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President Joe Biden poses for his official portrait Wednesday, March 3, 2021, in the Library of the White House. (Official White House Photo by Adam Schultz)

Ob Innen- oder Außenpolitik – Biden setzt auf „America First“

21. Februar 2023
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Heuchelei, vulgo: doppelte Moral, ist doch weiter verbreitet als mancher wahrhaben will: Jahrelang haben Amerikaner und Europäer – allen voran natürlich die deutschen Besserwisser und Musterschüler – den Chinesen (in den fünfziger und sechziger Jahren den Japanern) unfaire Handelspraktiken vorgeworfen. Die Asiaten, so der lange Zeit nicht ganz unberechtigte Vorwurf, hätten Know-how gestohlen, westliche Produkte nachgebaut und dann mit Hilfe staatlicher Finanzmittel zu günstigeren Preisen auf dem Weltmarkt verkauft. Jetzt hat sich das Blatt fast umgekehrt – zwischen Amerikanern und Europäern droht ein verheerender Subventionswettlauf, der den vielgepriesenen Gesetzen der freien Marktwirtschaft widerspräche.

Auslöser ist der von Präsident Joe Biden durchgesetzte Inflation Reduction Act (IRA), ein Gesetz, das massive Beihilfen für den umweltfreundlichen Umbau der amerikanischen Wirtschaft vorsieht. Über zehn Jahre hinweg sollen aus Steuermitteln mindestens 370 Milliarden Dollar (345 Mrd. Euro) in erneuerbare Energien, die Umrüstung der Industrie auf eine CO2-neutrale Produktion sowie in die Förderung von Elektroautos, grünem Wasserstoff, Wärmepumpen und Stromspeichern investiert werden. Gleichzeitig soll die Abhängigkeit von Rohstoff-Importen aus China verringert werden.

Mit Blick nach Europa erklärte Biden Anfang Februar in seiner Rede zur Lage der Nation, er werde sich nicht dafür entschuldigen, daß er auf US-Produkte setze. Nach Angaben der „Süddeutschen Zeitung“ kündigte er gleich das nächste „America-first“-Programm an: Baumaterialien für staatlich geförderte Infrastruktur-Projekte, also Kupfer, Aluminium, Glasfaserkabel, Holz oder Gipsplatten müßten künftig aus den USA stammen. „Unter meiner Aufsicht werden amerikanische Straßen, Brücken und Autobahnen mit amerikanischen Produkten gebaut“, so der Präsident. Im Kampf um die Vorherrschaft in der Halbleiterindustrie hatte Biden bereits Anfang Oktober 2022 Chinas Chip-Hersteller mit weitreichenden Exportbeschränkungen belegt und US-Bürgern mit dem Entzug der Staatsangehörigkeit gedroht, sollten sie sich in der Volksrepublik an der Chip-Produktion beteiligen.

Bidens „America-first“-Initiative ließ in EU-Europa, besonders in der Brüsseler Kommission, sofort die Alarmglocken läuten. Die von Washington in Aussicht gestellten üppigen Subventionen drohen schließlich dazu zu führen, daß europäische Konzerne geplante Investitionen in die USA verlagern. Schon vor drei Jahren hatte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen den „Green Deal“ präsentiert, ein ehrgeiziges Klimaschutz-Programm zur Förderung von Wind-und Solarkraftwerken, Wärmepumpen, Wasserstoff-Anlagen und Batterien für Elektroautos. Jetzt legt sie nach und will es den Mitgliedstaaten erleichtern, aus einem noch unbezifferten und unfinanzierten „Souveränitätsfonds“ ebenfalls Subventionen an grüne Branchen zu zahlen.

Wegen der Covid-Krise und der hohen Energiepreise hatte die Kommission die entsprechenden Regeln bereits gelockert, doch nun soll das Geld noch umfangreicher und rascher fließen – zumindest bis 2025. Im übrigen dringt Brüssel darauf, daß für eventuelle Verhandlungen mit den Amerikanern die EU-Kommission zuständig sei und nicht die Nationalstaaten. Damit soll verhindert werden, daß ökonomisch starke Länder wie Deutschland oder Frankreich Separatverträge mit den USA abschließen.

Wie auch immer sich die transatlantischen Machtblöcke in der Frage des Profits arrangieren, Dreh- und Angelpunkt ihrer geopolitischen Strategie ist China: der Aufstieg der Volksrepublik zur zweitgrößten Wirtschaftsmacht, der alle Prognosen zu Makulatur macht („nur Demokratien können erfolgreich sein“), hat den Westen aufgeschreckt – besonders Amerika, das um seine globale Führungsrolle fürchten muß. Im März 2022, kurz nach Rußlands Einmarsch in die Ukraine, rief Präsident Biden daher in einer Rede vor dem Warschauer Schloß das Jüngste Gericht, quasi ein ideologisches Armageddon aus:

„Es geht jetzt um die große Schlacht zwischen Demokratie und Autokratie, zwischen Freiheit und Unterdrückung.“

Dieser Parole haben sich mittlerweile nahezu alle Verbündeten Washingtons angeschlossen; in den USA selbst, die innenpolitisch durch erbitterte Kulturkämpfe heillos entzweit sind, unterstützen Republikaner und Demokraten gleichermaßen Bidens Appell zur Niederschlagung autokratischer Mächte wie Rußland und China.


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Putins Rußland, davon kann man ausgehen, ist seit dem Überfall auf die Ukraine nicht nur im Westen erledigt. Durch einen Sabotageakt ist auch Deutschland als letzter unsicherer Kandidat auf Linie gebracht worden. Am 8. Februar berichtete Seymour Hersh, eine jetzt 85 Jahre alte Reporter-Legende und weltweit bekannter Enthüllungsjournalist, der Anschlag auf die Nord-Stream-Pipelines 1 und 2 am 26. September 2022 sei auf Befehl der US-Regierung begangen worden. Amerikanische Marinetaucher hätten im Juni unter dem Deckmantel des jährlichen NATO-Manövers Baltops 22 heimlich Sprengsätze angebracht. Schon im Dezember 2021 hätten die von Präsident Biden genehmigten Planungen begonnen. Der Sprengstoff, so Hersh, sei dann im letzten September mit Hilfe der norwegischen Marine ferngezündet worden. Auch Offiziere des NATO-Mitglieds Dänemark und des NATO-Kandidaten Schweden seien informiert worden. Da sich Hersh nur auf eine einzige, ungenannte Quelle beruft und alle mutmaßlich Beteiligten die Wahrheit seines Berichts entschieden dementieren, bleiben die Hintergründe des Sabotageaktes bis heute offen.

Anfang Oktober letzten Jahres wurde auch an dieser Stelle nach dem „Cui-bono“-Prinzip gemutmaßt, der Anschlag gehe wahrscheinlich auf das Konto des amerikanischen Geheimdienstes. Hintergrund waren Äußerungen Bidens vom Februar 2022 bei einem Washington-Besuch von Bundeskanzler Olaf Scholz. Biden hatte damals, mehrere Wochen vor Beginn des Überfalls auf die Ukraine, gewarnt, sollte Rußland einmarschieren, „dann wird es kein Nord Stream 2 mehr geben“. Das „verspreche“ er, betonte der Präsident, ohne nähere Angaben zu machen. „Wir werden dem ein Ende bereiten.“

Es bleibt schleierhaft, wo im deutschen Blätterwald die großen Hintergrundberichte zu dem ungeheuerlichen Vorgang bleiben. Weder der „Spiegel“ noch das sonst so emsige Recherche-Team aus NDR, WDR und „Süddeutscher Zeitung“ hat irgendetwas verlautbart – statt dessen hat es die weltbewegende Enthüllung verbreitet, daß Hans-Georg Maaßen vor kurzem in der Schweiz heimlich eine private Stiftung gegründet hat. So sprießen natürlich weiter Mutmaßungen ins Kraut: Hat Olaf Scholz mit seinem Wissen Präsident Biden in der Hand und ihm deswegen die Lieferung von AbramsPanzer an die Ukraine abgerungen?

Sollte sich Hershs Bericht eines Tages als die Wahrheit herausstellen, würde dies die NATO in ihren Grundfesten erschüttern. Schließlich würde es sich bei dem Sabotageakt um eine Verschwörung mehrerer NATO-Staaten gegen ein Bündnis-Mitglied handeln. Und in Deutschland würde sich die Frage stellen, ob der Regierungschef Hochverrat an den nationalen Interessen begangen hat. Aber genug!

Weitere Spekulationen könnten dazu führen, daß sich auch die KRAUTZONE demnächst unter dem Radarschirm des Verfassungsschutzes wiederfindet unter der Beschuldigung, eine öffentliche Multiplikationsplattform für verschwörungsideologische, antisemitische (Achtung: Hersh ist Jude!) und staatsdelegitimierende Inhalte zu sein. Andererseits heißt es in Theodor Fontanes Novelle Unterm Birnbaum:

„Es ist nichts so fein gesponnen, / es kommt doch ans Licht der Sonnen.“

Peter Kuntze

Kuntze wurde 1941 in Kiel geboren und hat nach Abitur und Wehrdienst eine verlagskaufmännische Lehre in Hamburg absolviert. Anschließend ein Redaktionsvolontariat in Ansbach. 1968 gelang ihm der Sprung nach München zur Süddeutschen Zeitung, wo er als außenpolitischer Nachrichtenredakteur sein Brot bis 1997 verdient hat. Nebenbei schrieb Kuntze etliche Kinderbücher, zwei Romane und acht politische Sachbücher über China. Seine konservative Wende geschah in den letzten Berufsjahren.

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