Innerhalb der KRAUTZONE nehme ich als Frau UND Ossi gleich eine doppelte Sonderrolle ein, über die mich die netten Herren aus der Redaktion mit regelmäßigen Westpaketen (danke für die Bananen… und den Jeansrock…) anscheinend hinwegtrösten wollen. Jedenfalls sehe ich mich dazu verpflichtet, über einige landestypische Sitten und Gebräuche aufzuklären. Vor allem deswegen, weil es mir am Herzen liegt, darüber zu berichten, was hier im Osten tatsächlich so abgeht.
Ich komme vom Dorf und habe von klein auf alles hautnah miterlebt und mitgemacht. Jedes Dorffest, jeder Umtrunk, jedes Maibaumstellen und auch jedes Zampern. Zampern – was ist das denn?! So die Reaktion von westdeutschen Bekanntschaften. Mir war gar nicht bewusst, dass dieser Brauch nur in der Lausitz zelebriert wird. Getreu dem Motto „Ich kenn das und daher werden es auch alle anderen kennen“, bin ich davon ausgegangen, dass es das in jedem Dorf gibt. Aber ich wurde eines Besseren belehrt. Denn laut dem entsprechenden Wikipedia-Eintrag ist es eine „alte sorbische Tradition in zahlreichen Dörfern der Lausitz.“
Eine Art Karneval…
Doch was macht man da überhaupt? Beim Zampern zieht man, in verschiedenen Kostümen verkleidet, durch das eigene Dorf und geht von Haus zu Haus. Jeder der Beteiligten hat eine Kasse dabei. Es wird Geld gesammelt, aber auch Eier, Speck, Zwiebeln und manchmal Schnaps. Die Zamperer werden von einer Kapelle begleitet, die Musik spielt und die Leute unterhält.
Sonnabend in aller Früh, meist gegen acht Uhr, wird aufgestanden. Man zieht sich warm an und läuft zum ausgemachten Treffpunkt. Meist am Gemeindehaus, der Feuerwehr oder dem Jugendklub. Sind Jung und Alt dort angekommen, werden die durchnummerierten Kassen verteilt. Jeder Zamperer hat „seine Kasse“.
Sind alle vollzählig und mit Kassen ausgestatt, geht es auch schon los. Das erste Haus wird anvisiert. Die Hausherren verteilen das Geld und während die Kapelle Musik spielt, wird miteinander getanzt. Währenddessen bereiten die Helferinnen das Frühstück vor. Bockwurst und Hackepeter-Semmeln, Tee und Kaffee. Hat man die ersten Straßen erfolgreich abgearbeitet, wird gefrühstückt. Gestärkt geht es dann weiter in die restlichen Teile des Dorfes.
Dieses ganze Prozedere wäre in der Stadt undenkbar, schon allein, aufgrund der erhöhten Polizei-Dichte. Diese ist hier, innerhalb des Dorfes, trotz Grenznähe, relativ gering. Außerdem wüssten sie schon, was ihnen blüht, wenn sie uns anhalten würden. Dann heißt es „welchen Schnaps wollt ihr trinken?“, „Mensch Uwe, wir sind im Dienst. Aber gib mal zwei Obstler“ und „Achim, hau mal ´n Zwanni in die Hauptkasse“.
#justdorfthings
Die eingesammelten Eier und der Speck werden zwischendurch von einem Verantwortlichen in das Klubhaus gebracht, damit die Helferinnen, das Mittagessen vorbereiten können. Mittags kehrt man also an den Ort zurück, an dem man morgens gestartet ist, wärmt sich auf und stärkt sich. Um das anstehende Mittagstief zu überwinden, wird straff weiter spaziert, damit man bis zum Abend auch jedes Haus besucht hat.
Hunger und Durst leiden muss man an diesem Tag nie, denn man wird von einigen Dorfbewohnern mit Glühwein, Kuchen, Schmalz- und Leberwurststullen versorgt. Der Tag neigt sich dem Ende zu und während die Alten noch unterwegs sind, treffen sich die Zamperer im Klubhaus und geben ihre Kassen ab. Da sowieso keiner der Anwesenden mehr in der Lage ist, Geld zu zählen, wird dies auf den nächsten Tag gelegt.
Doch wie muss man sich die Zamperer, inklusive Alten, vorstellen?! Sehen sie aus, wie die letzten Hinterwäldler? Nun ja, kommen wir auf die Rollenverteilung zu sprechen: Traditionell gibt es mehrere Kategorien, derer, die mitlaufen. In meinem Heimatdorf besteht folgende Aufteilung: Die „normalen“ Zamperer sind verkleidet, als was sie wollen. Egal, ob Zigeunerbraut, Oberkommissar, Engel, Wikinger oder Skifahrer. Wichtig ist es, warm genug angezogen zu sein, da man von früh bis in die Abendstunden, hauptsächlich zu Fuß, unterwegs ist. Ebenso sollte jeder verantwortungsbewusste Zamperer, neben seiner Kasse, ein Schnapsglas an einem Band befestigt um den Hals zu hängen haben. Denn eins ist klar – wer mit zampert, der bleibt nicht (lange) nüchtern.
Eine Person ist das sogenannte „Eierweib“. Diese ist mit Kittelschürze, Kopftuch, Stola und Eierkiepe bestückt und nimmt alle Eier und den Speck entgegen. Diese Rolle übernimmt in hundert Prozent der Fälle, ein älterer Mann. Er hat auch die Aufgabe „Eier, Eier, Speck, Speck, Speck“ zu rufen. Spätestens ab dem Punkt, merkt jeder Außenstehende, dass die Uhren hier noch anders ticken.
Ein Weiterer ist für die Versorgung mit Schnaps verantwortlich. Er trägt einen Anzug und hat einen Bauchladen umhängen, in dem sich Obstler, Kräuter, Kirsch, Pfeffi und andere Köstlichkeiten aneinanderreihen. Trifft man also bei einer Person ein, die die Zamperer mit Geld und anderen Dingen beschenkt, wird der ein oder andere Schnaps vernichtet.
Okultes Brauchtum im tiefen Osten
Dann gibt es noch den Einen, den mit der Hauptkasse. In dieser werden nur Scheine gesammelt. Das „normale“ Zamperervolk sammelt in der Regel nur Münzgeld ein. Ist der kostümierte Mob durch die Straßen gezogen, kommen ein bis zwei Stunden später „die Alten“ hinterher. Meist zwei Leute, die sich mit Nickelbrille, Jacken von Oma und Opa, sowie Hut oder Kopftuch auf den Weg machen und ebenfalls von Haus zu Haus ziehen. Diese kehren bei den Leuten ein, setzen sich eine Weile hin, ruhen sich aus – da sie ja schon alt sind – und trinken am Küchentisch noch ein paar Schnäpse, während sich über Dorfinternes und Privates unterhalten wird. Sie fungieren als Seelsorger, die einmal im Jahr von Haus zu Haus ziehen. Ist die Sitzung beendet, werden ihnen noch ein, zwei Scheine zugesteckt und sie machen sich wieder auf den Weg.
Meist sind alle so erschöpft (und betrunken), dass es nach dem Erreichen des Klubhauses direkt nach Hause geht. Denn am Sonntagvormittag trudeln nach und nach wieder alle ein und fangen an, das eingezamperte Geld zu zählen. Jeder zählt seine eigene Kasse aus, damit später ein Sieger gekrönt werden kann. Akribisch sortiert, stapelt sich das Hartgeld auf dem Tisch. Ein-Cent bis Zwei-Euro-Stücke, die Scheine kommen extra, so will es das Gesetz.
Ist alles sortiert und gezählt, kommt der dorfeigene Kassenprüfer und kontrolliert – wie sollte es anders sein – ob man sich auch ja nicht verzählt hat. Alle Summen werden notiert und zusammengerechnet. Nach dem Eieressen wird verkündet, wer nun der Einzelsieger war und wie das Endergebnis aussieht.
„Die Kasse vier hat 194,10€, Kasse neun hat 217,36€, in Kasse sieben sind nur 93,88€, dafür hat Kasse zwölf 306,27€ … insgesamt kommen wir auf eine Summe von 3428 Euro und 71 Cent.“ Freude kommt auf. Die nächste Party ist gesichert. Ist alles Organisatorische geklärt, bekommt man noch eine Flasche selbstgemachten Eierlikör in die Hand gedrückt und geht nach Hause.
„Wann esst ihr die ganzen Eier?“, fragt sich jetzt der ein oder andere Leser. Das Eieressen findet traditionell meist an dem Sonntag nach dem Zampertag statt. Dort werden alle eingesammelten Eier verbraten, gekocht oder gerührt. Außerdem gibt es Leberwurststullen, Kuchen, Bier und eben Eierlikör. Also im Prinzip alles, was mein kleines Herz höher springen lässt.
Doch was soll das Ganze? Laut alten Erzählungen dient dieser Brauch der Vertreibung des Winters und der bösen Geister. Eine neue Jahreszeit wird eingeleitet. Vom sozialen Standpunkt aus festigt diese Aktivität den Zusammenhalt und das Miteinander der Dorfgemeinschaft. Man sieht sich mal wieder, quatscht den ganzen Tag miteinander, ist an der frischen Luft und bewegt sich, genießt den Sonnenschein und hat einfach gute Laune.
Das eingezamperte Geld dient in der Regel dazu, den Fastnachtstanz oder ein anderes Fest auszurichten, auf dem die gesamte Dorfbevölkerung zusammenkommt, um miteinander zu feiern. Wann und in welchem Umfang die Veranstaltung stattfindet, hängt jedoch immer vom entsprechenden Dorf ab. Manche Dörfer bereiten ein aufwendige Bühnenprogramme vor, ähnlich wie beim Karneval. Andernorts wird nur ein DJ und ein Bierwagen besorgt, um eine standardmäßige Veranstaltung abzuhalten. Das ist immer sehr verschieden. Doch egal, wie es am Ende abläuft – es ist immer schön, diese Tage mitzugestalten und erleben. Vom ersten Schnaps bis zum letzten Ei.