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Die Deutschlandfunk-Debatte geht in die zweite Runde

1. August 2023
in 3 min lesen

Idealistisch wie ich bin, habe ich meine letzte Kolumne über den Podcast „Nach Redaktionsschluss“ an die dafür Verantwortlichen gesendet. Und siehe da: Frau Annika Schneider antwortete mir tatsächlich. Kurz und bündig dankte sie mir für die Zuschrift und bat um Verständnis, dass sie zeitlich nicht auf alle Punkte eingehen könne. Anschließend wies sie darauf hin, dass sich der im Podcast vorgeführte Rentner nicht vorgeführt vorkam und dass man „queer“ eventuell tatsächlich hätte besser definieren müssen. Sie schloss mit dem Satz:

„(…) mich würde aber interessieren, was Sie für den ‚eigentlichen Diskurs‘ halten, den wir Ihrer Meinung nach nicht abgebildet haben.“

Insgeheim, dachte ich mir, will sie nun wahrscheinlich irgendetwas Plumpes hören, um sich in ihrem Weltbild bestätigt zu sehen. Ich aber setzte mich an die folgende Antwort.

Es herrscht, wie zu allen Zeiten, in der Politik und der Gesellschaft ein Kulturkrieg. Viele unterschiedliche Gruppen wollen ihre Vision, wie eine Gesellschaft auszusehen hat, durchsetzen.

Sie alle sind soziologisch erkennbar, haben eigene Denk- und Verhaltensweisen und streben nach Relevanz und Deutungshoheit. Im Gegensatz zur Partei wollen sie ihre Forderungen und Wünsche nicht politisch durchsetzen, sondern metapolitisch. Das bedeutet nichts anderes, als Positionen gesellschaftlich zu normalisieren – über die Medien, auf der Straße oder auf Social Media. Was im Rahmen des Sagbaren liegt, was als akzeptabel, radikal oder allgemein völlig angenommen gilt, wird nach Joseph P. Overton das „Overton-Fenster“ genannt.

In den letzten Jahren haben wir einen Siegeszug der „queeren“ Themen erlebt: Medien, Unis und große Firmen unterstützen vieles, was unter der Regenbogen- und Transflagge gefordert wird. Was vor 20 Jahren noch undenkbar war (zum Beispiel die Homoehe oder der Genderstern), wird inzwischen selbst von der CDU bemüht.

Parteien sind in dieser Hinsicht reaktiv: Sie wittern gesellschaftliche Stimmungen und wollen Stimmen erzielen, indem sie Themen, die das Overton-Fenster hergibt, politisch umsetzen.

Der metapolitische Kampf um Begriffe und gesellschaftliche Wahrnehmung wird von denen, die als „queer“ wahrgenommen werden wollen, also besonders erfolgreich geführt. Ich stelle das erst einmal völlig ohne Wertung fest.

Ältere Semester wie Herr Landshut sind mit diesem Wandel überfordert: In ein bis zwei Generationen wurde das Overton-Fenster sehr weit verschoben. Genderstern, Pride-Parade und das Berichten über „queere“ Themen sind überall. Auch die Deutungshoheit haben diejenigen, denen diese Themen am Herzen liegen. Ihr Bemühen wird mit einem der einleuchtendsten und nobelsten Argumente begründet: weil man einer schützenswerten Gruppe Menschen das selbstbestimmte Leben ermöglichen will.

Selbstverständlich lässt sich dagegen nicht wirklich argumentieren, ohne sich des Hasses verdächtig zu machen. Gleichzeitig kann eine soziale Gruppe mit Argumenten wie diesen noch viel mehr fordern. Warum nicht Mann/Frau komplett aus dem Personalausweis streichen? Warum keine genderneutralen Toiletten überall? Warum darf man mit dem Selbstbestimmungsgesetz sein Geschlecht nur einmal im Jahr ändern lassen, wenn man doch „genderfluide“ ist? Warum keine biologischen Männer in Frauensaunen, wenn sie sich als Frau definieren?


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Kritisiert man bestimmte Auswüchse dieses Diskurses, wie Herr Landshut dies tat (Feministinnen werden aus dem Diskurs gedrängt, wenn sie Transfrauen nicht als Frauen wahrnehmen), dann wird er verdächtigt, gegen die Rechte von Schwulen zu sein. Dieses Argument nennt man das „Motte-and-Bailey-Argument“ (Burghofargument). Es werden kontroverse Forderungen und Behauptungen getätigt, um sich bei Kritik in den sicheren Hafen zu begeben und eine sehr abgeschwächte Version des Arguments zu verteidigen. „Queer“ (es gibt unendlich viele – also keine Geschlechter) ist auch deshalb (rein argumentativ) sehr wohl von schwul, lesbisch, bisexuell oder transsexuell zu unterscheiden.

Denn nun endlich zu Ihrer eigentlichen Frage: Was ist der eigentliche Diskurs?

Grundsätzlich ist die wesentliche Unterscheidung der Diskursteilnehmer bei allen derartigen Gesprächen meiner Meinung nach:

(politisch): konservativ – linksliberal.

(philosophisch): Strukturalismus – Poststrukturalismus.

(psychologisch): Identität – Auflösen von Identitäten.

(gesellschaftlich): Kontinuität – Aufbrechen von Kontinuitäten.

Jemand Linksliberales ist mit großer Wahrscheinlichkeit für das Aufbrechen der Geschlechterrollen und für die Repräsentanz von LGBTQI-Personen in den Medien und beruft sich damit wahrscheinlich unwissend auf Philosophen wie Michel Foucault oder Judith Butler. Ein Gegner des Genderns oder jemand, der der Meinung ist, es werde zu viel über LGBT-Themen berichtet, ist in einigen Ansichten wahrscheinlich konservativ und hält die derzeitige Verschiebung des Overton-Fensters für einen negativen Trend der heutigen Zeit, die sich von der ansonsten „normal“ entwickelten Gesellschaft entfremdet hat.

Herr Landshut hätte nicht die oberflächlichen Aufreger-Themen kritisieren dürfen, er hätte den Linksliberalismus an sich, den Poststrukturalismus als philosophische Disziplin, das Auflösen von (nationalen/Geschlechts-) Identitäten im Allgemeinen oder das Zerstören von Kontinuitäten kritisieren müssen. Denn all das schreitet in beängstigender Schnelligkeit voran und zerstört über Jahrhunderte gewachsene Strukturen unserer Kultur.

Indem er keine dieser Debatten geführt hat und nur an der Oberfläche kratzte, wurde er – ob er es so wahrnimmt oder nicht – mit den erlernten Floskeln einer den gesellschaftlichen Diskurs absolut dominierenden Argumentationsweise – vorgeführt. Weil viele leider (vor allem im Studium) an die Denk- und Argumentationsweise der „Linksliberalen“, „woken“, „Poststrukturalisten“, oder wie auch immer man sie nennen mag, gewöhnt werden, hatte Herr Landshut nicht den Hauch einer Chance.

Beste Grüße!

Auf die Formalitäten der E-Mail habe ich in der Kolumne verzichtet. Seid Euch sicher: Es wird nicht an meiner Höflichkeit gelegen haben, falls keine erneute Antwort mehr kommen wird! Falls doch, halte ich Euch auf dem Laufenden…

PhrasenDrescher

Der Phrasendrescher - wie könnte es anders sein - promoviert derzeit interdisziplinär in der Philosophie und der Politikwissenschaft. Als glühender Verehrer von Friedrich Nietzsche weiß er, dass man auch Untergänge akzeptieren muss und arbeitet bereits an der Heraufkunft neuer, stärkerer Werte.

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