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Der Westen, China und Putins Debakel

25. März 2022
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Im Westen, allen voran in Deutschland, stoßen die Moraltrompeter wieder einmal die schrillsten Töne aus. Putin, so hört man und so heißt es landauf, landab, sei ein „Kriegsverbrecher“, ein „Monster“, ein „irrsinniges Ungeheuer“. Wer sich diesem Urteil nicht anschließt, wird sofort geächtet und vom „herrschaftsfreien Diskurs“ (Habermas) ausgeschlossen. In der Ukraine-Frage geht es nicht mehr um richtig oder falsch, sondern allein um gut oder böse. Und das abgrundtief „Böse“ haust in Gestalt Wladimir Putins hinter düsteren Kreml-Mauern.

Bereits am 6. März wußte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, was in Wahrheit seit dem 24. Februar der Fall ist. Nach einem Treffen mit Bundeskanzler Olaf Scholz erklärte sie gegenüber dem US-Sender CNN:

Das ist nicht nur ein Kampf der Ukraine gegen Rußland. Es geht auch um den Kampf der Demokratien gegen die Autokratien.“

Deutlicher ist der Staatsrechtler Carl Schmitt (1888-1985) nur selten bestätigt worden. In seiner Schrift „Die Wendung zum diskriminierenden Kriegsbegriff“ konstatierte Schmitt 1938, die Ära des modernen gerechten Krieges habe nach dem Ersten Weltkrieg mit der Unterzeichnung des Versailler Vertrages (1919) begonnen – mit der alleinigen Schuldzuweisung an Deutschland und dem Wunsch der alliierten Siegermächte, Kaiser Wilhelm II. wegen des Kriegsbeginns vor Gericht zu stellen und wie einen Verbrecher zu verurteilen.

Durch die Dämonisierung des Gegners, so Schmitt, werde die Vernichtung des Feindes zu einem moralischen Imperativ. Der Feind, dem die Eigenschaft eines menschlichen Wesens abgesprochen wird, werde zum „Unmenschen“ erklärt, der aus der Menschheit ausgestoßen werden müsse. Diese Dichotomie von gut und böse, diese auf die Spitze getriebene Moralisierung vertritt auch SZ-Redakteur Bastian Brinkmann, wenn er in seinem Leitartikel vom 23. März die „westliche Werteallianz“ auffordert, sich gegen die Autokratien Rußland und China nicht nur ethisch und politisch, sondern auch ökonomisch in Stellung zu bringen.

Nüchterne Realpolitik sieht anders aus. Bereits 2014 hatte der amerikanische Politologe John J. Mearsheimer vorhergesagt, durch die Schuld des Westens werde die Ukraine eines Tages „zertrümmert“ werden. Damals hatte er, wie auch der frühere Außenminister Henry Kissinger, der Washingtoner Regierung empfohlen, der Ukraine keine Versprechen zu machen, sondern ihr eine völkerrechtlich abgesicherte Neutralität anzuraten. Eine Ukraine als NATO- und EU-Mitglied vor der eigenen Haustür würde Rußland als existentielle Bedrohung empfinden, was eine entsprechende Reaktion provozieren könne.

Eine Woche nach Putins Überfall betonte Mearsheimer im Magazin New Yorker, es gebe keinen Grund, zu befürchten, Rußland werde eine regionale Hegemonie in Europa anstreben. Somit stelle es auch für die USA keine ernsthafte Bedrohung dar. Aber:

„Wenn man in einer Welt lebt, in der es drei Großmächte gibt – China, Rußland und die Vereinigten Staaten – und eine dieser Großmächte, China, ein wirklicher Konkurrent ist, dann möchte man als USA Rußland an seiner Seite haben. Statt dessen haben wir mit unserer törichten Politik in Osteuropa die Russen in die Arme der Chinesen getrieben. Das ist ein Verstoß gegen das Einmaleins der Politik des Gleichgewichts der Kräfte.“

Und die Chinesen? Sie unterhalten gute Beziehungen sowohl zu Rußland als auch zur Ukraine. Im Weltsicherheitsrat haben sie sich – wie Indien – der Stimme enthalten, als Moskaus Überfall verurteilt werden sollte. Am 22. März wurde Qin Gang, Chinas Botschafter in den USA, von der Kommentatorin Margaret Brennan in der CBS-Nachrichtensendung „Face the Nation“ regelrecht „gegrillt“.

Qin: „China ist ein friedliebendes Land. Wir hassen es, daß sich die Situation in der Ukraine gegenwärtig so zugespitzt hat. Wir fordern einen sofortigen Waffenstillstand, fördern Friedensgespräche und senden humanitäre Hilfe.“

Brennan: „Werden Sie trotzdem Geld und Waffen nach Rußland schicken?“

Qin: „China schickt keine Waffen und Munition an irgendeine Partei. Wir sind gegen einen Krieg, wie ich schon sagte. Wir werden alles tun, um die Krise zu deeskalieren. China hält die Ziele und Prinzipien der UN-Charta aufrecht, einschließlich der Achtung der nationalen Souveränität und territorialen Integrität aller Länder– auch jener der Ukraine. Andererseits sehen wir, daß die Geschichte der Ukraine-Frage komplex ist.“

Da China, so der Botschafter abschließend, enge Kontakte zu den USA, zu Europa, zu Rußland und zur Ukraine unterhalte, könne Peking auf alle Parteien zugehen. Erforderlich sei eine gute Diplomatie, um die Sicherheitsfrage in Europa dauerhaft zu lösen. Drei Tage zuvor hatten die Präsidenten Biden und Xi Jinping ein längeres Videogespräch mit einem ähnlichen Ergebnis geführt. Dabei kam nicht nur der Ukraine-Krieg zur Sprache, sondern interessanterweise auch die Taiwan-Frage. Alle deutschen „Qualitätsmedien“ unterschlugen, daß – dies nur nebenbei bemerkt – Biden chinesischen Angaben zufolge versicherte, die USA würden eine „Unabhängigkeit“ der Insel nicht unterstützen, sondern weiter der Ein-China-Politik verpflichtet bleiben.

Was die Invasion in der Ukraine betrifft, so zeichnet sich für Putin und Rußland ein Debakel ab: wenn nicht militärisch, so auf jeden Fall politisch und wirtschaftlich – und das für die nächsten Jahre, wenn nicht Jahrzehnte. Der Kreml-Herr wird im Westen lebenslang ein Paria bleiben. Er hat sein Land in eine Sackgasse geführt, weil er den Widerstandswillen der Ukrainer und die massive, bei Bidens Europa-Besuch bekräftigte Reaktion völlig unterschätzt hat. Selbst wenn der Krieg mit der Neutralisierung der Ukraine enden sollte, hat Putin Rußland wirtschaftlich, politisch und moralisch so geschwächt, daß es in Zukunft weder mit den USA noch mit China auf Augenhöhe wird konkurrieren können. Die Neuordnung der Welt werden diese beiden Mächte jetzt unter sich ausmachen.

Peter Kuntze

Kuntze wurde 1941 in Kiel geboren und hat nach Abitur und Wehrdienst eine verlagskaufmännische Lehre in Hamburg absolviert. Anschließend ein Redaktionsvolontariat in Ansbach. 1968 gelang ihm der Sprung nach München zur Süddeutschen Zeitung, wo er als außenpolitischer Nachrichtenredakteur sein Brot bis 1997 verdient hat. Nebenbei schrieb Kuntze etliche Kinderbücher, zwei Romane und acht politische Sachbücher über China. Seine konservative Wende geschah in den letzten Berufsjahren.

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