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Die Angst vor dem eigenen Volk

29. Januar 2024

Alan Posener in der „Zeit“ und Gustav Seibt in der „Süddeutschen Zeitung“ haben, wenn auch gegensätzlich, das turbulente Geschehen der letzten Wochen auf den Punkt gebracht. Posener konstatiert unter dem Eindruck der Bauernproteste und des Höhenflugs der AfD: „Die Gefahr kommt aus der Mitte – Die Bundesrepublik hat schon einige Revolten ausgehalten. Nicht die Radikalen mit Umsturzphantasien gefährden die Demokratie, sondern die Massen und ihre Wahlentscheidung“ (zeit.online, 13. Januar).

Angesichts der ersten Demonstrationswelle „gegen Rechts“ registriert Seibt zehn Tage später:

„Man sah: die Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland, die kein homogenes ´Volk´ ist. Das Staatsvolk im Sinne des Grundgesetzes. Dies ist nicht das Volk der AfD – das war der große, einfache Sinn der gewaltigen Installation am Wochenende. Wir sind nicht das völkische Volk, das sich die identitären Fantasten imaginieren. Das völkische, auf Stammverwandtschaft und Schicksalsgemeinschaft beruhende Volk…. war immer ein Fantasma ohne Grundlage in der Wirklichkeit. Leider ist es jetzt wieder nötig, diese schlichte Wahrheit zu bezeugen“

(„SZ“, 23. Januar)

Wie geht das zusammen? Der eine, um mit Goethe zu sprechen, hinsichtlich der Unterstützer der Demokratie „himmelhoch jauchzend“, der andere „zu Tode betrübt“. Doch der scheinbare Gegensatz ist kein Widerspruch – beiden gemein ist die Angst vor dem eigenen Volk. Die „Massen“, die Posener fürchtet, sind die autochthonen Deutschen, denen Seibt die von ihm gepriesene „Bevölkerung“ gegenüberstellt:

„Am Wochenende sah man einen Querschnitt der bundesrepublikanischen Gesellschaft mit all ihren Unterschieden: alt und jung, bürgerlich und alternativ, elegant, casual, reich, arm, migrantisch, städtisch, ländlich, junge Familien, Omas, schwul-lesbische Pärchen, östlich-westlich (Gott sei Dank!), politisch streng, politisch ironisch, programmatisch so divers wie im Habitus, sofern sich die Zeichen überhaupt entziffern lassen. Insgesamt: vollkommen inhomogen.“

Auch wenn die meisten dieser Eigenschaften jedem Volk eigentümlich sind, weiß man, was gemeint ist: „Bunt statt braun“ heißt es schließlich auf vielen Plakaten.

Die als Ausdruck von Weltoffenheit angestrebte Diversität der Einwohner ist mittlerweile weit fortgeschritten. Laut dem Statistischen Bundesamt betrug 2022 Deutschlands „Bevölkerung in Privathaushalten insgesamt 83,10 Millionen“. Ohne Migrationshintergrund sind die autochthonen Deutschen im Lauf der letzten Jahre auf 59,28 Millionen geschrumpft – das sind nur noch 71,3 Prozent. Der Anteil der Einwohner mit Migrationshintergrund stieg demgegenüber auf 23,82 Millionen (28,7 Prozent). Es ist zu erwarten, daß sich dieser Trend von Jahr zu Jahr fortsetzen wird. So lebten am Jahresende 2023 nach einer ersten Schätzung der amtlichen Statistiker hierzulande bereits 84,7 Millionen Menschen. Der von vielen Rechten prognostizierte „Bevölkerungsaustausch“ ist langfristig keineswegs abstrus, sondern liegt durchaus im Interesse der Linken und des linksliberalen juste milieus. Ihnen geht es um die Überwindung ihrer Angst – der Angst vor dem eigenen Volk.

Zweimal nämlich hat das Volk Ihnen einen traumatischen Schock versetzt: So stand es mehrheitlich hinter der NS-Diktatur und hielt ihr bis zum bitteren Ende die Treue. Jahrzehnte später lehnte die Mehrheit der Mitteldeutschen eine linke Diktatur ab und stürzte sie auf friedliche Weise, was – horribile dictu! – zur nationalen Wiedervereinigung führte. Von diesen Traumata haben sich Linke und Linksliberale bis heute nicht erholt, was ihr Mißtrauen gegenüber Volk, Nation und Staat begründet, aus dem, wie die jüngsten Kampagnen „gegen Rechts“ zeigen, blanker Haß werden kann. So skandierten die Antinationalen in den Reihen der Grünen bereits in den achtziger Jahren, als es um Zuwanderung und Asyl ging: „Ausländer, laßt uns mit diesen Deutschen nicht allein!“ Im Zuge der Wiedervereinigung steigerte sich der Furor zu Haßappellen wie: „Deutschland, halt´s Maul!“, „Deutschland, verrecke!“ und „Nie wieder Deutschland!“

An dieser Einstellung hat sich bis heute nichts geändert. Robert Habeck, grüner Vizekanzler und Wirtschaftsminister, gestand in seinem Buch „Patriotismus – Ein linkes Plädoyer“, das 2010 erschien:

„Vaterlandsliebe fand ich stets zum Kotzen. Ich wußte mit Deutschland noch nie etwas anzufangen und weiß es bis heute nicht.“

1989/90, auf dem Höhepunkt der Demonstrationen in der Untergangsphase der DDR, riefen Zehntausende: „Wir sind ein Volk!“ Damit meinten sie nicht die individualisierte und fragmentierte „Bevölkerung“ der Gegenwart, sondern die durch Sprache, Kultur und Geschichte verbundenen Landsleute im Westen wie im Osten des gemeinsamen Vaterlandes. Daß jetzt ein Bürger mit deutschem Paß sowohl ein „Deutscher“ als auch dank eines Doppelpasses gleichzeitig ein „Türke“ sein kann, wäre damals niemandem zu vermitteln gewesen. Doch durch die vom Karlsruher Verfassungsgericht vorgenommene Um- und Neudefinition der Begriffe Volk und Nation ist der Umbau Deutschlands in eine „bunte Republik“ längst vollbracht.

Was das bedeutet, hat der damalige Bundespräsident Joachim Gauck in einem Interview mit dem „Generalanzeiger“ am 25. August 2015 mit dankenswerter Klarheit ausgesprochen: Die Deutschen müßten sich vom Bild einer Nation lösen, „die sehr homogen ist, in der fast alle Menschen Deutsch als Muttersprache haben, überwiegend christlich sind und hellhäutig“. Ziel, so die Kolumnistin Carolin Emcke in der „SZ“, sei es, aus dem nationalen Wir ein „globales Wir“ zu machen. In jeder größeren Stadt reicht heute ein Gang durch die Fußgängerzone oder eine Fahrt mit einem öffentlichen Verkehrsmittel, um festzustellen, daß das Land diesem Ziel von Tag zu Tag näherkommt.

Um den nicht nur demoskopischen Höhenflug der AfD zu stoppen, der den Traum der Poseners, Seibts und Emckes gefährden könnte, sind alle Mittel recht. Am erfolgreichsten scheint die Spitzel-Story der linken, staatlich geförderten Plattform „Correctiv“ zu sein. Die von ihr fabulierten „Massendeportationen“, die angeblich auf einem Geheimtreffen Rechtsradikaler am 25. November in einer Potsdamer Villa ausgeheckt wurden, haben Hunderttausende zur Verteidigung der „liberalen Demokratie“ mobilisiert.

Im Brandenburger Landtag spielten sich am 24. Januar anläßlich einer Debatte über die Gefahren des Rechtsextremismus Szenen wie aus einem Tollhaus ab. Die Abgeordneten der Linken trugen rote Westen mit der Aufschrift „Nie wieder ist jetzt“ und kehrten den AfD-Politikern den Rücken zu. Erst als die Landtagspräsidentin den Linken mit einem Ordnungsruf drohte, zogen sie die Westen aus. Sebastian Walter, Fraktionschef der mittlerweile demokratisch geadelten SED-Nachfolgerin, hielt der AfD vor, mit ihren „menschenfeindlichen Deportationsphantasien“ ein „Massensterben“ einzukalkulieren: „Sie wollen wieder abholen.“

Noch heftiger legte sich CDU-Innenminister Michael Stübgen gegen jene Partei ins Zeug, die Umfragen zufolge in Brandenburg den höchsten Wählerzuspruch hat:

„Erst die Deportation von denjenigen, die anderswo herkommen, dann die Deportation von denen, die anders aussehen und zum Schluß die Deportation von denen, die anders denken, fühlen und leben.“

Stübgen warf der AfD vor, sie plane die Abschaffung des Landes: „Sie wollen aus Deutschland Nordkorea machen. Sie wollen den totalen Unrechtsstaat, der willkürlich aussortiert. Wie Lava spritzt der Rassismus aus den Ritzen Ihrer Partei!“ rief er den Abgeordneten zu („Märkische Allgemeine Zeitung“, 25. Januar).

Über das demokratische Armutszeugnis kann man nur den Kopf schütteln. Statt der seit Jahren angekündigten, aber nie realisierten politischen Auseinandersetzung wird der Wahlkonkurrent als Wiedergänger der NSDAP dämonisiert. Es wäre daher nicht verwunderlich, würde auch das von Seibt als „Fantasma“ weggezauberte, weitgehend homogene deutsche Volk auf die Straße gehen – zumindest jene, deren Identität sich noch nicht in der bunten Gesellschaft aufgelöst hat.

Peter Kuntze

Kuntze wurde 1941 in Kiel geboren und hat nach Abitur und Wehrdienst eine verlagskaufmännische Lehre in Hamburg absolviert. Anschließend ein Redaktionsvolontariat in Ansbach. 1968 gelang ihm der Sprung nach München zur Süddeutschen Zeitung, wo er als außenpolitischer Nachrichtenredakteur sein Brot bis 1997 verdient hat. Nebenbei schrieb Kuntze etliche Kinderbücher, zwei Romane und acht politische Sachbücher über China. Seine konservative Wende geschah in den letzten Berufsjahren.


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