagieren. Die Achtung der einfachen Vereinsmitglieder vor der Vereinssatzung sei in den letzten Jahren immer weiter verloren gegangen und viele Vereinsmitglieder sähen den Verein nur noch in den Kategorien von Taubenzucht, Taubenverkauf und dem Interesse für Tauben ans sich. Viele Mitglieder, die jahrzehntelang Tauben gezüchtet und verkauft, die Vereinsmitglieder nachgeboren und Vereinsbeiträge gezahlt hätten, stünden heute längst nicht mehr auf dem Boden der Vereinssatzung. Als Rattenfänger unter Taubenzüchtern gingen sie umher, um Hass und Spaltung gegen den Geist der Satzung zu sähen. Diesen Satzungsfeinden sage er, der Vorstandsvorsitzende, den Kampf an. Ganz wie damals in seinen Marburger Tagen, nur unter anderen Vorzeichen.

Das linkslastige Schiefmaul, Chefideologe des Vereinsvorstandes, ohne jemals dessen gewähltes Mitglied gewesen zu sein, nickte anerkennend. Der Strom fällt zum dritten Mal an diesem Tage aus, das Vormittagssoll wäre damit fast erfüllt. Denn der Verein will ein Verein der Nachhaltigkeit sein.

Wir, führt der Vereinsvorstandsvorsitzende fort, dürften den Satzungsfeinden keinen Meter weiter nachgeben. Denn die Satzung sei das Beste, was wir jemals gehabt hätten, schließt der Vorstandsvorsitzende und ewig nickt des linkslastigen Schiefmaul. Es hat den Begriff des „Satzungspatriotismus“ geprägt.

Die unfreiwillige W-Lan-Flaute im Vereinsheim ist wohl auch der einzige Grund, weshalb dem Vorstandsvorsitzenden immer noch zugehört wird, als sein monotones Plastiksprech doch noch fortführt:

Ja, dank der Satzung leben wir heute im besten Taubenzüchterverein, den es jemals gab.“

Einhelliges Nicken aller, die momentan im Vorstand des Taubenzüchtervereins sitzen. Verschämt dreht der Schatzmeister die Heizung herunter. Inzwischen haben die Anwesenden genügend Körperwärme abgegeben, um den Vereinssaal halbwegs aus sich selbst heraus zu wärmen.

Wir sehen heute die Generationen des Vereins vor Inkrafttreten der Satzung und fühlen uns nicht mehr zu ihnen hingezogen, ja ihre selbstherrlichen Denkmäler lassen uns vollkommen uninteressiert.“

Vielleicht der Grund, weshalb der Vorstand sämtliche Fotos von Vereinsmitgliedern abgehängt hat, die dem Verein vor 2015 beigetreten sind.

Für den modernen Taubenzüchter, den demokratischen Taubenzüchter, beginnt die Geschichte der freiheitlich-demokratischen Taubenzüchtung mit der Gründung dieses Vereins mit Inkrafttreten der Satzung.“

Nun gut, streng genommen ist der Verein schon ein paar Jahrzehnte älter als die Satzung. Bei genauer Betrachtung stammt alles, was der Verein heute noch zu Geld machen kann, aus diesen Jahrzehnten, als der Verein noch anders hieß, auf der gesamten Großen Straße durch das Setzen von Maßstäben von sich reden machte. Mehr als sieben Generationen lang lehrten die damaligen Vereinsmitglieder der Welt, was es hieß, ein Taubenzüchter zu sein. Tauben des Vereins hatten lange im Schlag gedämmert, waren von den Tauben der mordenden und brandschatzenden Nachbarvereinen zwischenzeitlich halb ausgerottet worden und hatten sich obendrein noch selbst zerfleischt Dann aber brauchte es nur drei Generationen und die Tauben des Vereins waren höher geflogen als die Züchtungen aller anderen Taubenvereine, erklommen Höhen, die kein anderer Taubenschlag erblickt hatte, zogen den Neid aller anderen Taubenvereine auf sich. Tauben dieses Vereins flogen auf vier Großen Straßen gegen Taubenvereine von fünf Großen Straßen um die Wette und errangen trotz krasser Unterzahl und Einkreisung mehr als Achtungserfolge. Fand gerade kein Wettkampf gegen konkurrierende Taubenvereine von fünf Großen Straßen auf vier Großen Straßen statt, erwiesen sich die Vereinsmitglieder dieses Vereins als kommerziell höchst erfolgreich. Die Aufzucht der dieses Vereins prägten ein Jahrhundert lang Macht und Mythos des Siegels „Made in Taubenhain“.

Heute ermöglicht der unfreiwillige W-LAN-Ausfall im Vereinsheim, dass alle Anwesenden dem letzten Gestammel des Vorstandsvorsitzenden lauschen müssen, ob die wollen oder nicht. Wer nicht will, den diszipliniert die Anwesenheit des Vereinsfrettchens mit dem Schlapphut. Kraft seiner Nagetierphysiognomie ist das Vereinsfrettchen mit dem Schlapphut bei allen Vorstandswahlen durchgefallen. Kraft seiner Wahlniederlagen erfüllt das Vereinsfrettchen mit dem Schlapphut jetzt im Auftrag des Vorstandes alle Aufgaben eines gewählten Vorstandsmitgliedes. Und zwar als Satzungsschutzfrettchen.

„… und so müssen wir gemeinsam aufstehen, wenn Mitglieder dieses Vereins sich zusammenrotten und gegen den Vorstand vereinsabträglich hetzen.“

Aufstehen. Das war das Stichwort für den Geschäftsführer. Ein kleiner Mann mit Glatze und verschlagen-schrägen Augenbrauen erhebt sich, bei seiner Körpergröße zwangsläufig nur unmerklich. Ihm räumt die Satzung erheblich mehr Kompetenzen ein. Der Geschäftsführer bestimmt die Richtlinien der Vereinspolitik, heißt es in der Satzung wörtlich. Kein Zufall, wenn auch der Geschäftsführer die Satzung in seiner folgenden Rede eingehend lobt. Seine Stimme trägt nicht, sie ist ebenso verkniffen wie das Gesicht des Geschäftsführers versteinert ist. Ein langes Leben im Vereinsapparat hat ihn geprägt. Irgendwann, als die W-LAN-Flaute noch immer keine Ablenkung erlaubt, hört der eine oder andere den Geschäftsführer von den „Werten der Satzung“ schwadronieren, denn an die „Werte der Satzung“ hielten sich die Kritiker der Geschäftsführer nicht. So jedenfalls der Geschäftsführer.

Die Rede des Geschäftsführers nimmt kein Ende und spannend wird es selten. Beim dritten und vierten Stromausfall an diesem Vormittag redet der Geschäftsführer einfach weiter. Das Wort „Werte“ ploppt immer wieder auf, gern in Verbindung mit „Pflicht der Mitglieder den Vorstand in seinen Beschlüssen unterstützen“ und „gegen Mitglieder, die sich nicht an die Satzung halten“. Das linkslastige Schiefmaul nickt eifrig, die Vorgängerin des Geschäftsführers grunzt unterschwellige und fährt sich mit dem rechten Handteller durchs Gesicht.

Ganz weit im Hinterkopf, dort wo das Satzungsschutzfrettchen nicht hineinschauen kann, fragt sich das ein oder andere Mitglied heimlich, was eigentlich alles in dieser Satzung steht.

Denn, wenn das einfache Vereinsmitglied ganz tief in seinem Hinterkopf der Wahrheit die Ehre gibt: Kaum ein Vereinsmitglied hat die Satzung auch nur zur Hälfte gelesen, geschweige denn die von vorn bis hinten. Ausführungen über ausschließliche und konkurrierende Kompetenzvorschriften, Zustimmungspflichten und Einspruchsrechte im Vereinsrat, ja selbst die Vorschriften über die Vereinswehr und den Verteidigungsfall des Vereins reißen einfach kein Vereinsmitglied vom Hocker. Und ganz tief im Hinterkopf weiß das einfache Vereinsmitglied: Die Ausführungen zum Kirchenverhältnis, die Verweise auf die Weimarer Vereinssatzung vom 11. August 1919, die Finanzverfassung sind ehrlich gesagt nichts, wofür die paar Nachwuchsmitglieder noch die Waffe in die Hand nehmen und das Vereinsheim bis zur letzten Patrone verteidigen würden. Zwei Blocks weiter östlich auf der Großen Straße kämpft der Verein mit den tapfersten Mitgliedern und dem korruptesten Vorstand wahrscheinlich auch weniger für deren Vereinssatzung als für die Vereinsflagge. Dagegen hat die ehemalige Geschäftsführerin im „Bundesverband Taubenzucht 49 e.V.“ schon 2013 alle Vereinsflaggen in den Mülleimer geschmissen. Auf offener Bühne. Gleich als erste Amtshandlung nach ihrer dritten Wahl zur Geschäftsführerin. Danach ließ die ehemalige Geschäftsführerin keine neuen Vereinsflaggen mehr anschaffen. Sie bekam bei ihrem Anblick immer ekelbedingte Zitteranfälle.

Aber von diesen Gedanken ganz tief im Hinterkopf darf das Satzungsschutzfrettchen niemals etwas erfahren…

Genauso wenig wie von den Artikeln im ersten Abschnitt der Vereinssatzung Diese Artikel haben schon mehr mehr Mitglieder gelesen als die weiter hinten in der Satzung über Vermittlungsausschüsse und Bundesschiedsgerichte. Da steht im ersten Abschnitt viel von Würde und von Freiheiten. Freiheit der Meinung, Freiheit von Kunst und Wissenschaft, von Versammlungen und Eigentum. Sie sind ausdrücklich als Abwehrrechte der Mitglieder gegen den Verein und seine Organe ausgestattet. Hierauf hatten die Verfasser der Satzung ihrerzeit großen Wert gelegt, denn die Vorgänger im Vorstand und in den Ebenen darunter hatten sich in den Jahren davor mehr als nur Grenzüberschreitungen geleistet. Schreckliche Dinge waren geschehen, auch in dieser Hinsicht hatten die Vereinsmitglieder leider Maßstäbe gesetzt.

Und weil die Satzung der Macht des Vereinsvorstand rote Linien setzt, stellt der amtierende Geschäftsführer in seiner aktuellen Rede klar:

Für mich gibt es keine roten Linien mehr.“

Das linkslastige Schiefmaul jubelt. Die sechzehn Mitglieder des obersten Vereinssatzungsschiedsgericht jubelten gern mit, aber sie sind gerade zu sehr mit der ehemaligen Geschäftsführerin am Buffet ins Gespräch vertieft. Die ehemalige Geschäftsführerin spricht mit vollem Mund. Die regemäßigen Mahlzeiten zwischen Geschäftsführern und Schiedsgericht gehören einfach zur gelebten Satzungspraxis.

Nun gesellt sich der Hygieneschutzbeauftragte des Vorstandes zu den sechzehn Satzungsschiedsrichtern und der ehemaligen Geschäftsführerin. Die Geschäftsführerin reibt sich noch mal mit dem flachen Handteller über Mund und Nase, dann begrüßt sie den Hygienebeauftragten per Handschlag. Der Hygienebeauftragte sieht darin keine Probleme, ebenso wenig wie mit der Pilzkolonie hinter dem Buffettisch. Mit dem Heizen im Winter ist das so eine Sache geworden … aber natürlich erst seit dem 24. Februar. Davor war das mit dem Heizen und dem Strom alles in bester Ordnung. So steht es jedenfalls in der vom Vorstand herausgebenden Vereinszeitung und was die schreibt ist richtig. Schreibt jedenfalls das Satzungsschutzfrettchen in seinen Berichten an den Vorstand.

Aber Pilzkolonien hin oder her, für den Hygienebeauftragten enden Reinlichkeitsvorschriften ohnehin im eigenen Dentalbereich. Und die Chemie mit der ehemaligen Geschäftsführerin stimmt auch. Wie er denn diese Zusammenrottungen und Hetzjagden draußen vorm Vereinsheim gegen ihn empfinde, will die ehemalige Geschäftsführerin vom Hygienebauftragten wissen. Ihren Nudelsalat verzehrt sie währenddessen mit bloßen Händen. Der Vorvorgänger im Amt des Geschäftsführers hatte ihr im Alter von 37 Jahren mal versucht beizubringen, wie ein Abendländer mit Messer und Gabel isst. Aber was sollen abendländische Kulturtechniken gegen 30 Jahre sozialistisches Pfarrhaus schon ausrichten?

Diese Leute!“, echauffiert sich der Hygienebauftragte in einem Singsang, der die Geschäftsführerin angenehm an Erich Honecker erinnert. Ein Rinnsal aus der Schmutzwasserleitung in der Decke über dem Buffet tröpfelt auf den Pappteller des Hygienbeauftragten, der erst neulich auf die Satzung geschworen hat, die Meinungs-und Versammlungsfreiheit der Mitglieder aus der Satzung zu verteidigen.

Ich werde mich von diesen Leuten nicht erpressen lassen.“

Die ehemalige Geschäftsführerin nickt verständnisvoll und tunkt den Finger in die Bärlauchbutter auf dem Buffettisch. Nachdem sie den Finger abgeleckt und die Bärlauchbutter für schmackhaft empfunden hat, tunkt sie den Finger erneut ein.

Im Anschluss an den Geschäftsführer plappern die Frauenquotenerfüllerinnen im Vorstand ein bisschen über die Vereinssatzung.

Es zerpleißt mit einfach nur das Herz“, bekennt die Außenbeauftrage. Babyboomer lesen in der vom Vorstand herausgebenden Vereinszeitung immer wieder, wie zäh die neue Außenbeauftragte mit den dicken Konkurrenzvereinen am östlichen Ende der Großen Straße verhandele. Als die Außenbeauftragte gerade davon spricht, „was die Satzung mit mir macht“, fällt der Strom aus. Am Buffet können die Satzungsschiedsrichter in der vorrübergehenden Dunkelheit nicht erkennen, welche Speisen die ehemalige Geschäftsführerin mit ihrer Schuppenflechte angefasst hat.

Die Außenbeauftragte beendet ihren Vortrag über die „Freinsversatzung“ und schlägt im letzten Satz den Bogen zum „Patzungssatriotismus“, wie ihn das linkslastige Schiefmaul entwickelt hat, hinterlässt aber auch einige Fragen bei ihren Zuhörern. Was genau hat die Außenbeauftragte mit der gemeinsamen europäischen „Datzungstorfung“ gemeint?

Dann redet die Sicherheitsbeauftragte. Die freiheitlich-demokratische Vereinssatzungsordnung, so die Sicherheitsbeauftragte, erlaube lediglich linkslastige Schiefmäuligkeit, rechte Schiefmäuligeit müsse konsequent geahndet werden. In diesem Moment fährt sich die ehemalige Geschäftsführerin mit der dem Handteller großflächig durch ihr Gesicht, deren beiderseitige Hängepartien als Zeichen einer Politik im Sinne der Hufeisentheorie missverstanden werden könnten. Aber sicher ist sicher. Ein Leben im Vorstandsapparat des Vereins hat sie geprägt. Und wer weiß, wann sich so ein Satzungsschutzfrettchen gegen das Muttertier erhebt …

Bevor der Schatzmeister reden darf, ist noch die Nachwuchsbeauftragte dran. Also deren Urlaubsvertretung. Sie spricht nicht über die Satzung. Sie plädiert nur kurz dafür, alle Nachwuchstauben mit weißem Gefieder zu töten.

Der Schatzmeister spricht in ein Mikrophon voller Rückkoppelungen. Er kommt, unter bröckelndem Deckenputz stehend, auf die Satzung zurück. Sie, die Satzung, sei das Beste, was wir je gehabt hätten, stimmt er seinen Vorrednern zu. Etwas anderes als Mehrheitsbeschaffer war der Schatzmeister aus Sicht der anderen Vorstandsmitglieder ohnehin nie. Die Satzung sieht in den Artikeln weiter hinten, die auch kein Mitglied je gelesen hat, deutliche Grenzen für die Neuverschuldung des Vereins vor. Der Schatzmeister kündigt an, diese Satzungsvorschriften in den nächsten Jahren nicht einzuhalten. Denn die Satzung sei das Beste, was wir je hatten. In Fünf Jahren, wenn der Verein aus der Taubenzucht ausgestiegen sei und der Vorstand den Verkauf von Tauben verboten habe, sei aber wieder das Geld für einen ausgeglichenen Vereinshaushalt da.

So langsam zieht sich die Veranstaltung hin, dass merken in Zeiten des stockenden W-LANS auch die Vorstandsmitglieder. Darum wird gleich der Lieblingskasper des Vorstandes auftreten, um die Stimmung an der Basis ein wenig aufzulockern. Der Vereinskasper greift zum Mikrophon und tut, was er unter „Den-Spießern-den-Spiegel-vorhalten“ versteht. Die Vereinsmitglieder an der Basis seien allesamt dumme, hässliche Rassisten, sie seien nicht so tolerant wie der Vorstand und hätten kleine Schwänze. „Fangt endlich mal an, euch an die Satzung zu halten, ihr Wichser!“ ruft der Vereinskasper den anwesenden Vereinsmitgliedern auf den billigen Plätzen zu. Ach ja, und Vereinsmitglieder, die sich immer noch weigerten, Sondermitgliedsbeiträge unter dem Verwendungszweck „GEZ“ abzuführen, seien allesamt Ziegenficker. Ende des Auftritts.

Dafür kassiert der Lieblingskasper ein jährliches Millionengehalt vom Vorstand, denn die Satzung garantiert den Grundsatz der Vorstandsferne. Am Buffet wird sich das Satzungsschutzfrettchen den Vereinskasper zur Seite nehmen, um mit ihm über die Stimmung unter den Kollegen zu sprechen.

Alles versammelt sich jetzt am Buffet. Der amtierende und die ehemalige Geschäftsführerin tauschen sich über die neue Walter Ulbricht-Biographie aus. Unter Hessen schwelgen der Vorstandsvorsitzende und die Sicherheitsbeauftragte in Erinnerungen über ihre gemeinsame Zeit bei den „Kritischen Taubenzüchtern“. Das linkslastige Schiefmaul darf bei diesem Schwank nicht fehlen, schließlich sind beide bei ihm in die Frankfurter Schule gegangen.

Die gute Stimmung erleidet einen Dämpfer, als ein tiefes Rumpeln ertönt. Das wird doch nicht etwa von der Großen Straßen zwei Blocks weiter östlich zu uns herübergekommen sein?!

Aber die Urlaubsvertretung der Nachwuchsbeauftragten gibt Entwarnung. Das sei nur der Stromgenerator gewesen, den das Hochwasser letzten Sommer im Keller erwischt habe. Alles halb so wild. Für das linkslastige Schiefmaul sind die Häuserkämpfe zwei Blocks weiter ohnehin nur „verzerrte Kommunikation“. Irgendwer fragt nach dem Wasserstand im Keller, wo der Pegel noch immer bis kurz unter die Decke reicht. Die Urlaubsvertretung der Nachwuchsbeauftragten winkt ab. Das Satzungsschutzfrettchen und der Vereinskasper sind inzwischen per Du und reden nach dem beruflichen Teil auch über private Themen. So eine Nagetierphysiognomie schweißt einfach zusammen, selbst wenn sich bei einem der beiden neben der Ratte auch ein Lurch eingemendelt hat.

Die Vorstandsmitglieder bleiben unter sich und die einfachen Vereinsmitglieder bleiben unter sich. Da sie heute ein Jubiläum feiern, kreisen die Themen natürlich um die Vergangenheit, bei dem Altersdurchschnitt der Mitglieder könnte es auch kaum anders sein. Wie immer kommt die Frage auf, wer wann wo war, als dieses oder jenes geschah. Mitglieder, die erst 1990 eintreten konnten, bringen ihre Erinnerungen and die Einführung der Vereinsmark ein, an jene Sommernacht, als sie vor Mitternacht stundenlang Schlange vor den Geldautomaten gestanden und die Vereinsmark mit Freudentänzen begrüßt hatten. Als vierzig Jahre vorstandsgesteuerte Mangelwirtschaft endlich ihr Ende fanden. Manche verzählen von ihren Massenversammlungen, auf denen sie riefen: „Kommt die Vereinsmark, bleiben wir, kommt sie nicht, kommen wir zu ihr!“

Bei den ältesten Mitgliedern, die schon seit 1949 dabei sind, kommen Erinnerungen hoch an jenen Tag im Sommer (also nicht 1949, sondern 1948) hoch, als die Vereinsmark zum allerersten Mal eingeführt wurde und über Nacht die Lebensmittelkarten verschwanden und der Schwarzmarkt austrocknete.

Wer wo am 23. Mai 1949 war und was er an diesem Tag getan hat, darüber schweigen selbst die Ältesten unter den Mitgliedern ganz selbstverständlich. Sie haben schlicht keine Erinnerung and den Tag, mit dessen Ablauf die Vereinssatzung in Kraft trat.

U. B. Kant

Der U. B. Kant wurde 2009 erst zwei Tage nach der Bundestagwahl volljährig, sonst hätte er noch mit beiden Stimmen die Steinmeier-SPD gewählt. Heute lebt der U. B. Kant im besten Deutschland, das es jemals gab, und möchte sein Gesicht bei freien Meinungsäußerungen lieber verbergen. Seinen Ahnen entsprechend setzt es sich zusammen aus Lüneburger Heidjen, Ostwestfalen und Ostpreußen. Schädelvermesser könnten angesichts einer solch feinsinnigen Vereinigung der Schöngeister ablesen, dass der U. B. Kant die gesammelten Werke von Shakespeare, Schiller und Sophokles nicht nur dekorativ im Bücherregal stehen, sondern deren Lektüre auch nach zehn Seiten abgebrochen hat.

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