Autohersteller, die im Juni ihr Logo in Regenbogenfarben tauchen; Modefirmen, auf deren Werbeleinwänden sich fette Menschen in Unterwäsche räkeln; Versandhändler, die mit dem Prädikat „klimaneutral“ hausieren; Lebensmittelkonzerne, deren Zielgruppe vor allem aus transhumanen Androiden zu bestehen scheint – wir alle glauben instinktiv zu wissen, was „woker Kapitalismus“ ist, weil er uns von jeder verdammten Werbefläche und aus jedem einzigen Werbevideo förmlich ins Gesicht springt. Plattformgestützte Filmvertriebe wie Netflix oder Amazon Prime lassen sich boykottieren, aber schon der banale Gang zu Rewe wird zur ungewollten kulturpolitischen Selbstunterwerfung. Hier wehen über den Köpfen der Kundschaft die bunten Banner und selbst auf den Schiebetüren prangt das Emblem der „einen Welt“, die scheinbar alle willkommen heißt, es sei denn, sie sind weiß, männlich und heterosexuell.
Die Allgegenwärtigkeit des Regenbogenbanners, die inflationäre Darstellung normabweichender Werbefiguren, das alles unterlegt mit den repetetiven Schlagworten wie „Diversität“ (bunter Aufkleber) oder „Nachhaltigkeit“ (grüner Aufkleber) suggiert die globale Dominanz einer Vision, die dem Konservativen auf Anhieb verdächtig erscheint. Natürlich wissen wir längst, dass die arabische Welt, große Teile Osteuropas oder gar Asien von diesem Jahrmarkt der Eitelkeiten verschont bleiben. Ha, mal wieder ein linker Doppelstandard!
Könnte es also sein, das hinter dem ganzen Theater nichts weiter steht als schnödes Gewinnstreben? Macht also das Kapital, dieses finstere, entgrenzte, alle Kulturen zersetzende Monstrum nicht das, was es immer macht? Denn sagt nicht bereits der Name – „Woke Capitalism“ – alles, sind nicht die Träger dieser Ideolgie kapitalistische Großkonzerne wie Coca-Cola, Mercedes, Amazon oder Adidas? Liegt hier vor unseren Augen nicht die unweigerliche Trümmerlandschaft, die der Liberalismus, der Individualismus und die freien Märkte verursacht haben?
So etwas wie „woken Kapitalismus“ hätte es in der DDR nicht gegeben, könnte man meinen und dabei in gewisser Weise eine Traditionslinie ziehen von Werbekampagnen, in denen sich ein einsamer Reiter eine Marlboro anzündete oder Claudia Schiffer Unterwäsche bewarb, hin zur heutigen kulturmarxistischen Gehirnwäsche. So eine Teufelei kann nur aus dem liberalen Westen kommen, in dem das auf sein Konsumentendasein reduzierte Individuum schließlich im Trichter landet, zusammen mit all den anderen Entwurzelten seines ehemaligen Stammes. Unausweichlich rutscht man ins kapitalistische Mahlwerk, wird zerquetscht, zerstoßen, aufgerieben und schließlich aufgebrüht. Das alles für eine Tasse Jacobs Krönung. War es das wert, Michel? War es das wert?
Die Herrschaft des Volkes
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Aber genug Schabernack, zurück zur Frage, was in den westlichen Konzernzentralen seit einigen Jahren passiert. 2018 erschien in der „New York Times“ – auch so ein elendiger, woker Großkonzern – ein Artikel von Ross Douthat. Zu dieser Zeit regierte Trump und mit ihm die Idee, Amerika wieder groß zu machen. Das bedeutete: Expansive Fiskalpolitik, also Steuersenkungen für Unternehmen. Das war ein Angebot, dass die Wirtschaft natürlich nicht ablehnen konnte. Aber ohne weiteres Annehmen konnte sie das Bonbon von Trump auch nicht, denn die kulturelle Macht im Land lag zu diesem Zeitpunkt nicht beim 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten und seiner Administration, sondern beim kulturpolitischen Komplex – und der war und ist links. Douthat erörtert:
„These are not two stories, though; they’re different aspects of the same one. Corporate activism on social issues isn’t in tension with corporate self-interest on tax policy and corporate stinginess in paychecks. Rather, the activism increasingly exists to protect the self-interest and the stinginess — to justify the ways of C.E.O.s to cultural power brokers, so that those same power brokers will leave them alone (and forgive their support for Trump’s economic agenda) in realms that matter more to the corporate bottom line.“
„Dies sind jedoch keine zwei Geschichten, sondern verschiedene Aspekte derselben Geschichte. Der Aktivismus der Unternehmen in sozialen Fragen steht nicht im Widerspruch zu den Eigeninteressen der Unternehmen in der Steuerpolitik und dem Geiz der Unternehmen bei den Gehaltszahlungen. Vielmehr dient der Aktivismus zunehmend dem Schutz des Eigeninteresses und der Geizigkeit – um das Verhalten der Vorstandsvorsitzenden gegenüber den kulturellen Machthabern zu rechtfertigen, damit dieselben Machthaber sie in Bereichen in Ruhe lassen (und ihnen ihre Unterstützung für Trumps Wirtschaftsagenda verzeihen), die für den Unternehmensgewinn wichtiger sind.“
Für den Autor ist die kulturmarxistische Agenda, der sich die Konzerne unterwerfen, also eine Nebelkerze, die den Umstand verschleiert, dass die Konzerne die ihnen gewährten Steuervorteile eben nicht nutzen, um die Arbeitsbedingungen ihrer Angestellten zu verbessern, sondern um Aktien zurückzukaufen und die Macht der jeweiligen Konzernleitung zu stärken.
Das ist eine linke Sicht auf ein linkes Problem und auch wenn Douthats Deutung wesentlich mehr Substanz bietet als die nationalbolschewistische Einschätzung, dass der Kapitalismus woke ist, weil er eben böse ist, kommt hier ein entscheidender Punkt zu kurz: Douthat erkennt die kulturpolitische Hegemonie der Linken an, blendet aber aus, wie sehr sich diese mittlerweile in konkrete Zwänge für Unternehmen übersetzt hat.
Stellvetretend für diese zentralistischen Ideologievorgaben steht ESG – Environmental, Social, Governance (Umwelt, Soziales, Führung) – ein von der UNO entworfendes Rahmenwerk, dass, genau wie die bereits in den 1980ern konzipierten „17 Ziele für nachhaltige Entwicklung“ (Sustainable Development Goals, kurz: SDG), zunächst als harmlose und unverbindliche Handlungsempfehlung daherkommt, sich schließlich aber als knallharte und linksideologisierte Agenda entpuppt. Während die SDG und die darin konzipierte „Agenda 2030“ für ganze Staaten gilt – hier spielt Deutschland natürlich wieder den Oberstreber -, ist das ESG eine Handlungsanweisung speziell für Unternehmen.
Je strammer sie sich dem Kulturmarxismus verschreiben, desto besser ist die ESG-Bewertung der Konzerne. So ähnlich kennt man es ja von der Kreditwürdigkeit, Bewertungen nach einem festgelegten Schema sind hier essenziell, um zu ermitteln, wie vertrauenserweckend ein Marktakteuer und wie vielversprechend sein Geschäftsmodell ist. Die Perfidie der ESG-Bewertung liegt genau hierin: Statt seiner eigentlichen Bonität ist es nun der durch die ESG-Bewertung quantifizierte Ideologisierungsgrad, der Unternehmen für Anlagen und Investitionen empfiehlt.
Die Entscheidungen des Konzerns fußen also in erster Linie nicht mehr auf den Informationen, die von den Bewegungen des Marktes ausgesendet werden. Stattdessen sind es suprastaatliche Organisationen, die UNO, die EU, das WEF und ein unübersichtliches Geflecht aus NGO’s, die darüber entscheiden, was auf den Teller oder in die Werbung kommt. Das macht „woken Kapitalismus“ in gewisser Weise zu einem Wieselwort, denn in dieser Art von ideologiegetriebener Zentralwirtschaft ist kein Platz für Eigentum, kein Bedarf für Privatinitiative, hier sind Preise keine Information über die Knappheit eines Gutes. Der Markt ist hier allenfalls eine Simulation, innerhalb derer sich der bevormundete Konsumnomade zwischen woker Coke und woker Pepsi entscheiden darf. Und dasselbe gilt auch für Investoren: Ihr Geld fließt nicht in die profitabelste Anlage, sondern in jene Unternehmen, die sich am nachhaltigsten dem ESG-Regime unterwerfen.
Manche sprechen in diesem Zusammenhang auch von der Transformation vom Shareholder-Kapitalismus hin zum Stakeholder-Kapitalismus, was bedeutet: Die unternehmerische Entscheidungsfindung richtet sich nicht mehr nach dem Interesse der Anteilseigner, sondern einer wie auch immer gearteten Anspruchsgruppe. Für Klaus Schwab sind das: Ze People and ze Planet. Dieser Prozess der schleichenden Entrechtung und Bevormundung und die Übertragung der Entscheidungsgewalt hin zu illegitimen, sich jeder Kontrolle entziehenden Schattenkabinetten betrifft also nicht nur die Völker in vielen demokratischen Staaten des Westens. Auch die Unternehmenswelt ist dieser sanft-totalitären Transformation unterworfen.
Gibt es einen Ausweg? Aber sicher! Unternehmen müssen empfindlich zu spüren bekommen, dass ihr eingeschlagener Weg eine Sackgasse ist. Diese Lektion kann nur durch den Markt erteilt werden. Graswurzelige Boykottkampagnen, wie etwa jene rund um Bud Light sind richtig und wichtig, aber sie sind oftmals nur kurzfristige Störungen, deren langfristiger Wert eher in der Selbstvergewisserung der konservativen Konsumenten liegt. Erheblicher ist die Abwanderung qualifizierter Mitarbeiter, denen Sensibilisierungskurse und Unterwerfungsgesten zu weit gehen.
Am wichtigsten aber, und das zeigt sich auf ganz eindrucksvolle Weise zuletzt bei der Pleite der Silicon Valley Bank, sind Marktkorrekturen. Auch wieder so ein kalter, unnahbarer Begriff, also nennen wir die Sache doch beim Namen: Krisen. Externe Eruptionen also, die der Konzernleitung auf schmerzhafte Weise vor Augen führen, dass Gleichstellungsbeauftragte und zelebrierte „Pride-Monate“ nichts zur wirtschaftlichen Potenz des Unternehmens beigetragen haben. „Last hired, first fired“, lautet dann die Parole, unter der sich der Konzernwirt vom Ideologieparasiten trennt. Für die Silicon Valley Bank kam diese Einsicht zu spät. Sie stürzte selbstverschuldet in den Abgrund. Viele andere werden ihr noch folgen.