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Wird die NATO jetzt auch in Asien aktiv?

19. Juni 2023
in 5 min lesen

Seit geraumer Zeit schrillen die außenpolitischen Alarmsirenen so laut, daß sie selbst in Berlin nicht zu überhören sein dürften. Doch in der von der Ampel-Regierung am 14. Juni vorgestellten ersten „Nationalen Sicherheitsstrategie“ Deutschlands findet sich kein Wort davon: Wegen Pekings wachsender Präsenz im Südchinesischen Meer will die Nato, die 1949 gegründete nordatlantische Verteidigungsgemeinschaft, erstmals in ihrer Geschichte auch in Asien aktiv werden.

Noch 2021 plante die Allianz, zumindest offiziell, keine Ausdehnung ihres Operationsgebiets. So konnte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron guten Gewissens erklären: „In meinem Atlas gehört China nicht zum Atlantikraum“, vorsichtshalber räumte er aber ein: „Vielleicht hat ja auch meine Karte ein Problem.“ Schon damals stand nämlich fest, daß Großbritannien, Frankreich, die Niederlande und Deutschland Kriegsschiffe in den Indo-Pazifik entsenden wollten. Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer verabschiedete die Fregatte Bayern im August 2021 mit den Worten, sie solle „Flagge für die westlichen Werte“ zeigen.

Bereits im Juni 2022 stufte das Bündnis aus 31 europäischen und nordamerikanischen Mitgliedsstaaten China als Bedrohung ein und kündigte ein größeres ständiges Engagement im Indo-Pazifik-Raum an. Kaum ein Jahr später, im Mai dieses Jahres, gab Koji Tomita, Japans Botschafter in den USA, auf einer Pressekonferenz in Washington bekannt, demnächst werde die Nato in Tokio ein Verbindungsbüro einrichten. Ebenso wie Südkorea, Australien und Neuseeland betrachte die westliche Militärallianz auch Japan als Partnernation. Gemeinsames Ziel sei die Erhaltung und Stärkung der „freien, offenen und auf Regeln basierenden internationalen Ordnung“ im asiatischen Raum. Demgegenüber sprach das chinesische Außenministerium von einer „kontinuierlichen Ost-Expansion der Nato“ und einer Einmischung in regionale Angelegenheiten.

Doch die Weichen sind längst gestellt – in Deutschland ohne große öffentliche Beachtung. Anfang Juni kündigte Verteidigungsminister Boris Pistorius an, 2024 werde die Bundesmarine weitere zwei Kriegsschiffe in den Indo-Pazifik entsenden. „Wir reden von einer veränderten Weltlage“, konstatierte er auf dem Sicherheitsforum „Shangri-La-Dialog“ in Singapur. Eine Fregatte und ein Versorgungsschiff würden in die Region aufbrechen und „Flagge zeigen“. Derartige Einsätze, so Pistorius, seien nicht gegen ein bestimmtes Land gerichtet, sondern dienten  „dem Schutz der internationalen Ordnung“. In Wahrheit könnte die seit dem Ukrainekrieg von mehreren US-Politikern sowohl der Demokraten als auch der Republikaner geforderte Erweiterung des Einsatzgebietes der Nato für die europäischen Partner in einer Katastrophe enden. Deutschland – wirtschaftlich (noch) stark, militärisch erschreckend schwach und politisch unbedarft – ist als naivster und treuester Vasall der USA völlig abhängig von deren strategischen Plänen und hat im Ernstfall die schlechtesten Karten.

In Europa ist Macron bislang der einzige namhafte Politiker, der Bestrebungen, die Nato für die globalen Hegemonie-Interessen der Amerikaner einzuspannen, öffentlich artikuliert hat. Im November 2019, wenige Wochen vor dem Sondergipfel zum 70jährigen Bestehen des Bündnisses, stellte er der Allianz ein katastrophales Zeugnis aus: „Was wir derzeit erleben, ist der Hirntod der Nato“, klagte Macron gegenüber der britischen Zeitschrift „Economist“. Es gebe „keinerlei Koordination zwischen den USA und ihren Verbündeten“. Mit Blick auf Donald Trump und den Truppenabzug der Amerikaner aus dem Norden Syriens konstatierte Macron: „Wir finden uns das erste Mal mit einem amerikanischen Präsidenten wieder, der unser europäisches Projekt nicht teilt.“

Auf dem Rückflug vom Besuch seines chinesischen Amtskollegen Xi Jinping gab der französische Präsident Anfang April 2023 dem US-Magazin „Politico“ ein weiteres Interview, das bei allen Transatlantikern, nicht zuletzt in Deutschland, einen Sturm der Entrüstung auslöste. Die Europäer, so Macron, müßten dem Druck widerstehen, „Amerikas Gefolgsleute“ zu werden. Das große Risiko für Europa bestehe darin, „in Krisen verwickelt zu werden, die nicht unsere sind“. Im Fall Taiwan müsse Europa eine eigene Strategie verfolgen. „Das Schlimmste wäre, zu denken, wir Europäer müßten bei diesem Thema zu Mitläufern werden und entweder dem amerikanischen Duktus oder einer chinesischen Überreaktion folgen“, zitierte ihn das Magazin. Europa müsse „strategische Autonomie“ anstreben, um als „dritte Supermacht“ einen Pol zwischen den USA und China zu bilden. Sofort giftete der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen: „Macron scheint von allen guten Geistern verlassen zu sein.“ Mit „solch naiver und gefährlicher Rhetorik“ spalte und schwäche er Europa.


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Da Macron 2027 nicht noch einmal als Präsident antreten kann, könnte seine Nachfolgerin Marine Le Pen heißen. Man darf davon ausgehen, daß sie bei Eintritt eines Bündnisfalls wegen Taiwan eher den Nato-Austritt einleiten wird, als daß sie Frankreich im Fernen Osten an der Seite der USA kämpfen läßt. Ganz anders Deutschland: Hierzulande reißen sich Politiker darum, die Insel zu besuchen und den dortigen Regierungsvertretern ihre Aufwartung zu machen. So reiste im Januar dieses Jahres eine Delegation von FDP-Abgeordneten unter Führung Marie-Agnes Strack-Zimmermanns nach Taipeh, „um ein Zeichen der Solidarität mit Taiwan zu setzen“ – wohl wissend, daß die Inselprovinz im Oktober 1971 auf Beschluß der UNO-Vollversammlung der Souveränität der Volksrepublik als der einzig rechtmäßigen Regierung ganz Chinas unterstellt wurde. Die 1949 im Bürgerkrieg auf dem Festland geschlagene und nach Taiwan geflüchtete Regierung der Republik China wurde aus allen UNO-Organisationen ausgeschlossen.

Im März besuchte sogar zum erstenmal seit mehr als 25 Jahren ein deutsches Regierungsmitglied die Insel: Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) unterzeichnete ein Technologie-Kooperationsabkommen mit dem taiwanesischen Wissenschaftsminister und sprach lobend von „gleichgesinnten Wertepartnern“. Peking nannte die Reise einen „ungeheuerlichen Akt“ und appellierte an Berlin, „sofort aufzuhören, mit den separatistischen Kräften Taiwans zu interagieren und ihnen falsche Signale zu senden“. Kein Wunder: Nahezu alle Staaten der Welt – auch Deutschland, auch die USA – unterhalten aus völkerrechtlichen Gründen keine offiziellen Beziehungen zu Taiwan, sondern erkennen die 1971 auf UNO-Beschluß bis heute von Peking vertretene Ein-China-Politik an.

Diesen Standpunkt teilt auch die Kuomintang (KMT), die 1949 auf die Insel geflüchtete Nationale Volkspartei. Noch 2012 hatte die einstige Regierungspartei der längst untergegangenen Republik China bei freien Wahlen ihre absolute Mehrheit im Insel-Parlament verteidigt, der KMT-Politiker Ma Ying-jeou wurde in seinem Amt als Präsident bestätigt. Erst 2016 konnte sich die Demokratische Volkspartei (DPP) mit ihrer Spitzenkandidatin Tsai Ing-wen durchsetzen; 2020 triumphierten beide erneut  – zum Jubel Linker und Linksliberaler in aller Welt. Ihnen gilt Taiwan heute als „demokratischstes Land Asiens“. Besondere Begeisterung hat ein Transgender-Mensch ausgelöst, der unter dem Namen Audrey Tang als erste asiatische Trans-Ministerin das Digital-Ressort übernommen hat. Tang: „Die Vermischung der Ethnien, der Kulturen und der Geschlechter ist unsere Identität.“

Das nächste Jahr könnte zum Schicksalsjahr nicht nur Taiwans werden. Im Januar werden sowohl der Präsident als auch das Parlament gewählt. Nach zwei Amtszeiten kann Tsai Ing-wen nicht erneut antreten; wahrscheinlich wird Vizepräsident William Lai für die DPP ins Rennen gehen. Auch Ex-Präsident Ma Ying-jeou (2008 – 2016) hat sein Amtszeit-Kontingent erschöpft. Kandidieren könnte Eric Chu, seit 2021 Vorsitzender der KMT. Damals hatte ihm Xi Jinping telegraphisch zur Übernahme des Parteivorsitzes gratuliert. Beide plädierten für eine verstärkte Zusammenarbeit auf dem Weg zu einer friedlichen Wiedervereinigung und verurteilten alle Bestrebungen zu einer staatlichen Unabhängigkeit der Inselprovinz.

Mit Blick auch nach China rief US-Präsident Joe Biden im März 2022, kurz nach Beginn des Ukraine-Kriegs, das Jüngste Gericht, quasi ein ideologisches Armageddon aus: „Es geht jetzt um die große Schlacht zwischen Demokratie und Autokratie, zwischen Freiheit und Unterdrückung.“ Vorerst bleibt abzuwarten, ob sich schon beim Nato-Gipfel am 11. und 12. Juli in der litauischen Hauptstadt Vilnius ein amerikanischer oder europäischer Transatlantiker findet, der bereit ist, das Geraune um eine mögliche Erweiterung des Bündnisgebiets bis nach Asien offiziell zu bestätigen oder zu dementieren.

PS:

Der Nato-Gipfel in Vilnius ist zu Ende. Doch nur wenige unserer Medien sind auf die Frage eingegangen, ob sich das Militärbündnis Richtung Asien erweitern wird. Zu den Ausnahmen gehört das „Handelsblatt“. Es berichtete am 13. Juli, daß China die Teilnahme Japans und Südkoreas am Treffen in Litauen scharf kritisiert hat. Das KP-Organ Global Times spreche von einer gefährlichen „Natoisierung des asiatisch-pazifischen Raums“. Warum?

Japans Regierungschef Fumio Kishida und Südkoreas Präsident Yoo Suk Yeol vereinbarten mit der nordatlantischen Allianz ein „Individually Tailored Partnership Program“ (ITPP). Demnach wird Japan in sechzehn und Südkorea in elf Bereichen mit anderen Nato-Staaten zusammenarbeiten – so bei Terrorismusbekämpfung und Cybersicherheit. Die Idee, ein Nato-Verbindungsbüro in Tokio einzurichten, wurde dem Handelsblatt zufolge schon im Vorfeld des Treffens nach französischem Widerstand fallengelassen. Paris fürchte, „daß die Allianz ihren Fokus verlieren könnte“. Auf Wunsch der USA wurden die Fäden zu den beiden „Wertepartnern“ in Asien jetzt gleichwohl noch fester geknüpft.

Peter Kuntze

Kuntze wurde 1941 in Kiel geboren und hat nach Abitur und Wehrdienst eine verlagskaufmännische Lehre in Hamburg absolviert. Anschließend ein Redaktionsvolontariat in Ansbach. 1968 gelang ihm der Sprung nach München zur Süddeutschen Zeitung, wo er als außenpolitischer Nachrichtenredakteur sein Brot bis 1997 verdient hat. Nebenbei schrieb Kuntze etliche Kinderbücher, zwei Romane und acht politische Sachbücher über China. Seine konservative Wende geschah in den letzten Berufsjahren.

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