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Rückschlag für alle Freunde Taiwans

19. Januar 2024

Als „blühende Demokratie“ wird vom westlichen Mainstream die auf der Insel Taiwan residierende Republik China gefeiert – ein Staat, der unter diesem Namen bereits 1971 seinen Platz in der UNO zugunsten der Volksrepublik China räumen mußte. Doch seit es ab 1996 in der einstigen chinesischen Provinz im Gegensatz zum kommunistischen Festland freie Wahlen gibt, ficht das die Bewunderer nicht an. Als zwei Jahrzehnte später die Demokratische Fortschrittspartei (DPP) mit Präsidentin Tsai Ing-wen das Regierungsszepter übernahm, steigerte sich der Beifall zum Crescendo: Erstmals in Asien wurde jetzt die gleichgeschlechtliche Ehe eingeführt und ein Trans-Mensch namens Audrey Tang zur Digitalministerin ernannt. Unter Liberalen und Linken löste Tangs Bekenntnis Begeisterungsstürme aus:

„Die Vermischung der Ethnien, der Kulturen und der Geschlechter ist unsere Identität.“

Doch nicht nur als Aushängeschild westlicher Werte, auch im geostrategischen Schach spielt Taiwan trotz seiner nur 23 Millionen Einwohner eine eminent wichtige Rolle. Da Tsai Ing-wen und ihre DPP keinen Hehl daraus machen, langfristig die staatliche Unabhängigkeit anzustreben, hat Peking seit 2016 alle Kontakte zu Taipeh abgebrochen und setzt die Insel mit verbalen Drohungen und militärischen Manövern immer stärker unter Druck. Die Präsidentschafts- und Parlamentswahl am 13. Januar war daher keine Routinesache. Jetzt mußte sich zeigen, ob wirklich, wie im Westen behauptet, die überwiegende Mehrheit der Taiwanesen jede Annäherung an die Volksrepublik ablehnt. Um es vorweg zu sagen: Für alle transatlantischen Freunde ist das Resultat enttäuschend. Die online-Ausgabe der „taz“ vom 15. Januar brachte es auf den Punkt: „Präsident ohne eigene Mehrheit – Taiwans künftiger Präsident William Lai steht für Kontinuität im Umgang mit China. Doch seine Partei hat Unterstützung verloren.“

Zunächst aber soll auf die manipulative Berichterstattung der meisten deutschen Medien hinsichtlich der Grundsatzfrage eingegangen werden, wer Chinas wahrer Repräsentant ist. Am 12. Januar, einen Tag vor der Wahl, behauptet Lea Sahay, Peking-Korrespondentin der „Süddeutschen Zeitung“:

„Obwohl Taiwan nie ein Teil der 1949 gegründeten Volksrepublik war, erhebt die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) Anspruch auf die Insel vor ihrer Küste. Die Forderungen nach einer ´Wiedervereinigung´, wie Peking seine Übernahmefantasien nennt, machen die Wahlen in Taiwan meist zu einer Abstimmung über den Umgang mit dem übermächtigen Nachbarn.“

Kai Strittmatter wiederum, Vorgänger Sahays als China-Korrespondent, bedient sich einer abenteuerlichen Zahlenakrobatik:

„In den vergangenen 128 Jahren war Taiwan nur für vier kurze Jahre Teil eines großchinesischen Reiches: Vom Ende der japanischen Kolonialherrschaft 1945 bis zum Jahr 1949 war es eine Provinz der von der nationalistischen Kuomintang KMT regierten ´Republik China ´.“

(„SZ“ vom 25./26. November 2023)

Tatsächlich wurde Taiwan bereits 1683 dem großchinesischen Kaiserreich der Qing-Dynastie (1644-1911) eingegliedert. Diese Epoche unterschlägt Strittmatter, seine ominösen 128 Jahre setzen erst mit der Niederlage gegen Japan im Jahr 1895 ein. Damals mußte China die Insel an Tokio abtreten, das Taiwan 1945 an die Republik China als Rechtsnachfolger des untergegangenen Kaiserreichs zurückgab. Nicht nur die „SZ“, nahezu alle deutschen Medien verschweigen oder erwähnen nur am Rande die entscheidende UNO-Resolution von 1971, auf die sich Pekings angebliche Übernahmefantasien gründen. In jüngster Zeit hat der Beschwerdeausschuß des Deutschen Presserates die „SZ“ zwar zweimal gerügt – einmal, weil sie den Eindruck erweckt habe, nur wenige Flüchtlinge kämen ohne Paß nach Deutschland, während es tatsächlich mehr als 50 Prozent seien; zum anderen weil sie fälschlich behauptet habe, bei Messerattacken gebe es keinen Zusammenhang mit der Herkunft der Täter, während in Wahrheit der migrantische Anteil proportional viel höher sei („SZ“ vom 16. Januar 2024). Im Fall Taiwan hingegen ist nicht mit der Einschaltung des Presserats zu rechnen, schließlich ist die lückenhafte Berichterstattung hier absoluter Mainstream.

Ursache der brandgefährlichen Querelen wegen der unscheinbaren Insel war und ist die jahrzehntelange Einmischung der USA in den chinesischen Bürgerkrieg, der im Grunde bereits 1949 entschieden war. Während die Kommunisten ganz Festlandchina unter ihre Kontrolle brachten und Mao Zedong in Peking die Gründung der Volksrepublik ausrief, retteten sich die geschlagenen Truppen der Nationalisten auf das rund 150 Kilometer von der Küste entfernte Taiwan. Generalissimus Tschiang Kai-schek erklärte die Inselhauptstadt Taipeh zum provisorischen Regierungssitz der weiterbestehenden Republik China – in der Hoffnung, eines Tages mit amerikanischer Unterstützung das Festland zurückzuerobern. Jahrelang gelang es den USA und ihren Verbündeten, die Aufnahme der Volksrepublik in die Vereinten Nationen zu blockieren, so daß die Frage offenblieb, ob die Vertretung Chinas durch das Exilregime auf Taiwan rechtmäßig sei.

Erst am 25. Oktober 1971 gelang es, die Resolution 2758 auf die Tagesordnung zu setzen. Die entscheidende Passage lautete:

„Die Vollversammlung der Vereinten Nationen (…) beschließt die Wiedereinsetzung der Volksrepublik China in alle ihre Rechte und die Anerkennung der Vertreter ihrer Regierung als die einzigen legitimierten Vertreter Chinas in der UNO und fordert zugleich den sofortigen Ausschluß der Vertreter Tschiang Kai-scheks aus den Sitzen, die sie in den Vereinten Nationen und allen ihr unterstehenden Organisationen zu Unrecht eingenommen haben.“

Diese Resolution wurde mit 76 Ja-Stimmen bei 35 Nein-Stimmen und 17 Enthaltungen angenommen. Gemäß dieser Ein-China-Politik, der sich bis heute nahezu alle Staaten – auch Deutschland, auch die USA und vor wenigen Tagen als jüngster Staat die Pazifikrepublik Nauru – angeschlossen haben, ist die Volksrepublik der einzig legitime Rechtsnachfolger der einstigen Republik China; die Provinz Taiwan ist somit ein integraler Bestandteil ihres Staatsgebiets. Da das Völkerrecht nur Staaten kennt und nicht Regierungen, spielt es keine Rolle, daß die Insel nie von Peking regiert worden ist.

Schon fünf Monate nach der damaligen Entscheidung besuchte Präsident Nixon als erster US-Präsident den Erzfeind von gestern. Im Schanghaier Communiqué vom 27. Februar 1972 bestätigten die USA, daß Taiwan wie Tibet ein integraler Bestandteil der Volksrepublik sei, und verpflichteten sich zur Nichteinmischung in deren innere Angelegenheiten. 1979 tauschten beide Seiten Botschafter aus. Washington brach die Beziehungen zur Republik China ab und kündigte den Verteidigungspakt mit Tschiangs Regime. Gleichzeitig verabschiedete der US-Kongreß jedoch den „Taiwan Relations Act“, der Washington bis heute jede Handhabe gibt, sich für die Insel militärisch einzusetzen. Peking bestreitet die Rechtmäßigkeit dieses Gesetzes; es widerspreche dem Schanghaier Communiqué und sei eine unbefugte Einmischung in Chinas innere Angelegenheiten.

Bis heute firmiert Taiwan unter dem Namen „Republik China“, obwohl die Herrschaft Tschiangs, der 1975 starb, mit dem Tod seines Sohnes 1988 ihr definitives Ende fand. Nach tiefgreifenden Reformen regierte jedoch weiterhin die einstige Bürgerkriegspartei Kuomintang (KMT) und betrieb eine Politik der Annäherung an die Volksrepublik. Erst 2016 verlor die KMT sowohl die Präsidentschaft als auch die Mehrheit im Parlament. Vier Jahre später triumphierten Tsai Ing-wen und ihre Demokratische Fortschrittspartei erneut. Jetzt scheint sich indes das Blatt erneut zu wenden: William Lai wurde zwar zum Präsidenten gewählt, erhielt aber nur 40 Prozent der Stimmen. Auf seine beiden Konkurrenten, die für einen moderaten Kurs gegenüber Peking plädieren und Unabhängigkeitsbestrebungen strikt ablehnen, entfielen 60 Prozent. Der Verlust der Mehrheit seiner Partei im Parlament ist für Lai besonders fatal, da viele Reformen ohne Zustimmung der Legislative nicht umsetzbar sind. Auf die Zukunft der „blühenden Demokratie“ darf man daher gespannt sein.

Peter Kuntze

Kuntze wurde 1941 in Kiel geboren und hat nach Abitur und Wehrdienst eine verlagskaufmännische Lehre in Hamburg absolviert. Anschließend ein Redaktionsvolontariat in Ansbach. 1968 gelang ihm der Sprung nach München zur Süddeutschen Zeitung, wo er als außenpolitischer Nachrichtenredakteur sein Brot bis 1997 verdient hat. Nebenbei schrieb Kuntze etliche Kinderbücher, zwei Romane und acht politische Sachbücher über China. Seine konservative Wende geschah in den letzten Berufsjahren.


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