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Linke Denker: Eric Hobsbawm

3. Januar 2023
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Zum ersten Denker dieser Reihe habe ich ein ganz persönliches Verhältnis, denn er ist einer der Gründe dafür, dass mein Doktorarbeitsthema des Öfteren abgelehnt wurde. Während ich in meiner Arbeit für eine lange Kontinuität der Geschichte von Nationen argumentieren wollte, ist Hobsbawm der Meinung, Nationalismus sei eine von oben her konstruierte Ideologie, die erst seit der Moderne auftritt und alle nationalen Traditionen und auch die Nationen überhaupt rückwirkend erfindet. Nach dieser „modernistischen“ Auffassung, wie sie Hobsbawm vertritt, ist jede Form von Nationalität ein sprachlich und sozial konstruiertes Phänomen der Moderne. Dem gegenüber stehen Theorien, welche zwischen vornationaler Gesellschaft und dem späteren Nationalstaat eine Verbindung sehen – wofür ich argumentieren wollte. Ohne viel darüber reden zu müssen, welche Meinung denn die verpönte ist, erschwerte mir die Richtung meiner Forschung, überhaupt weiter an der Uni bleiben zu können.

„Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei“, steht in großen Lettern am Neuen Institutsgebäude der Universität Wien – solange sie eben den linken Zeitgeist hofiert. Die infrage kommenden Doktorväter der Politikwissenschaft lehnten mein Vorhaben allesamt ab, weil der konstruktive Ansatz nicht sonderlich gut wegkommt. Jegliche Forschung abseits der konstruktivistischen (wie sie zum Beispiel Johann Gottfried Herder, Wilhelm von Humboldt oder Johann Gottlieb Fichte, aber auch aktuelle Philosophen vertreten) sei nun mal eine „veraltete und nahezu universell diskreditierte philosophische Position“ (Originalzitat aus einer Ablehnung). Obwohl in der Philosophie Platz sei „für ungewöhnliche Meinungen“, sei das „Ignorieren sämtlicher linguistic turns“ ein Grund, mich nicht zu betreuen.

Nun, zurück zum Thema; Eric Hobsbawm zählt also zu den modernen und nicht „universell diskreditierten“ Philosophen. Doch wer war er und was hat er gemacht? Der Sohn eines Briten und einer Österreicherin wurde 1917 geboren und erlebte seine frühe Kindheit in Alexandria. Nach dem frühen Tod seiner Eltern wurde er von seiner Tante in Berlin aufgenommen. Als jüdische Familie mit dem Wissen um die antisemitische Politik der Nationalsozialisten emigrierten sie bereits 1933 und zogen nach England. 1931 (mit 14 Jahren!) wurde Eric Hobsbawm Mitglied des Sozialistischen Schülerbundes, mit 19 trat er in die Kommunistische Partei Englands ein und blieb bis zu seinem Tod 2012 Mitglied. Dass der früh entwurzelte, früh verwaiste, junge Eric Hobsbawm mit dem Nationalismus nicht viel anfangen konnte, ist also kein Wunder. Wie sein Antinationalismus entspringt seine lebenslange Treue zum Kommunismus, trotz stalinistischer Säuberungen, des Niederschlagens des Ungarn-Aufstands und des Mauerfalls, eher psychologischen Ursachen als wissenschaftlicher Neutralität.

1994 verkündete Hobsbawm in einem Interview:

„If the Soviet Union had succeeded in creating a true communist society, it would have been worth the deaths of the twenty million people who perished under Stalin.“

(„Wenn es der Sowjetunion gelungen wäre, eine echte kommunistische Gesellschaft zu schaffen, wäre es den Tod der 20 Millionen Menschen wert gewesen, die unter Stalin umgekommen sind.“)



Zum Zeitpunkt des Interviews war Hobsbawm kein Unbekannter mehr, vielmehr lehrte er seit 1971 als Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte in London. Er übte diese Tätigkeit über zehn Jahre aus, bevor er Gastprofessuren in Mexiko und den USA annahm und 1984 sogar Inhaber des Lehrstuhls für Politik und Gesellschaft an der New School for Social Research in New York wurde. Während dieser Tätigkeiten lehrte Hobsbawm Geschichte in einem selbstverständlich marxistischen, linken Kontext, wie er in meiner letzten Kolumne dargestellt wurde. Ein Beispiel: Laut Hobsbawm ist die Geschichte von Nationen frei erfunden und konstruiert, da die wirkliche Geschichte sich natürlich nur in Klassenkämpfen vollzieht.

Um diesem sozialistischen Märchen treu zu bleiben, werden Teile der Geschichte von dem im akademischen Bereich hoch angesehenen Historiker hervorgehoben, ignoriert oder so interpretiert, dass sie ins Bild passen. Das Endergebnis lautet: Die Aufteilung der Welt in Klassen ist Wissenschaft, ihre Aufteilung in Nationen Ideologie.

Es gibt zahlreiche Gegenargumente und Widerlegungen zu Hobsbawms und Marx’ funktionaler und materialistischer Erklärung von Geschichte, Nationen und Kultur. Nur stoßen sie auf taube Ohren: Denn dadurch zeichnet sich die linke Vorherrschaft nach dem Marsch durch die Institutionen und Universitäten ja aus. Die eigene Ansicht wird zur einzig „wissenschaftlichen“, alle anderen sind „reaktionär“, „veraltet“ und damit eben auch „nahezu universell diskreditiert“. Beherrsche die Sprache, und du beherrschst die Welt.

Eine linke Haltung war bereits vor dem Mauerfall kein Hindernis, an westlichen Universitäten Karriere zu machen, auch wenn Hobsbawm weinerlich und frech das Gegenteil behauptete: Immerhin hatte der Verehrer Stalins dank eines Stipendiums keine Geldsorgen während des Studiums und war seit seinem 30. Lebensjahr durchgehend an der Universität angestellt. Eine klassisch linke Taktik: sich weinerlich über angebliche Repression beschweren, während man längst einen Großteil der Macht besitzt.

Denn besonders heute darf den linken Dogmen gar nicht mehr widersprochen werden, ansonsten wird die wissenschaftlich zwar ebenso fundierte, aber eben von den Professoren nicht vertretene Philosophie unter eben jenen Schlagworten abgelehnt, die Denker wie Eric Hobsbawm an den Universitäten etabliert haben. Gegen diese Windmühlen anzukämpfen und dennoch eine Karriere im universitären Bereich anzustreben, gelingt entweder mit unglaublich viel Ausdauer und Geduld oder dem Aufgeben der eigenen Integrität.

Letztendlich muss die Kritik an marxistischen und linken Philosophien im universitären System selbst erst einmal wieder möglich sein, damit sich was ändern kann. Das lässt sich dann bewerkstelligen, wenn sich eine organisierte Anzahl an Studenten mindestens genauso laut beschwert und zumindest wissenschaftliche Fairness fordert und damit einen wirklichen Diskurs wieder möglich macht. Theoretische, nicht linke Bildung ist aber in allen Fällen der Anfang! Für Marx bedeutet „Ideologie“ falsches Bewusstsein. Wenn eine Mehrheit der Studenten und Professoren die Floskel „Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei“ noch ernst nimmt, dann sind sie die Ideologen, nicht wir.

PhrasenDrescher

Der Phrasendrescher - wie könnte es anders sein - promoviert derzeit interdisziplinär in der Philosophie und der Politikwissenschaft. Als glühender Verehrer von Friedrich Nietzsche weiß er, dass man auch Untergänge akzeptieren muss und arbeitet bereits an der Heraufkunft neuer, stärkerer Werte.

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