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Xi Jinping – Koexistenz oder Konfrontation

24. November 2023
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Das jüngste Treffen Präsident Bidens mit Chinas Staatschef Xi Jinping Mitte November auf dem Landsitz „Filoli“ südlich von San Francisco stieß in der hiesigen Presse auf ein äußerst mattes Echo. „China spielt auf Zeit“, resümierte die „Süddeutsche Zeitung“. Xi warte, „bis China ausreichend Macht akkumuliert hat, um sich alles nehmen zu können, was es braucht“, hieß es am 17. November in einem Leitartikel. Ähnlich der online-Dienst des Nachrichtensenders N-tv: Die zur Schau gestellte Harmonie zwischen Xi und Biden „ist nur eine Momentaufnahme, mehr nicht“.

Doch im Hintergrund des Treffens spielte sich eine von den Medien kaum beachtete Begegnung ab, die den seit Jahren zum Bösewicht stilisierten Xi Jinping in einem völlig anderen Licht zeigte. In San Francisco, teilte er beim Willkommens-Dinner am Rande der Konferenz der Asien-Pazifik-Wirtschaftskooperation (APEC) mit, habe er 1985 erstmals den Boden der USA betreten. Noch heute bewahre er ein Foto auf, das ihn als 31jährigen vor der Golden Gate Bridge zeige. Da dürfte mancher bei dem Bankett geschmunzelt haben: In Absprache mit der chinesischen Botschaft in Washington hatte der jetzt 70jährige Staats- und Parteichef nämlich mehrere „old friends“ aus dem Bundesstaat Iowa zu einem privaten Treffen und anschließend zum großen Festbankett geladen.

Zu den Gästen zählte Sarah Lande, eine 85jährige aus der Kleinstadt Muscatine City. Sie hatte vor 37 Jahren Xi Jinping bei seinem ersten USA-Besuch kontaktiert. Damals leitete er als Parteisekretär des Kreises Zhengding (Provinz Hebei) eine fünfköpfige Delegation, die sich in Muscatine über die dort betriebene Landwirtschaft sachkundig manchen sollte. Frau Lande zufolge war der stets lächelnde Xi neugierig auf alles und stellte viele Fragen. Auf dem Programm standen die Besichtigung einer Fabrik zur Verarbeitung von Mais, der Besuch von Schweine- und Gemüsefarmen, Interviews mit der lokalen Presse sowie eine Bootsfahrt auf dem Mississippi. Als Gastfamilie wurde für Xi ein Aufenthalt bei dem Soja-Bauern Thomas Dvorchak und dessen Ehefrau Eleanor arrangiert. Sie quartierten ihn im Zimmer ihres Sohnes Gary ein, der wegen seines Studiums gerade das Elternhaus verlassen hatte. Auch Gary sowie dessen Schwester Paula gehörten jetzt zu den Gästen des Banketts.

Der Aufenthalt in Muscatine hat Xi Jinpings Amerika-Bild offenbar so nachhaltig geprägt, daß er den Ort 2012, also 27 Jahre später, erneut besuchte – diesmal als Vizepräsident der Volksrepublik im Rahmen einer Staatsvisite. Als ihn einer seiner damaligen Bekannten fragte: „Warum sind Sie nach Iowa gekommen?“ soll Xi geantwortet haben: „Ihr seid die erste Gruppe von Amerikanern, mit denen ich in Kontakt gekommen bin. Für mich seid ihr Amerika.“ Noch im selben Jahr lud er mehr als ein Dutzend von ihnen nach China ein. „Es war eine Reise, die wir uns nicht hätten vorstellen können“, erinnert sich Sarah Lande 2023 in San Francisco. „Wir wissen nicht, warum er uns mag, aber wir freuten uns darauf, ihn kennenzulernen. Wir sind einfach ganz normale Menschen.“ Kenneth Quinn, ehemaliger US-Botschafter in Kambodscha und ebenfalls einer der eingeladenen Bürger Iowas, preist Xi deshalb in höchsten Tönen: „Sollte jemals ein Buch über ˋBürger-Diplomatie ˋgeschrieben werden, sollten Xis Reise nach Muscatine und die unglaublich lange Verbundenheit mit seinen einstigen Gastgebern ein Paradebeispiel sein.“

Quinn wurde auch Zeuge der Grundsatzrede des chinesischen Präsidenten zum Verhältnis zwischen Amerika und der Volksrepublik. Für beide Staaten, so Xi, existierten in der gegenwärtigen Ära globaler Veränderungen, die es so seit einem Jahrhundert nicht mehr gegeben habe, zwei Optionen: Friedliche Koexistenz oder Konfrontation. Beide wiesen in konträre Richtungen, die über die Zukunft der Menschheit und des Planeten Erde entschieden. Da die Beziehung zwischen China und den USA die wichtigste bilaterale Beziehung der Welt sei, könne es keine Option sein, sich voneinander abzuwenden. Es sei unrealistisch, daß eine Seite die andere umgestalten könne; Konflikte und Konfrontationen hätten für beide Seiten unerträgliche Folgen.



Da die Welt groß genug sei, um beiden Ländern Platz zu bieten, schlug Xi Präsident Biden daher vor, „fünf Säulen der Beziehungen“ aufzubauen: Gemeinsame Entwicklung einer richtigen Wahrnehmung des jeweils anderen; gemeinsamer Umgang mit Meinungsverschiedenheiten; gemeinsame Förderung einer für beide Seiten vorteilhaften Zusammenarbeit; gemeinsame Übernahme von Verantwortung als große Staaten; gemeinsame Förderung des Austausches zwischen den Menschen. Beim letzten Treffen auf Bali, so erinnerte Xi die amerikanische Seite, hätten die USA erklärt, sie würden nicht versuchen, Chinas System zu verändern, keinen neuen Kalten Krieg beginnen, nicht ihre Bündnisse gegen China wiederbeleben, nicht die „Unabhängigkeit“ Taiwans unterstützen und sich nicht in einen Konflikt mit China einlassen.

Demgegenüber hätten die jüngsten Maßnahmen der USA in den Bereichen Exportkontrolle, Investitionskontrolle sowie einseitige Sanktionen Pekings legitime Interessen ernsthaft verletzt. Die Unterdrückung des technologischen Fortschritts in der Volksrepublik sei nichts anderes als der Versuch, Chinas Entwicklung einzudämmen. Es sei daher wichtig, die chinesischen Bedenken zu respektieren und Schritte zur Aufhebung der Sanktionen zu unternehmen, um ein gleichberechtigtes und faires Umfeld für chinesische Firmen zu schaffen.

Ex-Botschafter Quinn, ein aufmerksamer und von Xis Argumenten beeindruckter Zuhörer, blieb gleichwohl skeptisch, was die amerikanische Seite betrifft. Als Bürger Iowas auf einem der vordersten Plätze beim Rennen um die Präsidentschaft 2024 sehe er, daß alle in Frage kommenden Kandidaten scharfe Kritiker Chinas sind. Es sei daher äußerst schwierig, die Beziehungen zwischen beiden Ländern zu verbessern. Die Einstellungen und Äußerungen der Politiker richteten sich allerdings weder gegen das Land noch gegen das chinesische Volk, sondern ausschließlich gegen die regierende Kommunistische Partei. In den hiesigen Medien wurde Xi Jinpings Rede freilich kaum zur Kenntnis genommen – von den menschlichen Begegnungen am Rande des mit Spannung erwarteten Treffens der beiden mächtigsten Politiker der Welt ganz zu schweigen. Auch der Haltungsjournalismus ist hierzulande mittlerweile Staatsräson.

Peter Kuntze

Kuntze wurde 1941 in Kiel geboren und hat nach Abitur und Wehrdienst eine verlagskaufmännische Lehre in Hamburg absolviert. Anschließend ein Redaktionsvolontariat in Ansbach. 1968 gelang ihm der Sprung nach München zur Süddeutschen Zeitung, wo er als außenpolitischer Nachrichtenredakteur sein Brot bis 1997 verdient hat. Nebenbei schrieb Kuntze etliche Kinderbücher, zwei Romane und acht politische Sachbücher über China. Seine konservative Wende geschah in den letzten Berufsjahren.

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